Syrien: Humanitäre Hilfe in der Sackgasse
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Nach zwei Jahren Bürgerkrieg in Syrien ist die humanitäre Lage katastrophal und die geleistete Hilfe klar unzureichend.
Die internationale Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) ruft alle am Konflikt in Syrien beteiligten Parteien dazu auf, ein Übereinkommen auszuhandeln, das es erlaubt, im ganzen Land humanitäre Hilfe zu leisten. Eine solche Vereinbarung soll auch ermöglichen, von den Nachbarländern aus oder über die Kampffronten hinweg Hilfe zu leisten. Nach zweijährigem, äusserst gewaltsamem Bürgerkrieg ist die humanitäre Situation in Syrien katastrophal und die geleistete Hilfe bei weitem nicht ausreichend. Die diplomatische Patt-Situation und die bisher vergeblichen Bemühungen um eine politische Lösung entschuldigen nicht das Versagen der humanitären Hilfe. Staaten, die Vereinten Nationen und Geldgeber müssen die Zersplitterung des Landes zur Kenntnis nehmen und Nichtregierungsorganisationen so gut wie möglich dabei unterstützen, Hilfe für die Bevölkerung zu leisten.
Die syrische Bevölkerung leidet unter dem von extremer Gewalt gezeichneten Konflikt und einer katastrophalen humanitären Situation: Das zuvor gut funktionierende Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, Lebensmittelengpässe sind alltäglich geworden, die Wasser- und Stromversorgung sind oft unterbrochen.
Zerstörte Spitäler, verfolgtes Personal
„Die medizinische Hilfe ist zur Zielscheibe geworden, Spitäler werden zerstört und medizinisches Personal verfolgt“, erklärt Dr. Marie-Pierre Allié, Präsidentin von MSF Frankreich. Nach Angaben der UNO sind 2,5 Millionen Syrer innerhalb des Landes vertrieben, 57 Prozent der Krankenhäuser wurden beschädigt und 36 Prozent sind nicht funktionstüchtig. Diese Statistiken schliessen die privaten Kliniken oder provisorischen Spitäler, die zerstört oder beschädigt wurden, nicht mit ein. Nach wie vor flüchten täglich über 5.000 Syrer aus ihrem Land. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge beläuft sich gemäss dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR mittlerweile auf eine Million Menschen. Die meisten haben sich in den Nachbarländern niedergelassen, wo die Hilfsprogramme unzureichend und von den Flüchtlingsströmen überwältigt sind.
Ungenügende Hilfe
Sowohl in Syrien als auch in den Nachbarländern reicht die geleistete Hilfe eindeutig nicht aus, obwohl die Bedürfnisse enorm sind. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten wird die Hilfe vom Syrisch-Arabischen Roten Halbmond und anderen lokalen Organisationen betreut, die dazu von der Regierung autorisiert sind. UN-Agenturen und internationale Hilfsorganisationen, die von der Regierung eine Bewilligung haben, sind verpflichtet, mit lokalen Organisationen zusammenzuarbeiten, deren Einsatzgebiete geographisch begrenzt und deren Kapazitäten bereits ausgeschöpft sind.
In Gebieten, die von der Opposition kontrolliert werden, ist die internationale Hilfe hingegen stark eingeschränkt. Der grösste Teil der Hilfe kommt hier von der syrischen Diaspora, von Ländern, die sich mit der Opposition solidarisieren sowie von politisch-religiösen Wohlfahrtsnetzwerken. Dadurch ist sie den politischen Agenden dieser Akteure untergeordnet. Die Teams von MSF – die keine Genehmigung haben in den von Damaskus kontrollierten Gebieten tätig zu werden – konnten im Norden des Landes drei Krankenhäuser eröffnen und erleben selbst mit, dass die vorhandene humanitäre Hilfe den enormen Bedürfnissen der Bevölkerung nicht gerecht wird. Angesichts dieser Situation muss die Kapazität von humanitären Hilfsorganisationen in ganz Syrien dringend erhöht werden.
Vereinbarung zu humanitärer Hilfe dringend nötig
„Die Behörden in Damaskus halten den Schlüssel, um aus dieser Sackgasse zu kommen und alle Hindernisse für unabhängige Hilfe im ganzen Land aus dem Weg zu räumen“, sagt Christopher Stokes, Geschäftsführer von MSF in Brüssel. „Wir rufen die Konfliktparteien auf, mangels politischer Lösung zumindest eine grundlegende Vereinbarung über humanitäre Hilfe zu treffen und zu ermöglichen, dass diese möglichst effektiv geleistet werden kann.“
Eine solche Vereinbarung soll die praktischen Bedingungen für die Hilfe festlegen, die als Teil der humanitären Einsätze von benachbarten Ländern aus oder über die Frontlinien hinweg geleistet wird. MSF fordert die Kriegsparteien auch auf, alle medizinischen Einrichtungen im Land zu respektieren.
Das Nichtvorhandensein eines solchen Abkommens sollte internationale Nichtregierungsorganisationen indes nicht davon abhalten tätig zu werden, wo immer es ihnen möglich ist, egal wer das Gebiet kontrolliert. Zugleich müssen Staaten und die Vereinten Nationen humanitäre Hilfseinsätze aus Nachbarländern unterstützen. Es ist vor allem wichtig, dass die unparteiliche Hilfe in von der Opposition kontrollierten Gebieten und in vernachlässigten Regionen nicht länger das Ziel von Sanktionen seitens der syrischen Regierung sein kann.
MSF und der syrische Konflikt
MSF hat im Norden Syriens drei Spitäler eröffnet und hat bisher 16’000 Patienten und Patientinnen behandelt und 1’300 Operationen durchgeführt. Teams von MSF leisten auch Hilfe für syrische Flüchtlinge im Libanon, Irak, Jordanien und der Türkei.