Erdbeben in Ecuador: “Die Überlebenden haben grosse Angst“
Ecuador3 Min.
Am 16. April wurde Ecuador von einem schweren Erdbeben erschüttert. Nach offiziellen Angaben starben mindestens 525 Menschen. Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat vier Teams in die betroffene Region entsendet. Concha Fernández koordiniert zwei der Teams vor Ort – und berichtet im Interview von der Lage im Erdbebengebiet.
Wann bist du in Ecuador angekommen und wie ist die Situation?
MSF hat ein Projekt in Tumaco, Kolombien, das sehr nah an der Grenze zu Ecuador liegt. Von dort brachen zwei Teams in die am stärksten vom Beben betroffene Region auf. Ich war im ersten Team. Wir kamen Sonntagnacht mit dem Auto im ecuadorianischen San Lorenzo an. Von dort fuhren wir nach Süden in die Region Esmeralda.
Das zweite Team fuhr mit einem Schnellboot direkt nach Pedernales im Bundesland Manabi.
Süd-Esmeralda ist eine grosse Region. Die Mehrzahl der Gebäude und grosse Teile der Infrastruktur dort wurden durch das Erdbeben beschädigt. In einigen Gebieten wurden bist zu 90 Prozent aller Gebäude beschädigt. Zum Glück gab es aber nicht viele Verletzte und Tote. Die Menschen konnten meist aus ihren Häusern fliehen, bevor diese zusammenbrachen.
Wie geht es der Bevölkerung?
Die Menschen haben Angst. Viele von ihnen mussten ihre Häuser verlassen. Von der Insel Muisne beispielsweise, auf der 9‘000 Menschen leben, musste ein Drittel auf das Festland evakuiert werden, wo die Menschen nun in vier Unterkünften untergebracht sind. Die Insel Portete musste vollständig evakuiert werden, und die 322 Bewohner leben jetzt in zwei Notunterkünften unter sehr prekären Bedingungen. In Gebieten, in denen die Häuser nicht eingestürzt sind, bauen die Menschen trotzdem behelfsmässige Unterkünfte auf höher gelegenem Gelände: Sie haben Angst, in den Häusern oder in der Nähe des Ozeans zu schlafen. Seit Sonntag gab es mehr als 400 Nachbeben und einige waren sehr stark. Viele andere wiederum wollen ihre Häuser nicht verlassen, auch wenn diese stark beschädigt oder einsturzgefährdet sind. Dies sind meist ältere Menschen, die nicht noch ihre letzte Habe an Räuber verlieren wollen.
Was tut MSF?
In Süd-Esmeralda haben wir mehrere Gebiete besucht, um uns ein Bild von der Lage der Überlebenden zu machen und zu entscheiden, wie wir reagieren sollen. Einer dieser Orte war Cabo de San Francisco, wo wir am Dienstagnachmittag waren. Dort leben 200 Menschen, die fast alles verloren haben, in Notunterkünften. Sie waren sehr ängstlich und wollten mit unserem Psychologen sprechen. Also haben wir Gruppengespräche für Frauen und Kinder angeboten. Während einer dieser Sitzungen gab es ein Nachbeben der Stärke 5,2 auf der Richterskala. Die Menschen flohen panisch, und unsere Psychologen haben später mit ihnen darüber gesprochen, was man tun kann, um diese Krisen zu bewältigen.
Unser Logistiker hat sich die Wasser- und die sanitäre Versorgung angesehen. Medizinisch behandelt haben wir 13 Menschen, darunter ein Kind mit Asthma und eine Frau mit einer infizierten Wunde.
Wie ist die Situation in Pedernales?
Einige von uns sind im grössten Spital der Stadt und können dort jede notwendige medizinische Hilfe leisten. Die Kollegen sind ausgerüstet, um 500 Menschen zu unterstützen, einschliesslich Notfall-Hilfe und medizinischer Grundversorgung. Wir sorgen dafür, dass medizinische Materialien vorrätig und verfügbar sind. Unsere Mitarbeiter und das Personal des Spitals gehen ausserdem von Tür zu Tür und bieten in den am stärksten betroffenen Vierteln psychologische Hilfe an. Wenn nötig, versuchen sie die Menschen davon zu überzeugen, ihre Häuser zu verlassen und in Notunterkünften Schutz zu suchen.
Nach dem Erdbeben ist Pedernales kaum noch über Strassen zu erreichen. Doch ich hoffe, bald zum Team hinzustossen zu können.
Was brauchen die Überlebenden des Erdbebens am dringendsten?
Im Moment brauchen die Menschen dringend psychologische Unterstützung, Wasser und sanitäre Einrichtungen. Deshalb werden in den nächsten Tagen drei weitere Psychologen und ein Logistiker unsere Teams unterstützen. In Esmeralda planen wir, in Notunterkünften in Chamanga, Muisne, Portete und Cabo de San Francisco aktiv zu werden.
Derzeit konzentriert sich die geleistete humanitäre Hilfe auf Pedernales, und wir vermuten, dass es in der Umgebung kleinere Ortschaften gibt, die bislang ohne Hilfe sind. Wir wollen versuchen, diese zu erreichen, um uns ein Bild von den Bedürfnissen der dort Lebenden zu machen.