Tschad: Dörfer machen gemeinsame Sache im Kampf gegen Mangelernährung
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Seit 2010 ist MSF in der Region Hadjer-Lamis im Westen des Tschad präsent. Nun bereitet sich die Hilfsorganisation auf den Höhepunkt der Nahrungsmittelkrise vor.
Stolz steht Mahamad Adam vor dem Lager, das er verwaltet. Es besteht aus einem einzigen Raum, dessen vier Wände aus getrocknetem Schlamm errichtet wurden. Das Vordach aus Astwerk spendet zumindest ein wenig Schatten. Im Inneren befinden sich Vorräte an angereicherter Erdnusspaste. Dieses Produkt hat sich im Kampf gegen Mangelernährung bei Kindern immer wieder bewährt.
Mahamad Adam ist für sein Dorf Michetiré und die angrenzenden Orte etwa hundert Kilometer nördlich von N’Djamena zuständig. Während mehrerer Stunden pro Woche macht er dort die Kinder ausfindig, die von schwerer akuter Mangelernährung betroffen sind und versorgt sie mit der nährstoffhaltigen Paste. Neben ihm leisten rund zehn weitere Helfer diese Arbeit in der Region von Hadjer Lamis.
„Wenn ich an die Tür klopfe, werde ich eigentlich immer freundlich empfangen. Die Leute sind froh über diesen neuen Service“, erzählt er. Die Gesundheitsberater sind das erste Glied in der Betreuungskette, die MSF im Mai 2011 in Zusammenarbeit mit dem tschadischen Gesundheitsministerium gebildet hat.
Nun versucht MSF, die Einwohner der Dörfer davon zu überzeugen, die Gesundheitsberater selbst zu unterstützen. Bisher haben diese von MSF Hirse, Sorghumhirse oder Maisöl als Bezahlung erhalten, aber kein Geld. „Um das System dauerhaft zu etablieren, müssen sich die Dörfer zusammentun und selbst die Bezahlung der Helfer übernehmen“, fordert Ibrahim Halidou, der bei MSF für die externen Aktivitäten verantwortlich ist.
MSF organisiert nun vermehrt Versammlungen, wie zum Beispiel im Februar, als verschiedene Dorfälteste eingeladen wurden, die bisher eine eher skeptische Haltung hatten. Ibrahim Halidou erklärt ihnen, dass die Mangelernährung nicht von heute auf morgen verschwindet. Dank der Arbeit der Helfer könne man jedoch den mangelernährten Patienten ermüdende und kostspielige Wege zu Fuss oder mit dem Esel bis zum nächsten Gesundheitszentrum ersparen. Nach eingehender Diskussion untereinander geben die Ältesten schliesslich ihr grundsätzliches Einverständnis. Allerdings müssen sie noch ihre Dorfgemeinschaft befragen. „Wenn man morgens einen Baum pflanzt, kann man am Abend noch nicht in seinem Schatten sitzen“, bemerkt einer von ihnen am Schluss.
Am anderen Ende der Kette: Das Spital
Die Menschen haben auch die Möglichkeit, zu einem der vier ambulanten Gesundheitszentren zu kommen, die MSF in der Region eingerichtet hat. Dort werden die Kinder von einer Pflegefachperson untersucht. Wenn ihr Gesundheitszustand – abgesehen von ihrem unterdurchschnittlichen Gewicht – nicht wirklich alarmierend ist, können sie in ihr Dorf zurückkehren und sich von den lokalen Gesundheitsberatern mit Erdnusspaste versorgen lassen. Falls eine medizinische Komplikation auftritt, werden sie in das MSF-Spital von Massakory geschickt, das sich am anderen Ende dieser Betreuungskette befindet.
Im Jahr 2010 hat die internationale medizinische Organisation einen Notfalleinsatz gestartet, um mit der schweren Nahrungsmittelkrise im ganzen Land fertig zu werden. Mehr als 19‘000 Kinder wurden in Hadjer Lamis medizinisch versorgt. Als die Krise vorbei war, blieb MSF in der kleinen Stadt Massakory. Sie richtete dort direkt neben dem allgemeinen Spital des tschadischen Gesundheitsministeriums ein Kinderspital mit 170 Betten ein.
Steht dem Tschad erneut ein schwieriger Sommer bevor?
Anfangs März war das Spital von MSF bereits vollständig ausgelastet, obwohl der Höhepunkt der Nahrungsmittelkrise erst für Juli erwartet wird. Die meisten Patienten werden in Zusammenhang mit Mangelernährung eingewiesen. In den verschiedenen Zelten, in denen die Kinder langsam wieder an Nahrung gewöhnt werden, gibt es schon fast keinen Platz mehr.
Die Geschichten der Patienten gleichen sich oft. „Mein Kind ist 16 Monate alt. Es fing an, sich zu übergeben und hatte Durchfall. Ausserdem hatte es Ödeme. Ich habe es hierher gebracht. Jetzt geht es ihm wieder besser. Es ist viel lebendiger und fängt wieder an zu spielen, auch wenn es noch weit von seinem normalen Gewicht entfernt ist“, erzählt eine Mutter.
Muss man den wachsenden Zustrom von Kindern ins Spital als Vorzeichen für ein weiteres schwieriges Jahr deuten? „Die Region Hadjer Lamis ist noch nicht von einer Nahrungsmittelkrise betroffen“, antwortet Jacques Etienne, der MSF-Einsatzleiter im Tschad. „Aber wie in der gesamten Sahelzone sind auch hier die letzten Ernten sehr gering ausgefallen, und wenn nichts dagegen unternommen wird, kann sich die Situation schnell verschlechtern.“
Die Aktivitäten der Gesundheitshelfer in den Dörfern sollen das Spital entlasten. Im Augenblick steigt jedoch die Zahl der registrierten Kinder nicht weiter an, im Gegenteil. Trotzdem hat MSF damit begonnen, einem möglichen plötzlichen, starken Ansteigen der Mangelernährung entgegenzuwirken und eine andere Variante angereicherter Erdnusspaste zu verteilen. In den nächsten Monaten werden Tausende von Kindern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren mit dieser Paste versorgt. Eine Studie soll die Wirksamkeit solcher Verteilungsaktionen untersuchen (siehe auch das Interview mit France Broillet). Zudem sind mehrere Impfkampagnen vorgesehen, um diesen teuflischen Kreislauf aus Krankheiten und Mangelernährung zu durchbrechen.