60 Jahre Flüchtlingskonvention: ein Geburtstag mit bitterem Beigeschmack
4 Min.
Anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Flüchtlingskonvention versammeln sich diese Woche führende Politiker der Welt in Genf. Grund zu feiern gibt es an diesem Geburtstag für die weltweit 15,1 Millionen Flüchtlinge allerdings wenig. Staaten schliessen heute zunehmend ihre Grenzen und schränken die Hilfe für Flüchtlinge und Asylsuchende immer weiter ein.
Wir können davon ausgehen, dass Minister und Staatsoberhäupter ihren unermüdlichen Einsatz für die Konvention betonen werden. Doch das entspricht nicht immer der Wahrheit: Zu oft drücken sich Regierungen vor ihren Aufgaben oder ignorieren schlicht ihre Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen. Dies mit schwerwiegenden medizinischen und menschlichen Folgen für jene, zu deren Schutz sie sich einst verpflichtet haben.
Kernstück der Flüchtlingskonvention ist der Gedanke des Asyls. Die zunehmend restriktive Politik vieler Regierungen untergräbt – wenn sie auch nicht gegen die internationale, regionale oder nationale Gesetzgebung verstösst – den Grundgedanken der Konvention und die Bedeutung von Asyl. Indem sie sich von den Flüchtlingen abwenden, spielen Staaten vermehrt eine unterdrückende denn eine unterstützende Rolle.
In Südafrika war MSF Zeuge, wie am Hauptgrenzposten Simbabwer ohne Papiere zurückgehalten wurden und ihnen die Möglichkeit verwehrte wurde, um Asyl zu ersuchen. Dies hat zur Folge, dass viele von ihnen einen inoffiziellen Grenzübergang suchen und sich dabei unzähligen Gefahren aussetzen. Angefangen beim Risiko, im Fluss Limpopo zu ertrinken über Attacken durch Krokodile bis hin zu gewalttätigen kriminellen Banden, welche sich im Grenzgebiet herumtreiben. Allein im ersten Halbjahr 2011 behandelten unsere Teams 42 Menschen, die beim Versuch, die Grenze zu überqueren, Gewalt durch Bandenmitglieder erfahren mussten. Wir befürchten jedoch, dass es noch viele weitere Opfer gibt, die unsere Hilfe nicht in Anspruch nahmen.
Europa, auf dem bei der Gründung der Flüchtlingskonvention 1951 der Fokus lag, behandelt Asylsuchende nicht besser. Die Volksaufstände in Nordafrika führten in diesem Jahr dazu, dass rund 57’000 Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten über das Mittelmeer nach Italien und Malta flüchteten. Gegen 2’000 Menschen kamen auf dem Meer um. Diejenigen, welche die Reise überlebten, trafen in Auffangzentren furchtbare Zustände an. Im März diesen Jahres mussten auf der Insel Lampedusa 3’000 Neuankömmlinge während mehrerer Tage direkt bei der Anlegestelle übernachten und sich 16 Toiletten teilen, während ihnen täglich nur 1.5 Liter Wasser zur Verfügung standen.
Mit dem Ziel, die Ankünfte an den Küsten ihres Landes rasch einzudämmen, hat die italienische Regierung bald ein bilaterales Übereinkommen mit der neuen tunesischen Übergangsregierung und dem libyschen Übergangsrat unterzeichnet. Dies, obwohl der Krieg in Libyen andauerte. Die Übereinkommen bezweckten, dass potenzielle Asylsuchende möglichst schnell von Europas Küsten nach Nordafrika zurückgewiesen werden konnten. Wie mehrere andere europäische Länder war Italien am Libyenkonflikt beteiligt und dementsprechend erst recht verpflichtet, die Menschen auf der Flucht vor dem Krieg angemessen aufzunehmen und ihnen Zugang zu einem effizienten und fairen Asylverfahren zu gewährleisten.
Aber auch für jene, die das Asylverfahren erfolgreich durchliefen, ist es mit dem Flüchtlingsstatus oft schwierig, zu überleben. Geächtet und ohne Unterstützung sind viele gezwungen, weiterzuziehen, auf der Suche nach einer Möglichkeit, für sich und ihre Familien ein Auskommen zu finden. Heute trifft das mehr dann je zu, denn – anders als vor 60 Jahren – sind es überwiegend Entwicklungsländer, welche die grosse Mehrheit der Flüchtlinge aufnehmen.
Fast eine halbe Million Somalier leben – wenn man dem so sagen kann – in Dadaab, dem grössten Flüchtlingszentrum der Welt. Über zwei Jahrzehnte ist es her, dass die ersten Flüchtlingsunterkünfte in Dadaab, im Norden Kenias, errichtet wurden. Unterdessen bilden die Dadaab-Lager zusammen die viertgrösste Stadt Kenias. Dieses Jahr führte MSF in der Zone der Neuankömmlinge medizinische Erhebungen durch, die aufzeigten, dass die Mangelernährungsrate bei unter Fünfjährigen während der ersten sechs Monate im Lager anstieg. Kinder, die vor Hunger und Gewalt aus Somalia geflohen waren und die strapaziöse Reise nach Kenia überlebt hatten, befanden sich nun in einem schlechteren Gesundheitszustand als bei ihrer Ankunft. Für somalische Flüchtlinge, so scheint es, gibt es nirgends einen sicheren Ort.
Medizinische und humanitäre Aktivitäten haben einen spürbaren, aber letztlich begrenzten Einfluss auf das Wohlergehen der Flüchtlinge, Asylsuchenden und all jene, die vor Gewalt oder dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in ihren Heimatländern fliehen. Es müssen auch umfangreichere Themen wie Unterstützung, Schutz und langfristige Lösungen behandelt werden. Die Menschen sind zunehmend mobil und ihre Motive, Grenzen zu überqueren sind unterschiedlich. Die Regierungen sind dazu angehalten, Lösungen zu entwickeln, die sowohl der Steuerung von Migrationsströmen als auch dem Schutz von Flüchtlingen Rechnung tragen.
Bis dahin bleibt die Flüchtlingskonvention das zentrale Instrument zum Schutz und zur Unterstützung von Flüchtlingen. Wenn alle Staaten ihre Politik aktiv dem ursprünglichen Geist der Konvention anpassen und entsprechend umsetzen, dann haben sowohl Politiker wie auch die Flüchtlinge wirklich etwas zu feiern.