Kamerun: Die zentralafrikanischen Flüchtlinge sind traumatisiert
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MSF leistet medizinische Hilfe in den temporären Lagern für Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik.
Seit einigen Tagen ist Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) in der kamerunischen Stadt Garoua-Boulaï tätig, die an die Zentralafrikanische Republik grenzt. In den vergangenen Wochen haben mehr als 22'000 zentralafrikanische Flüchtlinge die Grenze überquert. Für viele von ihnen war es eine beschwerliche und gefährliche Reise. Bei ihrer Ankunft in Kamerun sind sie völlig erschöpft. Sylvain Mathieu, Notfallkoordinator von MSF, schildert die Lage in den kamerunischen Transitlagern.
Warum ist MSF in Kamerun tätig?
Die Auseinandersetzungen, die in der Zentralafrikanischen Republik zwischen den Anti-Balaka-Milizen und den Ex-Seleka-Rebellen stattgefunden haben, sowie die Verfolgung der Muslimen haben die Flucht eines Teils der zentralafrikanischen Bevölkerung Richtung Kamerun verursacht. Zwischen den beiden Ländern gibt es drei Hauptgrenzübergänge: Ngaoui in der Region Adamaoua sowie Garoua-Bolaï und Kentzou im Osten. Garoua-Boulaï liegt auf der Hauptsache, die Kamerun mit der zentralafrikanischen Hauptstadt verbindet und war lange Zeit ein obligatorischer Halt für die Lastwagen, die Bangui belieferten. Die meisten Flüchtlinge kommen per Pick-up oder Lastwagen an und mischen sich unter die Bewohner von Garoua-Boulaï. Dieses städtische Umfeld erschwert die Erfassung der Flüchtlinge.
Zurzeit befinden sich gegen 4'500 Flüchtlinge in Garoua-Boulaï und fast 10'000 in einem anderen Transitlager in Méganga. Weitere Flüchtlinge sind an mehreren anderen Orten erfasst worden. Wir erwarten einen grossen Zustrom in den kommenden Tagen.
In welchem Zustand sind die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Garoua-Boulaï?
Die Flüchtlinge sind völlig erschöpft, und die meisten haben nur die Kleider, die sie am Leib tragen. Einige sind bei guter Gesundheit, aber sehr müde. Bevor sie die Grenze passierten, waren sie stundenlang zu Fuss unterwegs gewesen und hatten nur gegessen, was sie auf dem Weg finden konnten: einige Blätter und Wurzeln. Sie sind physisch und psychisch sehr geschwächt, aber vor allem sind sie traumatisiert. Es kommt vor, dass Patienten während der Sprechstunde in Tränen ausbrechen.
Wir hatten bisher zwei Personen mit Schussverletzungen, die wir in das Spital überwiesen haben, wo sie besser betreut werden können.
Einige Flüchtlinge haben uns erzählt, dass bewaffnete Männer Steine auf ihren Konvoi warfen. All dies kommt zu ihren traumatischen Erlebnissen dazu. Man hört furchtbare Geschichten: Ein Flüchtling hat uns erzählt, dass er fast getötet wurde, als bewaffnete Männer bei ihm eindrangen, nachdem sie seinen Nachbarn umgebracht hatten. Er versteckte sich darauf im Busch, wo er auf andere Flüchtlinge traf und mit ihnen anschliessend die Lastwagen der Internationalen Unterstützungsmission in der Zentralafrikanischen Republik (MISCA) bestieg. Dieser Mann entkam dem Tod ein zweites Mal, als sein Lastwagen angegriffen wurde. Dank dem Chauffeur, der für seine Freilassung bezahlte, kam er schliesslich wohlbehalten in Kamerun an. Dieser Flüchtling erfuhr später, dass sein Dorf, das in der Nähe von Baoro liegt, komplett niedergebrannt wurde und die Mehrheit der Bewohner getötet wurden.
Was macht MSF vor Ort?
Zunächst konzentrieren wir uns auf die medizinische Grundversorgung. Innerhalb von einer Woche haben unsere Teams 900 Sprechstunden abgehalten. Wir hatten viele Kinder mit Malaria wie auch mit Atemwegsinfektionen. Sorgen bereiten uns auch die Fälle von Masern, die wir erfasst haben. Unsere Kollegen jenseits der Grenze berichten uns von einem hohen Vorkommen von schwerer Mangelernährung in der Zentralafrikanischen Republik. Deshalb werden wir umgehend die Betreuung von schweren Fällen von Mangelernährung organisieren, dies in Zusammenarbeit mit dem kamerunischen Gesundheitsministerium und anderen NGOs vor Ort. MSF beabsichtigt zudem, die Arbeit in einem anderen Lager aufzunehmen, das in den nächsten Tagen in Borgoné, 45 Kilometer von Garoua-Boulaï, errichtet werden soll. Zwei weitere Transitlager sind in der Region Adamaoua geplant. Wir behalten die Situation im Auge, um bei Bedarf in diesen Lagern Hilfe zu leisten.
Was sind die Bedürfnisse der Flüchtlinge, die über die Grenze kommen?
Als Erstes brauchen sie Nahrung. Es ist sehr schwierig für sie, Nahrung zu beschaffen. Oftmals haben sie weite Strecken zu Fuss zurückgelegt. Aus Angst vor Angriffen haben die meisten bei ihrer Flucht praktisch nichts mitgenommen, nicht einmal etwas zu Essen. Diese Flüchtlinge brauchen ebenfalls psychologische Hilfe. Von einem Tag auf den anderen mussten einige erleben, wie sich ihre Nachbarn wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit gegen sie wandten. Das hat tiefe Spuren hinterlassen.
MSF ist seit 1984 in Kamerun tätig. In Akonolinga behandelt die Organisation Patienten mit Buruli-Ulkus und betreute bis vor Kurzem Menschen mit HIV/Aids in Douala. MSF unterstützt ausserdem das Gesundheitsministerium nach Naturkatastrophen oder beim Ausbruch von Epidemien.