Syrien-Krise darf nicht in Vergessenheit geraten

Le Liban est devenu le plus grand camp de réfugiés au monde.

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Der Bürgerkrieg in Syrien geht in sein fünftes Jahr. Elf Millionen Menschen sind durch den Konflikt gezwungen worden, ihre Heimat zu verlassen. Davon leben 7,6 Millionen als Binnenvertriebene innerhalb ihres Landes, weitere fast vier Millionen sind in die Nachbarländer geflohen. Das Gesundheitssystem ist längst zusammengebrochen. Tatsächlich ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung eines der grössten Probleme in der Region und muss im Zentrum der Hilfsbemühungen stehen. Es ist dringend nötig, den Status Quo zu durchbrechen.

Der Libanon ist zum grössten Flüchtlingslager der Welt geworden. Dennoch erhält das Land nicht die Unterstützung, die nötig wäre, um die Bedürfnisse der fast 1,2 Millionen Flüchtlinge –die notabene einen Viertel der libanesischen Bevölkerung ausmachen – abzudecken. In der Folge hat der Libanon Einreisebeschränkungen für die syrischen Flüchtlinge erlassen und lässt sie nur noch tröpfchenweise die Grenze passieren. Das Ausmass dieses Kriegs, seine Dauer und seine politischen Implikationen für die Region beeinträchtigen das Recht der Syrer, vor den Verfolgungen in ihrem Land zu fliehen. Der in internationalen Abkommen erwähnte Grundsatz der Nichtzurückweisung wird mit Füssen getreten.
Durch die Arbeit in der Region wird Médecins Sans Frontières (MSF) immer wieder Zeuge von der ungenügenden medizinischen Hilfe für die Flüchtlinge. Nur ein Bruchteil der gesundheitlichen Bedürfnisse dieser Menschen wird heute abgedeckt: Die medizinischen Einrichtungen sind überlastet; die Hilfeleistungen der Vereinten Nationen und anderer Organisationen sind aufgrund fehlender Mittel begrenzt. Die Hilfswerke vor Ort können dadurch allzu häufig nur selektiv tätig sein. Diese Missstände stellen das libanesische Gesundheitssystem auf eine harte Probe und verschärfen die Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Sowohl für die Flüchtlinge als auch für die Libanesen sind die Kosten das grösste Problem: Immer mehr Menschen verfügen nicht über die Mittel für medizinische Dienstleistungen. In der Bekaa-Ebene hat gar jeder dritte Flüchtling – ungeachtet seines Status – überhaupt keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Im vergangenen Jahr führte MSF bei einer Vielzahl der Haushalte in der Bekaa-Ebene eine Befragung durch, die besorgniserregende Ergebnisse lieferte. So hatten die Menschen insbesondere in den Bereichen reproduktive Gesundheit, Pädiatrie und chronische Krankheiten kaum Möglichkeiten, sich behandeln zu lassen. Die Frauen in unseren Entbindungsstationen erzählen von ihren grossen Schwierigkeiten, zu einer gynäkologischen Betreuung oder Verhütungsmitteln zu kommen. Denn bei vielen dieser Frauen war es keine Wunschschwangerschaft gewesen…
Tausende Familien leben noch immer unter erbärmlichen Bedingungen; in behelfsmässigen Behausungen, die in der ganzen Region verstreut sind, wo sie den Witterungen schutzlos ausgeliefert sind. Sommers wie winters haben es unsere Teams mit Krankheiten zu tun, die direkt auf die Lebensbedingungen zurückzuführen sind. Am häufigsten behandeln unsere Ärzteteams denn auch Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen. Die Menschen können nicht einmal ihre Grundbedürfnisse abdecken; sie sehnen sich nach einer Heizung, Kleidung, einer Unterkunft. Für einen grossen Teil der syrischen Bevölkerung – wo immer sie sich aufhält – ist das Leben ein einziger Überlebenskampf geworden.
Solange keine Lösung des Konflikts in Sicht ist, gibt es für die Flüchtlinge keine Möglichkeit heimzukehren. Währenddessen wird die Lage für sie immer prekärer und ihr Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. Wir dürfen diesen Status Quo nicht akzeptieren. Auch wenn die Region mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, sind die Komplexität und das Ausmass der Krise keine Legitimierung dafür, dass hunderttausende Menschen ohne medizinische Versorgung auskommen müssen. Dem Wohlergehen der Bevölkerung muss unsere absolute Priorität gelten. Zu einer Lösung dieses regionalen Konflikts, der bis in den Irak hineinreicht, sind eine Aufstockung der Ressourcen und politischer Wille erforderlich.
Die internationale Gemeinschaft muss nach Möglichkeiten suchen, wie der Status Quo durchbrochen werden kann: mehr Flüchtlinge aufnehmen, ein finanziell tragbares Hilfssystem einrichten und eine langfristige Strategie entwickeln. Es kann und darf nicht sein, dass die Bedürfnisse von Millionen Syrern in Vergessenheit geraten.

Dr. Gustavo Fernandez, MSF-Programmverantwortlicher für Syrien, Libanon, Irak
Dr. Jean-Clément Cabrol, Einsatzleiter von MSF Schweiz
Am 18. März 2015 in der Zeitung Le Temps veröffentlicht