HIV/Aids in Myanmar: Die Geschichte von Maung Myint
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Während die Geberländer ihre Gelder zurückziehen, kämpft der an HIV/Aids und Tuberkulose erkrankte Maung Myint darum, in Myanmar eine lebensrettende Behandlung zu bekommen.
„Mit einer antiretroviralen Therapie könnte ich ein normales Leben führen. Ich träume davon, wieder gesund zu sein – ich würde gerne ein Geschäft für Flipflops aufmachen“, erzählt Maung Myint. „Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn ich die Therapie nicht bekomme. Ich weiss einfach nicht, was ich machen soll.“
Maung Myint (38) klammert sich an seiner Wasserflasche fest. Regelmässig nippt er von der Flüssigkeit, die Rehydrierungssalze enthält. Er sitzt im Behandlungszimmer einer vollen Klinik, die von MSF in Myanmar betrieben wird.
„Früher habe ich Flipflops hergestellt, nach einer speziellen Technik, die mir meine Eltern überliefert haben. Sie waren Experten in der Herstellung von Flipflops und Fussballschuhen. Doch dann habe ich Fieber und Durchfall bekommen, und ich musste ins Spital. Man hat einen Test gemacht, und so habe ich herausgefunden, dass ich HIV-positiv bin.“
Maung Myint leidet auch an Tuberkulose (TB) – eine übliche Ko-Infektion und zugleich die häufigste Todesursache von Menschen mit HIV/Aids. Die Verbreitung von Tuberkulose ist in Myanmar fast dreimal höher als der weltweite Durchschnitt, zugleich gehört das Land zu den 27 Ländern mit den höchsten Raten an multiresistenter Tuberkulose.
„MSF kann mir noch keine antiretrovirale Therapie anbieten, deshalb werde ich derzeit nur gegen die Tuberkulose behandelt. Das reicht aber nicht. Bevor ich krank wurde, lebte ich sehr gesund, lief gerne und trieb viel Sport. Aber seit ich infiziert bin, kann ich nichts mehr machen.“
In Myanmar benötigen rund 120’000 Menschen mit HIV/Aids eine lebensrettende antiretrovirale Therapie (ART), Schätzungen zufolge erhielten im Jahr 2010 jedoch nicht einmal 30'000 Patienten diese Behandlung. Als grösster Anbieter von ART behandelt MSF derzeit 23’000 Menschen. Mit den 6’000 neuen Patienten, die im Jahr 2012 hinzukommen, stossen wir an unsere Grenzen.
„Als ich herausfand, dass ich HIV-positiv bin, war ich verstört und traurig. Ich dachte, dass es keine Behandlung dagegen gibt und ich innerhalb eines Tages sterben würde.“
Wegen der überwältigenden Patientenzahlen ist MSF dazu gezwungen, unmögliche Entscheidungen zu treffen. Es kommt vor, dass unsere Mitarbeiter in einigen Gegenden Patienten wegschicken müssen, die eigentlich behandelt werden müssten, aber noch nicht krank genug sind. Denn wegen der Medikamentenknappheit ist die Behandlung ausschliesslich für jene reserviert, bei denen die Krankheit bereits am allerweitesten fortgeschritten ist.
„Es macht mich traurig, dass ich keine Flipflops herstellen kann. Ich bin wirklich gut darin, und ich könnte damit viel Geld verdienen. Jetzt muss ich andere um Hilfe bitten – was ich nicht will. Ich hasse die Situation, in der ich mich befinde.“
Multiresistente Tuberkulose wird indes zu einer immer grösseren Gefahr. Die Ansteckung erfolgt wie bei der nicht-resistenten Tuberkulose über die Atmung per Tröpfcheninfektion – die Behandlung der Krankheit ist aber viel komplexer und langwieriger. Während sie bei einem nicht-resistenten Patienten sechs Monate dauert, zieht sie sich bei resistenten Patienten über zwei Jahre hin. Der Medikamenten-Cocktail, den die Patienten einnehmen müssen, ist dabei noch umfangreicher und hat oft ernsthafte Nebenwirkungen.
Die 28-jährige Ma Moe war zwei Tage unterwegs, nur um sich auf multiresistente Tuberkulose testen zu lassen. „Ich musste meine Kinder in meinem Dorf zurücklassen, und die Reise hierher hat 50’000 Kyat (65 Franken) gekostet. Das vergangene Jahr war schrecklich, ich war acht Monate durchgehend in Behandlung. Es war sehr schmerzhaft, die Tabletten hatten starke Nebenwirkungen.“
Ma Moe kann sich glücklich schätzen. Denn von den rund 9’300 Menschen, die jedes Jahr an multiresistenter Tuberkulose erkranken, haben bisher nur etwa 300 Menschen eine Therapie dagegen erhalten. Ma Moe hat inzwischen das Schlimmste überstanden.
„Ich bin sehr glücklich. Die Injektionen sind jetzt vorbei, und ich habe meine Kinder wieder bei mir.“
Im November2011 wurde die anstehende 11. Zahlungsrunde des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria gestrichen. Die Freigabe dieser Gelder war eigentlich für das Jahr 2012 geplant. Der Verlust dieser bereits eingeplanten Gelder, die für die Behandlung von HIV/Aids und Tuberkulose vorgesehen waren, ist ein enormer Rückschlag für Myanmar. Das Land ist das am wenigsten entwickelte in Südostasien, gehört aber zu den Nationen, die weltweit am wenigsten offizielle Entwicklungshilfe erhalten. Mit den erwarteten Mitteln hätten 45’000 zusätzliche Patienten antiretrovirale Therapien erhalten. Dadurch hätte der Kampf gegen die Gesundheitskrise in Myanmar neuen Schwung erhalten, die Abdeckung mit ART wäre bis 2018 auf nahezu 100’000 angestiegen.
Ohne die Gelder befinden sich die Schicksale von Zehntausenden Menschen jetzt in der Schwebe – wie zum Beispiel das von Maung Myint. Die Entscheidungen, die jetzt von den Geberländern getroffen werden, bedeuten für diese Menschen den Unterschied zwischen Leben und Tod.
Am 22. Februar hat MSF den Bericht „Lives in the Balance“ („Leben in der Schwebe“) veröffentlicht. Der Bericht schildert die Situation von Menschen in Myanmar, die an HIV/Aids und Tuberkulose erkrankt sind. Besonderes Augenmerk wird dabei auf multiresistente Tuberkulose gelegt. Die Geberländer werden darin dringend aufgerufen, finanzielle Mittel und Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Nur so kann Myanmar die verheerende Lücke schliessen, die zwischen den Bedürfnissen der Menschen und dem tatsächlichen Zugang zur Behandlung klafft.
22. Ferbuar 2012