Leben mit Diabetes im Libanon: Ein täglicher Kampf für tausende syrische Flüchtlinge
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Die schwierigen Lebensbedingungen und beschränkte finanzielle Mittel erschweren es Flüchtlingen, ihrer Krankheit die nötige Beachtung zu schenken.
«Unser Haus wurde bombardiert, und ich floh aus Raqqa (Syrien) mit meinen Schwestern und meinen Eltern. Nach einigen Wochen im Libanon hatte ich kein Insulin mehr. Ich kehrte mit meinem Vater nach Syrien zurück, weil die Medikamente dort dreimal weniger kosten », erzählt die 19-jährige Amina, die seit einem Jahr gemeinsam mit sechs Familienangehörigen unter einer Plane in der Bekaa-Ebene lebt. «Ich war vier Jahre alt, als bei mir Diabetes diagnostiziert wurde. Ich habe immer Insulin genommen – mit Ausnahme von jetzt, weil es einfach zu teuer ist», fügt sie hinzu.
In einem Land, wo das Gesundheitssystem privatisiert wurde, sind die Arzt- und Medikamentenkosten ein grosses Hindernis für Familien, die kaum genügend Geld für Nahrung und Unterkunft haben. Obschon das Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) 75 Prozent der ärztlichen Kosten übernimmt, bleiben die Ausgaben für die Patienten hoch – insbesondere wenn man bedenkt, dass dazu noch Laborkosten und Reisespesen kommen.
Das Leben mit Diabetes bedeutet für tausende syrische Flüchtlinge im Libanon einen täglichen Kampf. Da sie häufig nur begrenzt Zugang zu medizinischer Versorgung haben, macht sie ihre Krankheit und daraus resultierende Komplikationen noch anfälliger. Ihre beschränkten finanziellen Mittel verunmöglichen zudem eine gesunde Ernährung.
Regelmässige Überwachung nötig
«Bei Diabetes handelt es sich um eine Stoffwechselstörung, die einen erhöhten Blutzuckerspiegel verursacht», erklärt Dr. Maria Lightlower, die verantwortlich für die medizinischen Aktivitäten von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Libanon ist. «Die Bauchspeicheldrüse, die das Hormon Insulin zur Regulierung des Zuckerspiegels abgibt, erfüllt ihre Funktion nicht oder nur unzureichend.» Die Kranken müssen ihren Blutzuckerspiegel selbst regulieren, mittels Insulininjektionen oder indem sie eine strikte Ernährung einhalten, kombiniert mit körperlicher Betätigung. Ist dies nicht der Fall, kann es zu schwerwiegenden Folgen und bleibenden Schäden kommen, umso mehr, als Diabetes eine fortschreitende Krankheit und unheilbar ist.
«Eine der häufigsten Komplikationen ist ein Gefühlsverlust in den Beinen und Füssen», fährt Dr. Lightlower fort. «Schlechte Durchblutung kann Geschwüre oder Infektionen verursachen, die bei fehlender Behandlung schlimmstenfalls eine Amputation erforderlich machen. Häufig kommt es auch zu einer Schädigung der kleinen Blutgefässe, welche die Netzhaut versorgen, was eine Verminderung des Sehvermögens zur Folge hat und sogar zu Blindheit führen kann.»
Prekäre Lebensbedingungen mit gefährlichen Folgen
Gründliche Kenntnisse der Patienten ihrer Krankheit und ein allgemein gesunder Lebenswandel sind entscheidend. Unter den prekären Bedingungen, unter denen Flüchtlinge leben, ist dies jedoch kein einfaches Unterfangen.
«Ich habe im Krieg alles verloren. Heute bin ich für meine ganze Familie verantwortlich, ich muss mich um sie kümmern», erzählt Mohammad, der seit zwei Jahren als Flüchtling im Libanon lebt. «Ich gebe mir Mühe, auf meinen Körper achtzugeben, um jegliches Risiko einer Amputation zu vermeiden. Ich befolge die Ratschläge meines Arztes, und meine Frau achtet sehr auf meine Ernährung.»
Es sind nicht nur die finanziellen Ausgaben, die für die Betroffenen eine Herausforderung darstellen. Gewisse Flüchtlinge schenken der Krankheit ganz bewusst keine Beachtung, aus Überdruss oder Mangel an Zukunftsperspektiven. «Weshalb sollte ich unter diesen Bedingungen weiterleben wollen? Wenn ich sterben muss, dann sterbe ich. Also rauche ich», entfährt es Ismael, Flüchtling in der Bekaa-Ebene.
Aktivitäten von MSF im Libanon für syrische Flüchtlinge
Seit 2012 betreut MSF im Libanon Patienten mit chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Betroffene können im Spital Dar El Zahra in Tripoli und vier weiteren Kliniken in der Bekaa-Ebene von einem umfassenden Pflegeangebot profitieren. Dieses Programm wurde ins Leben gerufen, nachdem bei den syrischen Flüchtlingen im Libanon schon kurz nach Ausbruch der Krise eine erhöhte Erkrankungsrate festgestellt wurde. Bis heute konnten in diesen zwei Jahren bereits mehr als 50‘000 chronisch Kranke von einer Behandlung profitieren, was die grosse Bedeutung dieses Projekt bestätigt.