D.R. Kongo: „Der Anstieg der Massenvergewaltigungen in Süd-Kivu ist besorgniserregend.“
3 Min.
Während die medizinischen Teams von MSF in der Provinz Süd Kivu auf eine weitere Massenvergewaltigung reagieren, erläutert die Projektverantwortliche Katrien Coppens, wie im konflikt-gebeutelten Osten der Demokratischen Republik Kongo Zivilisten zu Angriffszielen werden.
Ein Team von MSF hat nach einer kürzlich erfolgten Massenvergewaltigung in der Region Fizi in Süd-Kivu über hundert Frauen behandelt…
Katrien Coppens: Ja, wir haben sofort ein medizinisches Team mit Material in die Region geschickt, als uns Berichte über eine vor einer Woche erfolgte Massenvergewaltigung erreichten. Unglücklicherweise war es schon zu spät für die Verabreichung einer Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) gegen eine HIV-Infektion, was bei MSF zur Standard-Behandlung nach einer Vergewaltigung gehört. Diese kann vor einer HIV-Übertragung schützen, muss aber innerhalb von 72 Stunden nach dem Übergriff erfolgen. Auch für die Pille danach war es bereits zu spät, da diese innerhalb von 5 Tagen nach dem Kontakt eingenommen werden muss. Wir konnten aber die Opfer gegen andere sexuell übertragbare Erkrankungen sowie ihre körperlichen Verletzungen behandeln.
Am Morgen, als wir ankamen, war eine grosse Gruppe von Menschen im Dorf Abala versammelt, die auf mediznische Behandlung warteten. Alle Frauen dieser Gruppe erzählten uns, dass sie zwischen dem 9. und 12. Juni 2011 vergewaltigt wroden waren. Am nächsten Tag gingen wir ins benachbarte Dorf Nakiele, deren Einwohner uns eine ähnliche Geschichte erzählten. Unser Team blieb schliesslich zwei Tage dort, um die hohe Anzahl von Frauen, die ins Gesundheitszentrum kamen, behandeln zu können. Anschliessend begab sich das Team in das Dorf Kanguli und behandelte weitere Frauen. Zwei von ihnen wiesen ernsthafte Komplikationen in Folge der Vergewaltigung auf.
Was sind die medizinischen Folgen dieser Art von Gewalt?
Zusätzlich zum erlittenen seelischen Trauma gibt es zahlreiche medizinische Folgen sexueller Gewalt, wie das erhöhte Übertragungsrisiko von HIV/Aids, ungewollte Schwangerschaft, sexuell übertragbare Infektionen und schwere Komplikationen im Falle einer Schwangerschaft. Bei Frauen, die zum Zeitpunkt des Übergriffs bereits schwanger sind, besteht die Gefahr, dass sie das Kind verlieren.
Angststörungen, Albträume und psychosomatisch bedingte Schmerzen sind nur einige der psychosozialen Probleme, die Opfer sexueller Gewalt durchmachen. Für Frauen bedeutet das Stigma einer Vergewaltigung oft Zurückweisung von ihrer Familie, oder sogar vom ganzen Dorf. Opfer sexueller Gewalt, die sich isoliert fühlen und Schande empfinden, können in der Folge auch unter wirtschaftlicher Not leiden.
Warum passieren so häufig Massenvergewaltigungen in der Demokratischen Republik Kongo?
Die Situation ist durch den andauernden Konflikt im Osten sehr komplex und schwierig. Seit Jahren erleben die Zivilisten hier Vertreibungen, Plünderungen, Unsicherheit und Gewalt, ausgelöst durch die Kämpfe und Aktivitäten verschiedener bewaffneter Gruppen, die in der Region herumziehen und sich von der lokalen Bevölkerung nehmen, was sie brauchen und Angst und Terror verbreiten.
Seit Anfang dieses Jahres hat MSF ca. 500 Opfer von Massenvergewaltigungen allein in der Region Fizi in der Provinz Süd-Kivu behandelt. Es ist sehr frustrierend mit anzusehen, wie Zivilisten, die nichts mit dem Konflikt zu tun haben, so leiden müssen. Die Rolle von MSF ist es, die Opfer von Vergewaltigungen bestmöglich medizinisch zu versorgen. Zusätzlich betreiben wir unsere regulären medizinischen Aktivitäten in der Stadt Bakara und Umgebung. 2011 haben wir über 50’000 Patienten in unseren Gesundheitseinrichtungen hier versorgt und über 3’000 Patienten im von MSF unterstützten Spital behandelt.
Der Anstieg der Massenvergewaltigungen in Süd-Kivu ist besorgniserregend. Alle beteiligten Konfliktparteien müssen verstehen, dass Vergewaltigung ein Verbrechen ist. Sexuelle Gewalt gegen Zivilisten ist absolut inakzeptabel und muss sofort aufhören.