Madagaskar: Klimawandel verschärft Ernährungsunsicherheit
© Miora Rabearisoa/MSF
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Als eines der am stärksten vom Klimawandel bedrohten Länder ist Madagaskar besonders anfällig für wiederkehrende Naturkatastrophen. Die verheerenden Wirbelstürme Batsirai und Emnati haben dies 2022 einmal mehr verdeutlicht: Sie zerstörten wichtige Teile der Infrastruktur und die Ernten, was die Ernährungslage in dem ohnehin schon gebeutelten Südosten des Landes weiter verschlechterte. Bei 19 195 Kindern unter fünf Jahren wurde Mangelernährung festgestellt. Daraufhin startete Ärzte ohne Grenzen in der Region ein Nothilfeprogramm.
«Die Wirbelstürme Batsirai und Emnati haben unsere Ernten zerstört. Was den Sturmböen standhalten konnte, wurde von den Wassermassen weggeschwemmt. Seitdem haben wir nicht mehr genug Nahrungsvorräte für das ganze Jahr. Uns steht eine Hungersnot bevor», sagt Soa Arilette, Mutter eines mangelernährten Kindes, das von Ärzte ohne Grenzen in Ambolomadinika, einem Dorf im Distrikt Ikongo, behandelt wurde.
Soa Arilette ist nicht die Einzige, die mit diesen Herausforderungen konfrontiert ist. Die Landwirtschaft ist die Haupteinkommensquelle für die Bevölkerung, und die beiden Wirbelstürme haben die Nahrungsversorgung stark beeinträchtigt. Die Überschwemmungen zerstörten Reis-, Maniok- und Gemüseanbauflächen, während die starken Stürme die Ernten beschädigten. In einem Bericht des Agrarministeriums Madagaskars von 2022 wird geschätzt, dass über 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes von den Katastrophen getroffen wurden, was über 98 000 Haushalte in die Armut trieb.
Drastischer Wandel der Ernährungslage
Im südöstlichen Ikongo-Distrikt ist Ärzte ohne Grenzen seit 2022 tätig. Hier war Mangelernährung vor den Wirbelstürmen eher selten und lag konstant bei rund 1 Prozent. Nach dem Durchzug von Batsirai und Emnati 2022 schnellte die Mangelernährungsrate jedoch auf 17 Prozent, bevor sie sich 2024 auf 6 Prozent einpendelte. Dies zeigt, wie schwierig es für die betroffene Bevölkerung ist, sich von diesen Rückschlägen zu erholen.
Noch nie war es für uns so schwierig, uns selbst zu versorgen. Seit Batsirai ist alles zusammengebrochen. Unsere Erntevorräte reichen kaum für das ganze Jahr aus, und wir haben es schwer, genug Nahrung aufzutreiben.
Obwohl die Menschen die landwirtschaftliche Tätigkeit seit den Wirbelstürmen wieder aufnehmen konnten, reichen die Ernteerträge nach wie vor nicht aus, um die erntelosen Zeiten von Februar bis April und von Oktober bis Dezember zu überbrücken. Diese Perioden fallen mit der Regen- und Wirbelsturmzeit zusammen, was das Saatgut anfällig macht. In Ikongo steigt die Zahl der wegen Mangelernährung eingewiesenen Fälle dann auf 300 bis 700 pro Monat an. Zum Vergleich: Während der Erntezeit sind es 90 bis maximal 200 Spitaleinweisungen.
«Während der Erntezeit hat die Bevölkerung mehr oder weniger genug zu essen. Aber in der übrigen Zeit haben die Menschen wirklich Schwierigkeiten, an Nahrung zu kommen. Da Kinder am anfälligsten sind, ist die Lage für sie besonders schlimm», erklärt Ambinison John Léon, Leiter des Gesundheitszentrums in Ambolomadinika. Das Zentrum ist eines der sechs auf Mangelernährung spezialisierten Kliniken, die von Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Ikongo unterstützt werden.
Die Versorgungslage in der Region ist stark von den Klimabedingungen abhängig, und der Klimawandel wirkt sich erheblich auf die Ernährungssicherheit aus. Wiederholte Zyklone und Überschwemmungen machen die Ernten zunehmend unsicher – und begünstigen Mangelernährung. Diese hängt in landwirtschaftlichen Regionen wie Ikongo weitgehend von der Regen- und Zyklonsaison ab. Laut Schätzungen einer IPC-Analyse zur Ernährungssicherheit von Juni 2024 werden bis April 2025 über 63 700 Menschen, also 25 Prozent der Bevölkerung Ikongos, von akuter Ernährungsunsicherheit bedroht sein.
Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Ikongo
Die Lage im Ikongo-Distrikt im Südosten Madagaskars veranschaulicht, was geografische Isolation und Gefährdung durch Klimakatastrophen konkret bedeuten. Schlechte Strassenverhältnisse und sich häufende Naturkatastrophen erschweren hier den Zugang zu medizinischer Versorgung und die Bereitstellung humanitärer Hilfe.
Seit 2022 arbeiten die Teams von Ärzte ohne Grenzen Seite an Seite mit dem Gesundheitsministerium, um Mangelernährung zu bekämpfen – mit ersten Erfolgen für die Ernährungssituation im Distrikt Ikongo. Dr. Faustin Yamtemadji, medizinischer Referent des Ikongo-Projekts, sagt: «Die Ernährungssituation im Ikongo-Distrikt hat sich verbessert, seitdem Ärzte ohne Grenzen das Ministerium bei der Bekämpfung von Mangelernährung unterstützt. Von Anfang 2023 bis Juni 2024 ist schwere Mangelernährung um mehr als 50 Prozent und mittelschwere Mangelernährung um 8 Prozent zurückgegangen.»
Seit Projektstart behandelten unsere Teams 4140 Kinder wegen Mangelernährung. Dabei lag der Fokus anfangs nur auf den schwersten Fällen akuter Mangelernährung. Im Februar 2024 ging man dann dazu über, auch mittelschwere Mangelernährung zu behandeln, um eine breitere Wirkung zu erzielen. Heute unterstützt Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Ikongo das ganze Jahr über sechs Gesundheitszentren, in denen ambulante Ernährungstherapie angeboten wird, und eine ernährungstherapeutische Intensivstation.
In den kommenden Monaten plant Ärzte ohne Grenzen, ihre Massnahmen durch die Zusammenarbeit mit weiteren Partnerorganisationen, dem Gesundheitsministerium und der Lokalbevölkerung zu intensivieren, um die Auswirkungen des Klimawandels besser zu bekämpfen. In einem multidisziplinären Projekt sollen medizinische Leistungen sichergestellt und gleichzeitig Umweltprobleme angegangen werden. Im Fokus stehen dabei die Sicherung der Existenzgrundlagen, der Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie Bildung.
Nach den verheerenden Wirbelstürmen Batsirai und Emnati im Jahr 2022 leistete Ärzte ohne Grenzen in den Distrikten Nosy Varika und Ikongo medizinische Nothilfe. Die in Nosy Varika mobilisierten Teams konzentrierten sich auf Mutter-Kind-Gesundheit, Mangelernährung, Wasserversorgung und den Wiederaufbau von Gesundheitszentren. Ärzte ohne Grenzen ist weiterhin im Distrikt Ikongo präsent, um den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen in Madagaskar Unterstützung zu bieten.
© Miora Rabearisoa/MSF