Sudan: „Kala-Azar ist eine seltsame Krankheit“

Roghaya et sa fille de sept ans ont voyagé toute la nuit depuis le village de Shashola. Elles attendent devant la salle d’examen depuis sept heures du matin.

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Seit Januar 2010 führt MSF im Bundesstaat Al-Gedaref im Osten des Sudan ein Behandlungszentrum für die Tropenkrankheit Kala-Azar. Wir sprachen mit dem verantwortlichen Arzt des Projekts.

Dagemlidet Worku verfügt über eine grosse Erfahrung im Umgang mit Kala-Azar. Diese von den Pharmaunternehmen vernachlässigte Krankheit betrifft jährlich eine halbe Million Menschen, hauptsächlich in Asien und in Afrika. Der aus Äthiopien stammende Arzt Dagemlidet Worku hat Patienten in Uganda und in Kenia behandelt. Im Januar 2010 war er für die Einrichtung eines Behandlungszentrums im Bundesstaat Al-Gedaref, 500 Kilometer östlich der sudanesischen Hauptstadt Khartum, verantwortlich. Al-Gedaref ist erfahrungsgemäss eine der Regionen, die am stärksten von Kala-Azar betroffen ist, obwohl gegenwärtig auch der Südsudan mit einer beispiellosen Epidemie zu kämpfen hat. Wir unterhielten uns mit Dagemlidet Worku nach seiner Rückkehr aus Al-Gedaref.

Was hat Sie bei Ihrer Ankunft im Sudan am stärksten berührt?

Dagemlidet Worku: In Kenia behandelte ich durchschnittlich 60 bis 70 Fälle pro Monat. Als wir unsere Arbeit im Kala-Azar-Behandlungszentrum in Al-Gedaref aufnahmen, kamen im Januar bis zu 150 Patienten pro Tag zu uns. Heute sind es ungefähr 100 im Monat. Einige davon nahmen Wege von bis zu 130 Kilometer auf sich, um sich behandeln zu lassen. Das Gebäude war nicht gross genug und wir mussten die Menschen unter einem Baum behandeln. Danach wurden die Patienten in provisorische Unterkünfte überwiesen, bis wir schliesslich eine neue Abteilung einrichten konnten. Im Gegensatz zu meinen sudanesischen Kollegen war ich sehr erstaunt über diesen Zulauf von Patienten.

Al-Gedaref ist eine der am stärksten betroffenen Regionen im Sudan; es gibt Dörfer, in denen alle Bewohner an Kala-Azar erkrankt sind. 85 Prozent der im Nordsudan registrierten Krankheitsfälle treten in diesem Bundesstaat auf.

Wieso ist gerade diese Region so stark betroffen?

Das Klima und die Topographie von Al-Gedaref sind besonders vorteilhaft für die Sandmücken, die diese Krankheit übertragen. Die Insekten nisten sich nach der Regenzeit in den Rissen im Boden oder in Baumstämmen ein.

Da sich insgesamt nur zehn Gesundheitszentren auf die Behandlung von Kala-Azar spezialisiert haben, kommen auch Patienten aus anderen Bundesstaaten für eine Behandlung zu uns. In Al-Gedaref wird die Entwicklung der Krankheit am strengsten überwacht. Ich bin mir sicher, dass die rekordverdächtigen Zahlen in Al-Gedaref rasch sinken würden, wenn der Krankheit in anderen Regionen des Sudans dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt würde.

Trotz dieser Bemühungen ist die Krankheit noch immer nicht unter Kontrolle.

Wir benötigen mehr finanzielle Mittel. Al-Gedaref ist zu einem wichtigen Kala-Azar-Forschungszentrum geworden, aber es gibt nicht genügend Studien, die sich mit der Verbesserung der Diagnose und der Behandlungsmöglichkeiten befassen. So wurde beispielsweise das Erstlinienmedikament SSG bereits in den dreissiger Jahren entwickelt. Und das von MSF verwaltete Behandlungszentrum verwendet als einziges einen diagnostischen Schnelltest, der sehr einfach anzuwenden ist. Bei diesem Test wird dem Patienten eine Blutprobe vom Finger entnommen.

Kala-Azar ist eine seltsame Krankheit. Einige der Symptome können variieren, je nachdem, ob man sich in Kenia oder im Sudan befindet. Auch die Wirksamkeit der Schnelltests und der Behandlungen sind von Land zu Land unterschiedlich. In Indien beispielsweise können Patienten durch eine einzige intravenöse Dosis der Lipidformulierung Amphotericin B, dem Zweitlinienmedikament, geheilt werden. In Afrika hingegen funktionieren Einzeldosen nicht. Ohne eine gezielte angewandte Forschung bleiben solche Unterschiede ein Rätsel.

Wieso sind Kinder stärker von Kala-Azar betroffen?

Kinder haben ein schwächeres Immunsystem und sind daher anfälliger für Infektionen. Nicht alle Menschen, die mit Kala-Azar in Berührung kommen, erkranken auch daran. Des Weiteren sind Patienten, die bereits behandelt wurden, anschliessend gegen die Krankheit immun. Es ist auch nicht erstaunlich, dass HIV/Aids-Patienten stärker davon betroffen sind, da ihr Immunsystem bereits geschwächt ist.

Wie kann diese Krankheit ausgerottet werden?

Als medizinische Organisation versucht MSF so vielen Patienten wie möglich zu helfen. Im Jahr 2010 haben wir um die 7‘000 Menschen getestet und ungefähr 1‘200 Fälle behandelt. Die Heilungsrate liegt bei 96 Prozent; wenn ein Patient einmal geheilt wurde, ist er anschliessend immun. Das ist der beste Weg, die Krankheit einzudämmen.

Um Kala-Azar auszurotten, müssen die Lebensbedingungen verbessert werden. Im Sudan, aber auch in anderen Gebieten, trifft es insbesondere die ärmsten Bevölkerungsschichten. Die Krankheit greift vor allem diejenigen an, die bereits durch Mangelernährung geschwächt sind. Da die getrockneten Lehmwände der Häuser eine ideale Zuflucht für die Kala-Azar übertragenden Sandmücken bieten, wäre deren Abdeckung durch Plastikplanen eine einfache Massnahme. Aber die betroffenen Gemeinden können sich oft nicht einmal dies leisten. Die Wirksamkeit von Moskitonetzen zur Bekämpfung von Kala-Azar ist umstritten. Wie bei allen parasitären Erkrankungen empfiehlt MSF den Menschen, ihre Haut bedeckt zu halten. Das ist der einfachste und effizienteste Schutz gegen eine Ansteckung.