Haiti: „Die Behörden müssen mehr gegen Cholera unternehmen“
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Die Cholera-Epidemie ist keineswegs zu Ende, warnt der Einsatzleiter von MSF in Haiti. Er ruft die haitianische Regierung und ihre internationalen Partner dazu auf, in der Bekämpfung der Cholera mehr Verantwortung zu übernehmen.
Seit Ausbruch der Epidemie im Oktober 2010 wurden laut Angaben der haitianischen Behörden 7’300 Todesopfer und 575'000 Krankheitsfälle gezählt. Nach dem Auftreten der ersten Fälle hat MSF den grössten Einsatz seit Bestehen der Organisation gestartet und im ganzen Land über 30 Prozent aller Cholerapatienten behandelt. MSF betreut heute noch immer Cholerapatienten und betreibt zu diesem Zweck fünf Behandlungszentren in Port-au-Prince und Léogâne. Joan Arnan ist der Einsatzleiter und koordiniert seit fünf Monaten die Bekämpfung von Cholera in Haiti. Wir haben ihm drei Fragen gestellt.
Wie hat sich die Krankheit in den letzten Monaten entwickelt?
Sobald es regnet, läuft die Kanalisation über, was die Ausbreitung der Krankheit begünstigt. Die Bevölkerung hat keine Möglichkeit, sich durch bessere Hygiene zu schützen. Fast eine halbe Million Menschen leben noch immer in den Lagern, die nach dem Erdbeben im Januar 2010 errichtet wurden. Weniger als ein Drittel davon hat Zugang zu sauberem Trinkwasser und nur ein Prozent hat im April ein Stück Seife erhalten.
Als ich in Haiti ankam, erwarteten wir einen erneuten Ausbruch mit dem Beginn der Regenzeit. Die Zahl der Patienten in den Behandlungszentren nahm denn auch ab April zu und erreichte Ende Mai einen Höhepunkt. Seit Anfang 2012 haben wir mehr als 10’000 Patienten behandelt, einschliesslich über 70 Prozent der Cholerafälle, die während des Höhepunkts der Epidemie in Port-au-Prince erfasst wurden. Unsere Teams stellen nun einen Rückgang der Erkrankungen in Port-au-Prince und Léogâne fest, aber die Situation bleibt kritisch. Fast zwei Jahre nach dem Beginn der Epidemie betreut MSF noch immer einen grossen Teil der Patienten in der Hauptstadt. Das zeigt deutlich, dass es in der Bekämpfung der Epidemie auf nationaler Ebene zahlreiche Probleme gibt.
Können Sie uns Beispiele für solche Probleme beim Umgang mit der Epidemie geben?
Die öffentliche Gesundheitsversorgung im Grossraum Port-au-Prince, wo fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung Haitis lebt, hat die Behandlung von Cholera nicht in ihr Angebot aufgenommen. Mit anderen Worten, wer mit Cholerasymptomen in ein öffentliches Spital geht, wird an ein Behandlungszentrum einer NGO wie MSF überwiesen. In der Region Artibonite, wo rund 20 Prozent aller Cholerafälle seit Ausbruch der Epidemie aufgetreten sind, gehen gewissen Behandlungszentren die Medikamente aus, und ein Teil des Personals hat seit Januar keine Löhne mehr erhalten.
Im Gegensatz dazu sind die lokalen Gesundheitsbehörden in der Region Nord dem jüngsten Ausbruch sehr wirksam und mit Erfolg begegnet. Das wirft die Frage auf, ob die nationalen Behörden den politischen Willen haben, ein wirkungsvolles nationales Programm zur Bekämpfung der Cholera auf die Beine zu stellen.
Die abnehmende finanzielle Unterstützung durch internationale Spender erschwert die Situation zusätzlich. Immer mehr NGOs, die sich aktiv gegen die Cholera engagieren – sei dies mit medizinischer Pflege oder präventiven Massnahmen durch Verbesserungen der Wasserversorgung, Hygiene und Abwasserreinigung – stellen wegen fehlender Geldmittel ihre Aktivitäten ein.
Wie ist diesen Herausforderungen in den kommenden Monaten zu begegnen?
Wir erwarten nun konkrete Massnahmen zur Bekämpfung der Epidemie, die endlich ein grösseres Engagement sowohl von Seiten der haitianischen Gesundheitsbehörden als auch der internationalen Gemeinschaft erkennen lassen. Die dringendsten Massnahmen zur wirksamen Bekämpfung der Cholera in Haiti sind die Ausarbeitung eines nationalen Krisenplans, die Behandlung der Cholera in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, vermehrte Anstrengungen in den Bereichen Wasser, Hygiene und Abwasser, sowie der Aufbau eines wirksamen epidemiologischen Überwachungssystems mit verstärkter Unterstützung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO).