Angriff der reichen Länder auf die „Apotheke der Armen“ in Indien
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MSF startet eine weltweite Kampagne, damit Millionen Menschen in ärmeren Ländern weiterhin Zugang zu bezahlbaren Medikamenten haben.
Die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat heute eine weltweite Kampagne für den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten aus Indien gestartet. Sie soll den indischen Premierminister Narendra Modi davon überzeugen, dem zunehmenden Druck von EU, USA, Japan und der Schweiz standzuhalten. Die Regierungen dieser Länder drängen Indien dazu, Gesetze und Richtlinien zur Produktion und zum Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten im Sinne ihrer Pharmaindustrie zu ändern. Die Gesundheitsversorgung von Millionen Menschen in ärmeren Ländern steht auf dem Spiel, sollte Indien dem Druck nachgeben und sein patientenfreundliches Patentgesetz ändern, das bislang die Produktion von bezahlbaren Generika sicherstellt.
Die Social Media-Kampagne startet anlässlich der achten Verhandlungsrunde für das regionale Handelsabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) in Kyoto. Es soll Massnahmen enthalten, die den Zugang zu kostengünstigen Arzneimitteln erheblich beeinträchtigen würden. Ähnliche Verhandlungen gibt es mit der EU, der Freihandelszone EFTA und den USA.
«Millionen Patienten in ärmeren Ländern sind auf den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten angewiesen. So kommen beispielsweise mehr als 80 Prozent der Medikamente, mit denen MSF weltweit Patienten mit HIV/Aids behandelt, aus Indien. Aber auch zur Behandlung von Tuberkulose und Malaria sind wir auf indische Generika angewiesen», sagt Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne von MSF in Deutschland. «In immer neuen Abkommen und Verhandlungen setzen die Industrieländer Indien unter Druck, sein patientenfreundliches Patentrecht im Sinne des Profits der Industrie zu ändern. Wir müssen alles tun, um das zu verhindern.»
Preissenkung um 99% für HIV-Medikamente dank indischer Generika
Indiens patientenfreundliches Patentrecht verhindert beispielsweise, dass Pharmaunternehmen Monopole mit immer neuen Patenten auf das gleiche Medikament künstlich verlängern können. Dadurch entwickelte sich Indien zu einem der wichtigsten Generikaproduzenten, was sich etwa auf den Preis für HIV/Aids-Medikamente ausgewirkt hat: Dank indischer Generika ist der Preis für eine Therapie innerhalb von zehn Jahren von mehr als 10‘000 US-Dollar auf rund 100 US-Dollar pro Patient und Jahr gefallen – was einer Senkung um 99 Prozent entspricht.
«Wir arbeiten seit mehr als fünfzehn Jahren unermüdlich daran, dass weiterhin lebensrettende Medikamente für Millionen Menschen auf der ganzen Welt verfügbar sind. Sie sind darauf angewiesen, um am Leben und gesund zu bleiben», betont Leena Menghaney, Leiterin der Medikamentenkampagne von MSF in Indien. «Uns schaudert bei dem Gedanken, dass wir das alles verlieren könnten, weil die Pharmaindustrie den Wettbewerb erfolgreich unterbinden kann – dann würden Profite mehr zählen als Menschenleben. Premierminister Modi: Setzen Sie nicht Menschenleben auf Spiel, wenn Sie wegen der Interessen internationaler Pharmaunternehmen unter Druck gesetzt werden!»
Seit 2006 hatte der Schweizer Pharmakonzern Novartis mehrmals die indische Regierung verklagt, nachdem ihm das Patent für ein Krebsmedikament verweigert worden war. Ziel von Novartis war, das indische Patentrecht zu verändern. Der Konzern verlor den juristischen Kampf nach sieben Jahren vor dem Obersten Gericht Indiens. Nun erhöhen die EU, die USA, Japan und die Schweiz im Rahmen der Verhandlungen über Handelsabkommen den Druck auf Indien.