Syrische Flüchtlinge: Fokus auf Behandlung chronischer Krankheiten
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Die sogenannt chronischen nicht übertragbaren Krankheiten umfassen Herz-Kreislauf-Krankheiten, Bluthochdruck, Diabetes, Asthma und Krebs. Häufig verlaufen sie schleichend und sind nicht heilbar.
In der Regel sind die Krankheiten asymptomatisch und machen sich erst mit dem Auftreten von Komplikationen bemerkbar: Herzanfälle, Hirnschläge, Niereninsuffizienz, beginnende Blindheit etc. Chronische Krankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch und weisen gemeinsame Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, schlechte Ernährung oder Tabakkonsum auf. Bei rechtzeitiger und angemessener Behandlung können die Komplikationen weitgehend vermieden werden.
«Was soll ich schon essen? Ich bin aus einem Land im Krieg geflüchtet!», sagt Leïla, eine 62-jährige Syrerin. Sie leidet an Diabetes und lebt als Flüchtling in der Bekaa-Ebene, im Osten Libanons. «Der Arzt sagt, ich soll Gemüse essen, aber ich esse das, was ich bekomme. Ich habe keine andere Wahl.»
Seit April 2012 betreibt Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) im Libanon ein Projekt zur Behandlung von chronischen Krankheiten. Damit soll auf die dringenden Bedürfnisse der syrischen Flüchtlinge eingegangen werden, die keinen Zugang mehr zu ihrer benötigten Behandlung haben.
«Fast 90 Prozent unserer Patienten kommen mit bestehenden Diagnosen von chronischen Krankheiten zu uns, am häufigsten mit erhöhtem Blutdruck und Diabetes», berichtet Dr. Wael Harb, Leiter der medizinischen Aktivitäten von MSF in Bekaa. «Wenn sie ihre Medikamente über mehrere Wochen nicht bekommen, verschlechtert sich ihr Zustand rapide. Mit dem Krieg in Syrien ist ihre Krankheit in den Hintergrund gerückt. Die unmittelbaren Bedürfnisse wie Nahrung, Wasser und Unterkunft überwiegen. Zudem können sie sich häufig den Transport in ein Gesundheitszentrum oder die Kosten für Medikamente gar nicht leisten. Für Diabetiker ist die Ernährung besonders heikel. Wir behandeln zahlreiche Kranke, die mit einer Hypertonie oder mit einer unkontrollierten Diabetes zu uns kommen. Dies kann dazu führen, dass die Patienten das Bewusstsein verlieren, einen Herzanfall erleiden oder gar ins Koma fallen.»
Riesige Bedürfnisse, beschränkte Ressourcen
MSF stellt fest, dass immer mehr syrische Flüchtlinge mit dieser Art von Krankheiten die Einrichtungen der Organisation aufsuchen, wo sie kostenlos behandelt werden. Die dazu erforderlichen Ressourcen – finanzielle und personelle – sind jedoch beschränkt.
«Die Kliniken stossen an ihre Grenzen», erklärt Dr. Bénédicte de Kalbermatten, die Spezialistin für chronische Krankheiten ist. «In den MSF-Einrichtungen im Libanon stehen einem Arzt im Schnitt nur acht bis zehn Minuten pro Patient zur Verfügung. In dieser kurzen Zeit muss er eine Diagnose stellen, einen Behandlungsentscheid fällen, dem Patienten die Behandlung erklären und die notwendigen Untersuchungen in die Wege leiten. Das scheint unmöglich, wird aber in der Praxis so gemacht.»
Ausserdem ist bei chronischen Krankheiten die Kontinuität der Behandlung ein wichtiges Element. «Dies bedingt ein gewisses Engagement, eine konstante Beziehung zwischen Arzt und Patient», sagt de Kalbermatten. «Aber in diesem konkreten Fall handelt es sich bei den Patienten um Flüchtlinge, die nicht in einer stabilen Umgebung leben. Es ist schwierig, ihnen eine angemessene Nachsorge zu bieten, was die ganze Behandlung gefährden kann.»
Die Behandlungsprotokolle an Krisensituationen anpassen
«Als medizinische Nothilfeorganisation ist MSF in der Regel in Krisengebieten tätig, wo Infektionskrankheiten überwiegen, und konnte deshalb im Umgang mit chronischen Krankheiten bisher nur beschränkt Erfahrungen sammeln», erklärt Dr. Philippa Boulle, medizinische Expertin von MSF. «Um den syrischen Flüchtlingen wirksame Behandlungen anbieten zu können, müssen wir innovativ sein und die Behandlungsprotokolle, die nach europäischen oder nordamerikanischen Modellen konzipiert wurden, an humanitäre Krisensituationen anpassen.»
Mit der Unterstützung von Spezialisten für chronische Krankheiten ist MSF nun daran, innovative Ansätze zu erarbeiten, die besser an solche Situationen angepasst sind. Ein besonderer Fokus liegt auf der Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck, die bei syrischen Flüchtlingen besonders verbreitet sind. Auch bei anderen chronischen nicht übertragbaren Krankheiten wie Angina Pectoris, Asthma und Epilepsie werden neue Ansätze entwickelt.
2013 hielt MSF insgesamt mehr als 17'900 Sprechstunden für Patienten mit chronischen Krankheiten ab. Diese verteilten sich auf Gesundheitseinrichtungen in Tripoli und der Bekaa-Ebene im Libanon sowie im Flüchtlingslager Domiz im Norden Iraks.
MSF setzt weiterhin alles daran, die sichere Rückkehr unserer Kollegen zu ermöglichen, die am Abend des 2. Januar 2014 aus einer MSF-Unterkunft im Norden Syriens mitgenommen wurden, während sie dort medizinische Hilfe für Betroffene des Kriegs leisteten. Seit MSF im Juni 2012 begann, in provisorisch errichteten Spitälern und Kliniken Hilfe zu leisten, haben die medizinischen Teams mehr als 140'000 Konsultationen durchgeführt; diese umfassten die Versorgung von Wunden und die Behandlung von lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten. Über 2'000 Frauen konnte eine sichere Geburt ermöglicht werden. Trotz der grossen Herausforderungen leistet MSF weiterhin medizinische Hilfe für notleidende Syrer.