„Es ist uns nicht erlaubt, krank zu werden“
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Daniel Spirgi, bisheriger Verantwortlicher des Projekts Meditrina, MSF
Laura, 27, ist illegal in der Schweiz. Die Bolivianerin kam über die so genannte grüne Grenze von Spanien über Italien nach Zürich: Weil es hier Arbeit gibt. Laura ist eine von rund 9'000 bis 12'000 so genannten „Sans Papiers“, die in der Agglomeration Zürich leben - und arbeiten.
Im Sommer 2009 taucht Laura erstmals bei Meditrina in der Sprechstunde auf. Sie hat Husten, blutigen Auswurf und Fieber. Ihr Allgemeinzustand ist sehr schlecht. Und die Diagnose kommt sehr spät: Die 27-Jährige leidet an einer ansteckenden Lungentuberkulose. Laura fühlte sich schon längere Zeit krank, hatte aber Angst, zum Arzt zu gehen - aus Sorge, registriert und dann ausgeschafft zu werden. Erst als sie von Meditrina erfährt, traut sich Laura, dort medizinischen Rat zu holen.
Seit Januar 2006 bietet Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) mit Meditrina in der Stadt Zürich eine niederschwellige Basisgesundheitsversorgung speziell für „Sans Papiers“ und Migranten sowie für Menschen an, die sonst keinen Zugang zum Schweizer Gesundheitssystem haben. Eine Pflegefachfrau oder ein Allgemeinarzt garantieren wahrend 20 Stunden pro Woche kostenlose Erstkonsultation an. Ein Netz von mehr als 50 niedergelassenen Allgemein- und Fachärzten, anderen medizinischen Fachpersonen sowie einige wenige Spitäler garantieren die weiterführende Diagnostik und Behandlung: unter strikter Wahrung der Anonymität der Patienten.
Obwohl sich der grosse Teil der Gesundheitsprobleme dieser Patienten kaum von denen der Schweizer Bevölkerung unterscheidet, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Die meisten von ihnen sind Arbeitsmigranten. Das bedeutet, dass ihre Gesundheit ihr Kapital ist. Viele von ihnen sind jedoch verstärkt epidemiologisch relevanten Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/AIDS ausgesetzt.
Diese Menschen haben einen eingeschränkten oder gar keinen Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen: Weil sie ihre eigenen Rechte nicht kennen und mit der Funktionsweise unseres Gesundheitssystems nicht vertraut sind, aus ökonomischen Gründen - oder aber, weil sie einfach Angst vor öffentlichen Einrichtungen haben. Jedoch gerade die psychologischen Aspekte und Ängste können beträchtliche Auswirkungen auf den Körper haben.
Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein verfassungsmässig garantiertes Grundrecht. Denn in Artikel 41 der Bundesverfassung ist unter anderem festgehalten: „Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: a. jede Person an der sozialen Sicherheit teilhat; b. jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält.“ Während in anderen Schweizer Städten die integrale Gesundheitsversorgung der Sans Papiers und anderer Migranten in das öffentliche Angebot eingeschlossen ist, besteht dieses Grundrecht für genau diese Menschen in Zürich (noch) nicht.
Die Zürcher Kantonalverband des Schweizerischen Roten Kreuzes wird das Angebot von Meditrina ab dem 1. Januar 2010 weiterführen. Damit sind die medizinischen Bedürfnisse vorerst einmal versorgt. Es ist jedoch die Pflicht der öffentlichen Hand, diesen Zugang der „Sans Papiers“ und allen anderen Menschen in der Schweiz zur öffentlichen Gesundheitsversorgung zu garantieren. Bis dies nicht nur in der Verfassung, sondern auch in der Realität gewährleistet ist, bleibt Meditrina die einzige Anlaufstelle, die eine angepasste, hochwertige Gesundheitsversorgung für die ansonsten vom öffentlichen Gesundheitswesen ausgeschlossenen Menschen in der Stadt Zürich anbietet.
Am 18. Dezember ist der „Internationale Tag der Migranten”, basierend auf die, an der UNO-Generalversammlung am 18. Dezember 1990 beschlossenen, und im Juli 2003 in Kraft getretenen „Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen”.
Die Schweiz hat diese Konvention bis heute nicht ratifiziert.