Balkan-Route: Tausende Flüchtlinge wegen willkürlicher Grenzpolitik gestrandet
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Anlässlich der in Wien stattfindenden Westbalkan-Konferenz warnt MSF vor den humanitären Folgen der derzeitigen Grenzpolitik durch die teilnehmenden Regierungen. Nach der plötzlichen Einführung neuer Beschränkungen für afghanische Flüchtlinge in den vergangenen Tagen sitzen derzeit tausende Männer, Frauen und Kinder in Griechenland und den Balkanländern fest. Die Organisation warnt, dass die Menschen kaum Zugang zu humanitärer Hilfe haben, keine Informationen erhalten und Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind.
Wir haben die humanitären Folgen dieses Domino-Effekts immer wieder angeprangert, doch Regierungen entlang der Fluchtroute erfinden ständig neue, willkürliche Kriterien. Das einzige Ziel ist der Rückgang der Zahl der Flüchtenden – um jeden Preis, unter völliger Missachtung ihrer Bedürfnisse», sagt Aurélie Ponthieu, humanitäre Beraterin für Migrationsfragen bei Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF). «Das Versagen europäischer Regierungen bei der Suche nach kollektiven, humanen Lösungen verursacht bloss Chaos, Willkür und Diskriminierung.»
Menschen werden zwischen den Grenzen hin- und hergeschoben
Erste Restriktionen wurden bereits im November umgesetzt, als nur noch Syrer, Iraker und Afghanen den Balkan durchqueren durften. Am Wochenende haben die Behörden in Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien neue Kriterien eingeführt, um die Zahl der Flüchtenden, die ihre Länder passieren, weiter zu reduzieren. Zu diesen Kriterien gehört, dass Afghanen – die derzeit rund 30 Prozent der Neuankömmlinge in Griechenland ausmachen – die Überschreitung der griechisch-mazedonischen sowie der mazedonisch-serbischen Grenze verwehrt wird.
Derzeit sitzen rund 60 Afghanen im Niemandsland zwischen Serbien und Mazedonien fest, ohne jeden Schutz. Sie waren am Dienstag von serbischen Behörden nach Mazedonien zurückgeschickt worden, dürfen nun aber weder nach Mazedonien noch nach Serbien einreisen. In Serbien sitzen hunderte Menschen fest – darunter Frauen und Kinder – die entweder daran gehindert wurden, nach Kroatien weiterzureisen, oder von Kroatien und Slowenien zurückgeschoben wurden. Insgesamt sassen am Wochenende rund 1‘000 Menschen an Serbiens Grenzen fest, fast ohne Zugang zu humanitärer Hilfe.
«Die Menschen werden zwischen den Grenzen hin- und hergeschickt und haben keinerlei Informationen über ihre Rechte, oder was als nächstes geschehen wird», sagt Stephane Moissaing, MSF-Einsatzleiter in Serbien. «Wir wissen aus Erfahrung, dass sie in die Hände von Schlepper-Netzwerken und auf unsichere Fluchtrouten gedrängt werden, wo sie Missbrauch und Gewalt ausgesetzt sind.»
Flüchtlinge immer häufiger Opfer von Gewalt durch Schleuser und Polizisten
Am Dienstag wurden die Teams von MSF Zeugen, wie griechische Polizisten in Polykastro afghanische Flüchtlinge, unter ihnen Frauen und Kinder, mit Füssen traten. Sie wollten nicht in einen Bus einsteigen, der sie vermutlich zurück nach Athen bringen sollte. Dieser Vorfall ist ein weiteres Beispiel für die inakzeptable Zunahme von Gewalt, die Mitarbeiter von MSF seit November vergangenen Jahres beobachten. In Serbien behandeln MSF-Ärzte immer öfter Patienten, die Opfer von körperlicher Gewalt durch Schleuser und Polizisten geworden sind. Auch in Idomeni, an der griechisch-mazedonischen Grenze, haben die Teams mehr als 100 Menschen behandelt, die berichteten, von der mazedonischen Polizei verletzt worden zu sein. Einige Personen wiesen Hundebisse auf.
Derzeit werden hunderte Afghanen, die nicht nach Mazedonien einreisen können, wieder nach Athen zurückgeschickt, wo die Aufnahmezentren an der Grenze ihrer Belastbarkeit sind. Im Hafen von Piräus, in der Nähe von Athen, ist ein Rückstau entstanden, da die Menschen, die im Hafen ankommen, keinen Zugang mehr in den Norden Griechenlands bekommen. Sie erhalten aber auch keine Informationen über andere Möglichkeiten.
«Das ganze Aufnahmesystem wird in wenigen Tagen überlastet sein»
«Die Situation ist nicht mehr tragbar, wird sich in den kommenden Tagen aber weiter verschlimmern», erwartet Marie Elisabeth Ingres, MSF-Einsatzleiterin in Griechenland. «Griechenland kann auf dem Festland rund 3‘700 Menschen aufnehmen, wovon nur 1‘000 Plätze für Personen auf der Durchreise gedacht sind. Die Regierung baut ausserhalb von Athen und Thessaloniki zwei Camps, aber bisher ist noch unklar, wie diese verwaltet werden sollen. Wenn Afghanen auch in Zukunft nicht weitereisen dürfen, wird das gesamte Aufnahmesystem innerhalb von nur acht Tagen vollkommen überlastet sein. Es gibt keinen realistischen Notfallplan, deshalb sind wir sehr besorgt, dass die ohnehin schon katastrophale Situation sich weiter verschlimmert.»
Seit Anfang 2016 sind bereits mehr als 94‘000 Menschen auf den griechischen Inseln angekommen. Mindestens 320 Personen sind beim Versuch, die Ägäis zu überqueren, ertrunken. Jeden Tag riskieren rund 2‘000 Menschen ihr Leben, um Griechenland zu erreichen, wo sie kaum Hilfe und Schutz erhalten.