Ein unentbehrlicher Chirurg aus dem Tschad
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Dr. Valentin Vadandi hat sich mit der Unterstützung von MSF zum Spezialisten ausbilden können. Heute ist er einer der wenigen Experten für die Operation von Geburtsfisteln weltweit.
Die Stille im Operationssaal steht ganz im Gegensatz zum hektischen Treiben im Rest des Spitals von Abéché, einer grossen Stadt im Osten des Tschads. Dr. Valentin Vadandi legt seine Instrumente nieder und nimmt die Schutzmaske ab. Gerade hat er in einer einstündigen Operation eine Frau von ihrer Geburtsfistel befreit.
Der für MSF arbeitende tschadische Chirurg ist zu einem anerkannten Experten dieser hoch spezialisierten Operation geworden. Anfang Mai hat er in N'Djamena an einer Konferenz des tschadischen Gesundheitsministeriums teilgenommen, die eine Verbesserung der Prävention, Behandlung und sozialen Reintegration von Frauen mit Geburtsfisteln zum Ziel hatte. Die Veranstaltung war ein unverkennbares Zeichen dafür, dass im Tschad ein Bewusstseinswandel stattgefunden hat.
„Die Operation einer Geburtsfistel kann auch weit länger als eine Stunde dauern“, erklärt Dr. Vadandi. „Die Patientinnen sind schon oft von unerfahrenen Ärzten operiert worden, die mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben.“ Tatsächlich gibt es nur wenige Chirurgen mit der nötigen Ausbildung für die Behandlung dieser Verletzung, die durch lang dauernde Geburten und ungenügende Geburtshilfe verursacht wird.
Schande und soziale Ächtung
Wenn eine Frau mit Geburtskomplikationen nicht rechtzeitig eine Entbindungsstation erreicht, ist der Fötus oft schon tot, und sein Kopf drückt auf das Becken der Mutter. Das kann die Durchblutung über längere Zeit unterbrechen und zur Nekrose des Gewebes führen, sodass sich zwischen Vagina und Harnblase eine Öffnung bildet. Auch eine abnormale Verbindung zwischen Vagina und Rektum ist möglich. Die Folge ist eine Harn- bzw. Stuhlinkontinenz. Die betroffenen Frauen leben in Schande und werden oft von der Dorfgemeinschaft und sogar von der eigenen Familie geächtet.
Im Tschad kommen Geburtsfisteln besonders häufig vor, weil sich das Land über eine riesige Fläche erstreckt und es kaum medizinische Einrichtungen für Geburtshilfe und die Versorgung von Frauen gibt. Laut Schätzungen kommt es zu rund 450 neuen Fällen pro Jahr. Dr. Vadandi hat sich erstmals mit dem Problem auseinandergesetzt, als er in einer Frauenklinik im Süden des Tschads als Allgemeinarzt arbeitete. Danach spezialisierte er sich in Dakar, Senegal, auf urologische Chirurgie und verfasste seine Doktorarbeit über die Behandlung von Geburtsfisteln in diesem westafrikanischen Land.
Als er in den Tschad zurückkehrte, lancierte MSF im allgemeinen Spital von Abéché gerade ein Programm zur Fistelbehandlung. Die medizinische Organisation war auf der Suche nach einem Chirurgen, und Dr. Vadandi hatte den Vorteil, Tschader zu sein. 2009 begann er, für MSF zu arbeiten und setzte gleichzeitig seine Weiterbildung bei internationalen Experten im Tschad und in Nigeria fort. Heute ist er in der Lage, auch die kompliziertesten Fisteln zu operieren.
Ein neuer Start
2009 errichtete MSF in unmittelbarer Nähe des Spitals ein „Frauendorf“. Es handelt sich um ein Gebäude mit einem weiten Innenhof, wo Patientinnen mit Fisteln für einige Wochen, manchmal bis zu drei Monaten, aufgenommen werden. Einige von ihnen sind mangelernährt, so sehr waren sie aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen worden. Andere haben so lange unter der Fistel gelitten, dass sie das Gehen wieder lernen müssen.
Auf der Tür zum Frauendorf prangt ein Schmetterling, der die Verwandlung dieser Mütter symbolisiert, die aus Schande und Verachtung ausbrechen, um ein neues Leben zu beginnen. Der chirurgische Eingriff ermöglicht ihnen, einen Teil ihrer Würde wiederzugewinnen. Nach allem, was sie schon durchgemacht haben, ist dies allerdings kein einfacher Prozess. Neben der medizinischen Pflege erhalten die Frauen deshalb auch psychologische Unterstützung, die ihnen hilft, sich wieder in der Gemeinschaft zu integrieren. Schliesslich werden auch Aktivitäten organisiert, die ihnen etwas Einkommen verschaffen sollen.
Seit 2008 hat MSF 642 Fälle von Geburtsfisteln behandelt. In ungefähr 70 Prozent der Fälle gelang die vollständige Heilung (Schliessung der Fistel und Kontinenz). Bei 20 Prozent der Frauen hingegen verblieb trotz der derzeit bestmöglichen Behandlungsmethoden auch nach der Operation eine Teilinkontinenz. In etwa 10 Prozent der Fälle konnte die Fistel nicht geschlossen werden. Die Erfolgsquote ist höher, wenn die Fistel vorher noch nie operiert wurde. Belege für den Erfolg der Einrichtung? Bereits mehrere Frauen sind zurückgekommen, um ein Kind zur Welt zu bringen (mit Kaiserschnitt), nachdem sie zuvor erfolgreich operiert worden waren und ihre Stellung gegenüber Partner und in der Dorfgemeinschaft wiedergefunden hatten.
Auf die Frage, was das Schönste an seiner Arbeit sei, meint Dr. Vadandi: „Wir sind in der Lage, mehr Frauen zu helfen, und ich konnte gute Fähigkeiten erwerben. Aber die grösste Belohnung ist immer die Dankbarkeit der Patientinnen. Dank der Aufklärungsarbeit in der Region werden die Fisteln jetzt nicht mehr als Fluch betrachtet, der unabwendbar auf diesen Frauen lastet.“