Griechenland: MSF fordert ein Ende der unwürdigen Bedingungen in Auffanglagern
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Migranten und Asylsuchende werden in Griechenland oft monatelang festgehalten. In den Auffanglagern oder Polizeistationen haben sie nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung.
Viele Migranten und Asylsuchende werden monatelang auf Polizeistationen und im Abschiebelager in Komotini festgehalten und dies unter unwürdigen Bedingungen. Griechenland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. MSF fordert die griechische Regierung und die Europäische Union auf, diese Praxis zu beenden und die Migranten und Asylsuchenden medizinisch adäquat zu versorgen.
Seit 2008 betreut Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) Migranten und Asylsuchende in griechischen Auffanglagern medizinisch und psychologisch. In dem heute von der Organisation veröffentlichten Bericht „Invisible Suffering“ („Invisible Suffering“) werden die massiven physischen und psychischen Schäden aufgeführt, die bei den Betroffenen entstehen, nachdem sie monatelang festgehalten worden sind. Ihre medizinische Versorgung ist in der Regel mangelhaft oder überhaupt nicht vorhanden. Das führt unter anderem dazu, dass schwerkranke Insassen nicht versorgt werden oder benötigte Behandlungen abbrechen mussten.
Steigende Zahl der festgehaltenen Migranten und Asylsuchenden
„Innerhalb von sechs Jahren haben wir mehr als 9’000 Behandlungen in Auffanglagern und auf Polizeistationen durchgeführt. Obwohl wir immer wieder dazu aufgerufen haben, die medizinische Versorgung zu verbessern, ist nur wenig passiert“, kritisierte Apostolos Veizis, Landeskordinator von MSF in Griechenland. „Die Lage scheint sich sogar zu verschlechtern.“
Seit die griechische Polizei im Jahr 2012 die Operation „Xenios Zeus“ gegen nicht registrierte Einwanderer gestartet hat, ist die die Zahl der Migranten und Asylsuchenden, die in Gewahrsam genommen wurden, in die Höhe geschossen. Gleichzeitig wurden die Kapazitäten deutlich ausgebaut. Es gibt fünf weitere Abschiebelager und 4’500 zusätzliche Plätze für Migranten. Die Haft wird systematisch für die vollen 18 Monate verhängt. Die sanitären Zustände und die alltägliche Versorgung bleiben jedoch mangelhaft.
Monatelang nicht ins Freie
„Das Lager in Komotini kann man nicht einmal Tieren zumuten. Es ist sehr schmutzig. Die Toiletten funktionieren nicht. Die Rohre sind kaputt. Exkremente aus dem ersten Stock fallen hinunter ins Erdgeschoss. Menschen werden fast die ganze Zeit eingeschlossen. Wir dürfen nur morgens und abends jeweils eine Stunde in den Hof. Und das auch nicht jeden Tag. Komotini ist kein Auffanglager – es ist ein Stall.“ (Zitat eines 28-Jährigen, sieben Monate lang in Haft)
Gerade besonders bedürftige Personengruppen wie Minderjährige, Folteropfer, Menschen mit Behinderungen oder chronisch Kranke werden besonders lange in Lagern festgehalten. Migranten und Asylsuchende werden in Griechenland auch auf Polizeistationen festgehalten, wo die Zustände besonders beklagenswert sind – die Insassen dürfen oft monatelang nicht ins Freie, teilweise bis zu 17 Monaten am Stück.
Körperliche und psychische Auswirkungen
Die engen und mangelhaften Lebensbedingungen in Kombination mit schlechter Ernährung begünstigen Erkältungs-, Magen-Darm-, Haut- und muskuläre Erkrankungen. Die Haftbedingungen wirken sich auch auf die Psyche aus: Angststörungen, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen treten bei vielen von ihnen auf. Verzweifelte Migranten treten auch immer wieder in Hungerstreiks, verletzen sich selbst oder versuchen sich umzubringen.
„Als ich mit meiner Arbeit in den Auffanglagern begonnen habe, war ich schockiert. Mal abgesehen von dem minimalen Raum, auf dem die Menschen untergebracht werden, sind die hygienischen Bedingungen ein grosses Problem. Die Latrinen sind in einem fürchterlichen Zustand.“ (Zitat eines Mediziners von MSF)
Angemessene medizinische Versorgung
Die griechischen Behörden haben sich nun dazu verpflichtet, Migranten in Auffanglagern angemessen medizinisch zu versorgen. Daher schliesst MSF diese Woche das medizinische Hilfsprojekt in den Lagern im Norden Griechenlands und ermahnt die Behörden, dringend ihrer Verpflichtung nachzukommen. Die festgehaltenen Migranten und Asylsuchenden müssen permanent Zugang zu medizinischer Versorgung haben.
„Die anderen EU-Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen können sich nicht weiter vor ihrer Verantwortung drücken“, betont Ioanna Kotsioni, Beraterin für Migrationsfragen von MSF. „Die Ankunftsländer geraten unter immer stärkeren Druck, Migrationsströme durch Abschreckung einzudämmen, indem sie die Migranten in Gewahrsam nehmen. Sie können nicht alleine für das Leid verantwortlich gemacht werden, das sie Migranten und Asylsuchenden zufügen. Alle stehen in der Verantwortung, und es ist eine Schande für alle“.
Keine Haft in ungeeigneten Einrichtungen
MSF fordert Griechenland und die EU dazu auf, dem willkürlichen, systematischen und immer längeren Festhalten von Migranten und Asylbewerbern ein Ende zu setzen. Die Organisation fordert weiter, dass die Menschen nicht in ungeeigneten Einrichtungen in Gewahrsam genommen werden, und besonders bedürftige Personen, wie etwa Minderjährige, Folteropfer oder chronisch Kranke, gar nicht festgehalten werden. Stattdessen muss in ein Aufnahmesystem investiert werden, das den körperlichen, medizinischen und humanitären Bedürfnissen von Migranten und Asylbewerbern gerecht wird.
Seit 2004 unterstützt MSF Migranten, die in europäischen Auffanglagern in Griechenland, Malta und Italien festgehalten werden, medizinisch und humanitär. In Griechenland reagiert MSF seit 2008 auf die dringenden medizinischen und humanitären Bedürfnisse neu ankommender Migranten, sowie von Migranten und Asylsuchenden, die von den Behörden festgehalten werden. Für diese Einsätze werden ausschliesslich private Spenden verwendet.
Zwischen 2013 und 2014 hat MSF in sechs Auffanglagern für Migranten im Norden Griechenlands gearbeitet und die Lage auf 27 regulären Polizeiwachen, Grenzpolizei- und Küstenwache-Stationen und in Abschiebe-Zentren in ganz Griechenland untersucht. In dieser Zeit haben die MSF-Teams insgesamt 4’441 medizinische Behandlungen durchgeführt, 365 Menschen an weiterbehandelnde Gesundheitseinrichtungen und 100 Menschen zur Zahnbehandlung überwiesen. Die Teams behandelten 1’500 Migranten gegen Krätze und verteilten Hilfsgüter an die festgehaltenen Migranten, darunter 6’662 Hygiene-Kits und 1’648 Pakete mit Kleidung, Schuhen und Schlafsäcken.