Libanon: "Wir sind doch keine Touristen: Wir sind Kriegsflüchtlinge“

Enfants jouant dans le camp de réfugiés d'Ain el-Helweh, Liban.

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Für viele syrische Flüchtlinge ist es ein Kampf, die Familie zu ernähren oder ein Dach über dem Kopf zu haben. Am Weltflüchtlingstag macht Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) darauf aufmerksam, dass die unzumutbaren Lebensumstände der Flüchtlinge grossen Einfluss auf deren Gesundheit haben.

Al Marj liegt in der Bekaa-Ebene, wo die meisten syrischen Flüchtlinge ankommen. „Wir schlafen zu sechst auf zwei dünnen Matratzen, mein Mann und ich auf den beiden Seiten, und dazwischen breiten wir Decken über die Kinder. Mehr haben wir nicht.“

Mangel an angemessenen und bezahlbaren Unterkünften

Für Flüchtlinge aus Syrien ist es fast unmöglich geworden, eine Unterkunft zu finden. In einigen Fällen können die Flüchtlinge auf Unterstützung durch Verwandte zählen, aber für die meisten ist dies nicht der Fall. „Am schwierigsten ist es, das Geld für die Miete aufzubringen. Bis zu 600 US-Dollar pro Monat werden verlangt, aber wir sind doch keine Touristen: Wir sind Kriegsflüchtlinge. Manchmal werden sogar mehrere Monatsmieten im Voraus von den Flüchtlingen verlangt“, berichtet Amar, der vor drei Monaten mit seinen vier Kindern aus Damaskus geflohen ist. Wie viele andere besass er bei seiner Ankunft im Libanon nichts als seine Kleider am Leib.
„Die Flüchtlinge sind über die ganze Bekaa-Ebene verstreut, eine der ärmsten Regionen des Landes“, erklärt Tania Miorin, die MSF-Einsatzverantwortliche vor Ort. „Weil es hier kaum bezahlbare Unterkünfte gibt, haben sich viele Flüchtlinge in Rohbauten, Garagen oder Zelten eingerichtet, wo sie sich den engen Raum mit anderen Familien teilen müssen.“ Und während die Flüchtlinge kaum für den Grundbedarf aufkommen können, wird es für sie – und auch für die Libanesen – immer schwieriger, Arbeit zu finden. Immer mehr Menschen sind bereit, für niedrigste Löhne zu arbeiten. „Ich mache kleine Tages-Jobs, was immer ich auch finden kann. Und wenn ich nichts habe, muss ich betteln gehen“, sagt Shadi, Wafas Ehemann.

Auswirkungen auf den Gesundheitszustand

In der Stadt Baalbek in der Bekaa-Ebene sind ungefähr 400 syrische Flüchtlinge in einer ehemaligen Schule untergekommen. Mehrere Familien teilen sich jeweils ein Klassenzimmer, während andere in Zelten im Hof leben. „In einem Klassenzimmer können bis zu 20 Personen wohnen, die Familien sind durch Trennwände aus Plastik getrennt. Die Menschen leben, schlafen und kochen alle im selben Raum. Bis zu zehn Familien müssen sich ein einziges Badezimmer als Dusche und Toilette teilen. Weil Lagerräume fehlen, ist es schwierig, Lebensmittel aufzubewahren“, sagt Khaled Osman, ein lokaler MSF-Krankenpfleger, der die Flüchtlinge regelmässig besucht, um ihre Bedürfnisse zu ermitteln. „Dies wirkt sich auf den Gesundheitszustand aus und nicht zuletzt auch auf die Psyche.“
In den anderen Landesregionen ist die Lage nicht besser, da in den vergangenen Monaten zahlreiche weitere Flüchtlinge eingetroffen sind, darunter auch Palästinenser aus Syrien, die in die bereits überfüllten palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon strömen. „Ungefähr die Hälfte unserer Patienten leidet wegen des Wetters und der schwierigen Lebensbedingungen an Atemwegserkrankungen”, erklärt Dr. Wael Harb, der die medizinischen Tätigkeiten von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) in der Bekaa-Ebene leitet. „Die Menschen haben kaum Zugang zu Trinkwasser und die hygienischen Bedingungen sind so schlecht, dass sich Krankheiten leicht ausbreiten können. Viele Leute kommen mit Hautinfektionen zu uns wie etwa der Krätze, die oft von Familienmitglied zu Familienmitglied übertragen wird.“
In dieser Jahreszeit ist hier bald mit grosser Hitze zu rechnen. In Verbindung mit dem Mangel an sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen erhöht dies in den Sammelunterkünften und Zeltlagern das Risiko von Durchfallerkrankungen, die durch verunreinigtes Wasser übertragen werden. „Wir beobachten die Situation genau, um nötigenfalls sofort eingreifen zu können“, sagt Tania Miorin.

Beschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung

Die beim UNHCR (Flüchtlingskommissariat der UNO) registrierten syrischen Flüchtlinge müssen gegenwärtig 25 Prozent ihrer Gesundheitskosten selber bezahlen, während das UNHCR den Rest übernimmt. Aber auch ein Viertel der Gesundheitskosten stellt für viele Flüchtlinge eine grosse finanzielle Belastung dar. „Wir schaffen es kaum, Geld für die Miete und das Notwendigste für die Kinder aufzubringen. Es gibt zwar einen Gesundheitsposten, der näher bei unserer Unterkunft liegt, aber dort hätte ich zahlen müssen. Da kaufe ich lieber Brot für meine Kinder“, erzählt eine Mutter von vier Kindern in einer MSF-Klinik, wo die Sprechstunden und die Behandlung kostenlos sind.
Nach der Registrierung durch das UNHCR haben die Flüchtlinge zwar Anrecht auf gewisse Dienstleistungen der UN-Partnerorganisationen, aber die Registrierung dauert oft zwei bis drei Monate. „Wir bieten unsere Dienstleistungen allen an, die eine medizinische Versorgung benötigen, ob sie registriert sind oder nicht“, erklärt Fabio Forgione, der den MSF-Einsatz im Libanon leitet. „Der medizinische Bedarf ist aber bei Weitem nicht gedeckt. Erst kürzlich wurde die Kostenübernahme für die Gesundheitspflege des UNHCR und seiner Partner wegen fehlender Mittel von 85 auf 75 Prozent gekürzt. Dies dürfte den Zugang der Flüchtlinge zur medizinischen Pflege stark beeinträchtigen, besonders was die Spitaleinweisungen betrifft.“
MSF hat in den vergangenen Monaten die Aktivitäten in der Bekaa-Ebene und anderen Landesteilen wie etwa den Städten Tripoli und Saida intensiviert, um die anhaltenden Flüchtlingsströme und den wachsenden medizinischen Bedarf zu bewältigen. In verschiedenen Kliniken bietet MSF auch psychologische Betreuung an, damit sowohl die Flüchtlinge als auch die einheimischen Gastgeber diese schwierige Zeit besser überstehen können. Zudem wurden Programme gegen chronische Krankheiten und für die Mutter-Kind-Versorgung begonnen, da in diesen Bereichen kaum Hilfeleistungen bestehen.