Libanon: Hilfe für die Schwächsten
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Seit drei Jahren bietet MSF in zwei Flüchtlingslagern im Libanon psychologische Betreuung an. Dies sowohl für palästinensische Flüchtlinge als auch für gefährdete Libanesen aus der Region. Nach der Ankunft von 4'500 Syriern, die vor den Unruhen in ihrer Heimat geflüchtet sind, hat MSF nun ein weiteres Programm im Norden Libanons eröffnet. Bruno Jochum, Generaldirektor von MSF Schweiz, ist soeben aus der Region zurückgekehrt.
Was war der Anlass für Ihre Libanonreise?
1976 führte MSF in Libanon zum ersten Mal einen Einsatz in einem Kriegsgebiet aus und wurde zu einer professionellen medizinischen Nothilfeorganisation. Kürzlich haben wir unser 40-jähriges Bestehen gefeiert, und es scheint uns wichtig, unsere Grundsätze der finanziellen und medizinischen Unabhängigkeit, der Neutralität und Unparteilichkeit weiterhin klar zu kommunizieren. Wir sind der Ansicht, dass es wichtig ist, über diese Prinzipien öffentlich zu reden – wie wir es im Dezember in Beirut getan haben anlässlich der Lancierung eines Buches in arabischer Sprache mit dem englisch lautenden Titel „In the Eyes of Others: Perceptions of Humanitarian Action and of MSF“ (In den Augen anderer: Sichtweisen zu Humanitärer Arbeit und MSF.) Meinen Aufenthalt im Libanon nutzte ich dazu, gegenüber den Behörden und den Menschen in der Region nochmals die Bereitschaft und das Engagement von MSF zu bekräftigen, in humanitären Notlagen medizinische Hilfe anzubieten, die unabhängig, neutral und unparteiisch ist.
Warum ist MSF im Libanon tätig?
Nach der unmittelbaren Nothilfe, die auf den Krieg 2006 [zwischen Israel und der Hisbollah] folgte, stellte MSF mit Besorgnis fest, dass in Bezug auf psychologische Betreuung äusserst wenig getan wurde.
MSF hat im Libanon mehrere Programme für mentale Gesundheit für Palästinenser und Libanesen in und um die zwei grössten Flüchtlingslager lanciert: Burj el-Barajneh in Beirut und Ein el-Hilweh in Saida. In den vergangenen drei Jahren konnten über 2'200 Patienten von kostenloser psychologischer und psychiatrischer Betreuung profitieren, von sozialer Unterstützung und Aktionen zur Förderung der mentalen Gesundheit. Insgesamt wurden 15'500 Konsultationen durchgeführt.
Weshalb hat sich MSF für ein Engagement im Norden des Libanons entschieden?
Angesichts Tausender von Syriern, die auf der Flucht vor der Gewalt in ihrem Land im Libanon Schutz suchen und von denen viele verletzt sind, entschieden wir uns dazu, medizinische Teams zu entsenden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen. So haben wir Ende November 2011 ein neues Gesundheitsprogramm in Wadi Khaled, im Norden des Libanons, lanciert. Dank unserem bereits dreijährigen Engagement im Libanon sind wir in der Lage, die Gesundheitssituation der ankommenden Syrier genau zu überwachen.
Die Hilfe, die wir heute anbieten können, ist begrenzt. Zunächst haben wir in den Gesundheitszentren nahe der syrischen Grenze Hilfsgüter bereitgestellt. Zusätzlich zur psychologischen Betreuung baut MSF die Kapazität in der Region weiter aus, um auch auf massive Flüchtlingsströme aus Syrien entsprechend vorbereitet zu sein. So werden etwa die epidemiologische Überwachung, Impfungen, die Behandlung chronischer Krankheiten oder das medizinische Nothilfe-Material ausgebaut und konstant die medizinischen Bedürfnisse abgeklärt. Ausserdem garantiert die Präsenz einer unabhängigen, internationalen medizinischen Organisation wie MSF den Ankömmlingen aus Syrien Neutralität.
Wie beurteilen Sie die Lage im Norden des Libanons?
Die meisten Syrier, die aus ihrer Heimat flohen, mussten ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen. Zwar ist die Situation im Libanon relativ stabil. Wie sich die Lage in Syrien entwickeln wird, ist allerdings schwierig vorherzusehen. Als medizinische humanitäre Hilfsorganisation müssen wir auf einen möglichen massiven Zustrom von Menschen vorbereitet sein. Unser Ziel ist es, für die Syrier auf der Flucht vor Gewalt medizinische Versorgung bereitzuhalten.
Wie steht es um die humanitäre und medizinische Situation in Syrien?
Bis heute sind wir nicht in der Lage, uns ein genaues Bild von der humanitären und medizinischen Situation in Syrien zu machen, ebenso wenig von der Bandbreite der herrschenden Bedürfnisse. Basierend auf unseren Erfahrungen in Libyen und Bahrain sowie auf Erzählungen von Patienten und Ärzten in Syrien können die Verwundeten in öffentlichen, von der Regierung geführten Spitälern wahrscheinlich nicht behandelt werden, da sie dort besonders schutzlos wären. Der Zugang zu angemessener medizinischer Nothilfe ist zurzeit für die syrische Zivilbevölkerung mit enormen Schwierigkeiten verbunden.
MSF hält sich weiterhin bereit, die syrische Bevölkerung im Rahmen ihrer humanitären und medizinischen Bedürfnisse zu unterstützen, sobald ein Zugang bewilligt wird. Wir sind sehr besorgt darüber, dass Opfer des Konflikts keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben und bekräftigen das Recht der Syrier, der Gewalt zu entfliehen, um Schutz und medizinische Unterstützung zu finden.