Syrien: „Die Verletzten kamen von überall“
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Die Chirurgin Anna Nowak war mit MSF bereits auf mehr als 20 Einsätzen weltweit. Sie ist soeben aus Syrien zurückgekehrt, wo sie beim Aufbau eines chirurgischen Projekts mitgeholfen hat.
Wie habt ihr es geschafft, dieses Nothilfe-Projekt trotz fehlender Bewilligung der syrischen Behörden aufzubauen?
Eine Gruppe syrischer Ärzte hat uns dabei unterstützt, einen Ort zu finden, an dem wir Operationen durchführen konnten. Nach einer ersten kurzen Besichtigung entschieden wir uns für eine leer stehende Villa. Das zweistöckige Haus mit acht Zimmern war noch im Bau, aber wir hatten keine andere Wahl. Sechs Tage lang haben wir wie verrückt gearbeitet, um den Ort in eine chirurgische Klinik umzuwandeln – mit einem Dutzend Spitalbetten, einem sterilen Raum, einem Operationssaal, einem Reanimationsraum für Notfälle und einem Aufwachraum. Wir hatten aber Schwierigkeiten, medizinisches Personal zu finden und auch Versorgungsprobleme, denn es ist sowohl riskant, medizinisches Material zu importieren wie auch dieses in Syrien zu kaufen.
Unter welchen Bedingungen habt ihr angefangen, Menschen zu operieren?
Die ersten Patienten kamen am 22. Juni, einen Tag, nachdem das Spital eröffnet wurde. Zunächst nahmen wir vor allem Verletzte auf, die bereits operiert worden waren. Leider waren die hygienischen Bedingungen schlecht, was generell ein erhöhtes Infektionsrisiko birgt. Als neue Konflikte ausbrachen, kam das Spital schnell an seine Grenzen. Nach ein paar Tagen nahmen wir bis zu sechs Verletzte auf einmal auf – eigentlich eine relativ moderate Zahl, aber hoch angesichts unserer Ressourcen und Behandlungskapazitäten. Dann kamen die Verletzten von überall her. Wir mussten uns andere Unterbringungsmöglichkeiten überlegen, mussten sogar Betten auf der Terrasse aufstellen. Manchmal kamen die Verletzen nicht tagsüber zu uns, wegen der Kämpfe, weil die Strassen blockiert waren oder die Fahrt zur Klinik zu riskant war. Manchmal kamen sie nachts oder im Morgengrauen. Es war anstrengend, obschon uns zahlreiche Begleitpersonen der Verletzten bei unserer täglichen Arbeit im Spital zur Hand gingen. Die Bereitschaft und Fürsorglichkeit dieser Menschen war wirklich rührend.
Welche Verletzungen hast du behandelt?
Wir haben vor allem Menschen versorgt, die durch Kugeln und Granaten verletzt worden waren. Sie haben meistens Wunden an den Armen oder Beinen, am Bauch oder Oberkörper. Die Mehrzahl der Patienten sind Männer, doch auch Frauen und Kinder kommen in unser Spital, oft jedoch zu spät. Im Moment finden etwa zehn Kilometer von uns entfernt Kämpfe und Bombardierungen statt. Unsere Patienten kommen manchmal von weit her, auch wenn sie unterwegs riskieren, dass sich ihre Wunden verschlimmern oder sie sogar sterben. Da fragt man sich, wie viele Hürden die Menschen in Syrien heute überwinden müssen, um eine gute medizinische Versorgung zu bekommen. Das gilt auch für Menschen, die nicht im Krieg verletzt wurden, sondern zum Beispiel Opfer eines Verkehrsunfalls geworden sind.
Was sind die grössten Schwierigkeiten bei einem solchen Einsatz?
Um die Risiken zu begrenzen, arbeitet das medizinische Personal in Syrien sehr diskret und vorsichtig, und viele der Kliniken verschwinden so schnell wieder, wie sie entstanden sind. Da ist ein Spital wie das unsere sehr wichtig für Verletzte, die Hilfe brauchen, und doch ist die Situation sehr heikel. Die mangelnde Sicherheit grenzt unsere Ressourcen und unsere Möglichkeiten zu helfen ein. Ein typischer Kriegsverletzter benötigt im Durchschnitt einen Spitalaufenthalt von fünf Tagen. Mit Ausnahme der schwersten Fälle haben wir manchmal Schwierigkeiten, die Patienten noch länger bei uns zu behalten. Patienten, die in der Nähe des Spitals wohnen oder bei Angehörigen oder Freunden unterkommen können, können für die Kontrolluntersuchungen oder den Verbandswechsel weiterhin zu uns kommen. Doch auch wenn die Solidarität unter den Menschen hier gross ist und viele Patienten vorübergehend in der Gegend bleiben können, verlassen einige das Spital, und wir hören dann nie wieder von ihnen.
Seit zwei Monaten arbeitet MSF auf syrischem Boden, um den vom Konflikt betroffenen Menschen Hilfe zu leisten.
Mit Hilfe einer Gruppe von syrischen Ärzten konnte ein Team von MSF innerhalb von sechs Tagen ein leeres Haus in ein Notfall-Spital umbauen, in dem Verletzte aufgenommen und operiert werden können.
Ab Mitte August hat MSF mehr als 300 Patienten in diese Einrichtung aufgenommen und 150 Operationen durchgeführt. Die Verletzungen waren zum grössten Teil durch die Auswirkungen des Konflikts verursacht worden, vor allem durch Panzer-Beschuss und Bombardierungen. Viele Patienten hatten Schusswunden erlitten. Die Mehrheit der Patienten waren Männer, aber rund ein Fünftel waren Kinder oder Jugendlliche unter 20 Jahren; der Anteil der Frauen betrug zwischen fünf und zehn Prozent. Das medizinische Team berichtet, dass zwei Drittel aller Behandlungen Notoperationen waren.
Hilfe nur begrenzt möglich
Die Zukunft des Projekts ist ungewiss. Zum einen arbeitet MSF ohne Genehmigung der syrischen Behörden, zum anderen sind unsere Aktivitäten durch Veränderungen des Konflikts und Probleme beim Zugang zu Material bedroht. Hinzu kommen die Schwierigkeiten, die die Verletzten haben, um das Spital zu erreichen.
In Anbetracht des Ausmasses der Gewalt in Syrien kann das MSF-Team, das aus nationalen und internationalen Mitarbeitern besteht, nur begrenzt medizinische Hilfe leisten. Diese Unterstützung ist jedoch essenziell für das Überleben der Menschen, die im Spital behandelt werden. Für unsere Mitarbeiter Anna, Kelly und Brian, die sich öffentlich äussern, sprechen die Patienten und die Art ihrer Wunden vom Einsatz schwerer Artillerie und der Gewalt eines Krieges, der Zivilisten nicht verschont.
Abgesehen von diesem chirurgischen Projekt verteilen wir in Syrien Medikamente und medizinische Hilfsgüter. Trotz der Schwierigkeiten beim Zugang zum Land, ist MSF weiterhin bereit, alle Opfer des Konflikts zu unterstützen. Wir werden unsere Aktivitäten in Syrien und den Nachbarländern ausbauen. In unserem Projekt für rekonstruktive Chirurgie in Amman, in Jordanien, nehmen wir monatlich derzeit rund 50 Verletzte Syrer auf. Zudem leisten wir auch psychologische Unterstützung sowie medizinische Grundversorgung für syrische Flüchtlinge im Libanon.