Ein voll einsatzfähiger Operationssaal in 24 Stunden
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Mit dem Ziel, bei einem Notfall noch schneller einsatzbereit zu sein, arbeitet MSF ständig an der Entwicklung neuer Hilfsmittel, damit die Teams so viele Leben wie möglich retten können. Die Rapid Deployment Surgical Unit (R.D.S.U.), eine in kürzester Zeit montierbare Chirurgieeinheit, soll ermöglichen, dass bei einer Katastrophe oder einer humanitären Krise bereits wenige Stunden nach Ankunft des Materials die ersten Operationen durchgeführt werden können. Die Montagezeit der kompletten Einheit soll nicht mehr als 24 Stunden dauern.
Ein Dutzend Mitarbeiter, Holzkisten und eine detaillierte Anleitung – mehr wird es in Zukunft nicht brauchen, um an einem Ort, wo die medizinischen Einrichtungen zerstört wurden, eine komplette Chirugieeinheit zu errichten. In dieser kann Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) gegen fünfzig Verletzte auf einmal versorgen und Notoperationen durchführen. Anne Khoudiacoff, Verantwortliche für die Entwicklung der R.D.S.U., berichtet, was sich MSF von dem neuen Tool erhofft.
«Wir stellten fest, dass es bei den bestehenden Strukturen, die bei einem Notfall zum Einsatz kommen, eine Lücke gab. Wir verfügten bereits über zwei schnell montierbare Konstrukte, die jedoch beide gewisse Einschränkungen hatten. Bei R.I.S.K. (Rapid Intervention Surgical Kit) handelt es sich um Equipment für Notoperationen, das es den MSF-Teams erlaubt, unmittelbar nach ihrer Ankunft vor Ort Hilfe zu leisten. Dieses Kit, das für die Zeit unmittelbar nach dem Ereignis entwickelt wurde, enthält jedoch nur das grundlegendste Material und das nur in kleinen Mengen, wiegt dafür auch nur 500 kg. Ausserdem gibt es seit 2005 das Modular Field Hospital (MFH), ein komplexes aufblasbares Spital, das aus mehreren Elementen besteht. Die Montage kann jedoch unter Umständen schwierig sein. Diese Nachteile soll die R.D.S.U. nun ausgleichen. Sie wurde entwickelt, um auf die Bedürfnisse der Verletzten zwischen dem dritten Tag und der dritten Woche nach dem Ereignis einzugehen, ein äusserst wichtiger Zeitraum für Betroffene einer Katastrophe.
Montage auch unter den widrigsten Bedingungen
Wir sind bei der Entwicklung von den grösstmöglichen Einschränkungen ausgegangen um sicherzustellen, dass die R.D.S.U. völlig autonom funktionieren kann – und dies so schnell wie möglich. Dank eines integrierten Generators und eines Systems zur Wasserreinigung und -aufbewahrung braucht es weder einen Strom- noch einen Wasseranschluss; die Einrichtung kann auch auf den härtesten Böden errichtet werden, wo graben unmöglich wäre. Dies sind nur einige der Vorteile. Wir haben jedes mögliche Hindernis in Betracht gezogen und Lösungen erarbeitet, bei denen Schwierigkeiten, die sich bei der Montage ergeben können, unter jeglichen Bedingungen zu meistern sind.
Aus Erfahrung wissen wir beispielsweise, dass es häufig schwierig ist, den Ort der Katastrophe zu erreichen. Meistens können Frachtflugzeuge landen, aber Lastwagen können nicht verkehren, weil die Strassen manchmal voller Schutt sind. Deshalb haben wir Bestandteile konzipiert, die einfach zu transportieren sind, wenn nötig sogar von Hand!
Das Ziel ist, so rasch wie möglich einsatzfähig zu sein, um möglichst schnell die ersten Patienten aufnehmen zu können. Wir hatten stets die Bedürfnisse unserer Patienten und des medizinischen Personals vor Augen und haben deshalb bei all unseren Überlegungen auf Grösse, Gewicht und eine möglichst einfache Handhabung geachtet. Die R.D.S.U. kann auch je nach Bedarf angepasst oder variabel verwendet werden. Wenn zum Beispiel ein Erkundungsteam ein nutzbares Gebäude findet, kann die Chirurgieeinheit auch ohne Zelt eingerichtet werden. Es handelt sich übrigens nicht nur um eine chirurgische Einheit, denn die Einrichtung ist auch ausgestattet, um als Unterkunft für das Personal und als Kommunikationszentrum genutzt zu werden. Es können von dort aus auch andere medizinische Tätigkeiten gestartet werden.
Gute Organisation
Schliesslich sind es vor allem gute Organisation und Vorbereitung, die uns Zeit gewinnen lassen. Zum Beispiel geben auf jeder Kiste Etiketten Auskunft über die Art des Materials (medizinisch, logistisch etc.), dessen Standort in der Einrichtung sowie über den Zeitpunkt, wann dieses bei der Montage zum Zug kommt. Dann gibt es weitere kleine Details, die uns das Leben erleichtern dürften: So können gewisse Medikamentenkisten, wenn man sie aufstellt, auch als Schrank verwendet werden.
Wir haben die Anforderungen von allen Berufsgruppen berücksichtigt und während sämtlichen Projektphasen immer wieder Anpassungen vorgenommen. Die Simulationsübung, die im Mai 2014 stattfand, war ein entscheidender Moment, um den Prototyp zu testen und zu validieren. Wir haben dieses Exemplar für die Ausbildung der Notärzte behalten, die damit jedes Jahr den Einsatz der Chirurgieeinheit üben können.
Heute geht es darum, uns mit der R.D.S.U. vertraut zu machen. Das Notfall-Team von MSF bestellt die Bestandteile, wir verpacken diese und in den nächsten Monaten wird die R.D.S.U. im Lager bereit sein. Unser Ziel ist, dass die Einheit Ende des ersten Quartals von 2015 vor Ort eingesetzt werden kann.»