„Geduld, Geduld und nochmals Geduld“- ehemaliger Häftling aus Kirgisistan gewinnt Kampf gegen multiresistente Tuberkulose

Ruslan un ancien détenu du Kirghizstan, qui a été guéri de sa tuberculose multirésistante aux médicaments. Kirghizistan, 2009.

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Ruslan kehrt heute als freier Mann ins Gefängnis zurück, um einen Mithäftling zu besuchen. Und: In der Colony 31, einer Strafanstalt speziell für tuberkulosekranke Häftlinge, möchte Ruslan mit seinen Ärzten das Ende seiner langen, beschwerlichen und schmerzhaften Behandlung gegen multiresistente TB (MDR-TB) feiern.

„Es war wie ein Alptraum! Man kann sich kaum vorstellen, wie furchtbar die Auswirkungen dieser Medikamente waren“ erklärt Ruslan. „Ich wollte schlafen, doch der Schwindel und die Übelkeit hielten mich davon ab. Wenn ich mich dann schliesslich übergeben musste, fühlt ich mich kein Stück besser. Aber obwohl mir so hundeelend zumute war, nahm ich die Medikamente weiter ein. Mein früherer Zellnachbar hat es nicht geschafft, denn die Nebenwirkungen waren einfach zu viel für ihn.“
Jährlich sterben 120‘000 Menschen an MDR-TB, während fast eine halbe Million neuer Fälle diagnostiziert wird. Dabei infizieren sich immer mehr Patienten mit multiresistenten Tuberkulosestämmen - die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt ihre Anzahl heute auf weltweit zwei Millionen. Die Ansteckung der meisten Patienten mit MDR-TB ist darauf zurückzuführen, dass sie keine angemessene Behandlung erhalten haben. Jedoch auch bei immer mehr TB-Erstinfektionen handelt es sich um resistente Stämme der Krankheit.
Die Behandlung von MDR-TB ist sehr teuer und kompliziert. Doch obwohl die Behandlung mit Medikamenten langwierig ist (bis zu zwei Jahren) sowie erhebliche Nebenwirkungen zeigt, ist eine vollständige Heilung nicht garantiert. Die Nebenwirkungen sind unangenehm bis unerträglich, und können in manchen Fällen sogar lebensgefährlich sein. Zahlreiche TB-Medikamente ziehen die Magenorgane schwer in Mitleidenschaft, lösen Brechreiz aus und können Nieren- und Leberversagen verursachen. Das einzige Mittel gegen die Nebenwirkungen ist die Verabreichung zusätzlicher Tabletten. Es müssen jedoch bereits im Rahmen der Behandlung täglich eine extrem hohe Anzahl an Medikamenten eingenommen werden.
Seit 2006 führt Médecins Sans Frontières /Ärzte ohne Grenzen (MSF) ein Projekt zur Behandlung von TB in Kirgisistan durch, das sich auf zwei Projektstandorte - einer Strafanstalt Colony Nr. 31 (am Stadtrand von Kirgisistans Hauptstadt) und einer Untersuchungshaftanstalt SIZO Nr. 1 – bezieht.
Eine der grossen Herausforderungen bei einer Infektionskrankheit wie TB besteht darin, die Behandlung kontinuierlich weiterzuführen, da der Patient bei einer Unterbrechung Gefahr läuft, eine Medikamentenresistenz zu entwickeln.
Jeder dritte Häftling, der sich mit Tuberkulose infiziert hat, wird vor dem Ende der Behandlung aus dem Gefängnis entlassen und ist ausserhalb des Strafvollzugs mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert. Für eine grosse Anzahl entlassener Häftlinge spielt die TB-Behandlung jedoch eine untergeordnete Rolle: Sie kämpfen meist ganz allein gegen ihre Drogenabhängigkeit und haben Mühe genug, sich um die eigene Grundversorgung zu kümmern. Bei manchen reicht das Geld nicht mal dafür aus, zur nächsten TB-Behandlungsstätte zu gelangen. Und wenn sie es doch schaffen, werden sie häufig abgewiesen, da ihnen die erforderlichen Unterlagen fehlen oder weil sich das medizinische Personal weigert, ehemalige Häftlinge zu behandeln.
„Ich wurde im Mai 2008 entlassen, als ich meine Behandlung erst zur Hälfte hinter mich gebracht hatte“ sagt Ruslan. „Vor meiner Entlassung aus der Strafanstalt hatten mir die Sozialarbeiter erklärt, wie ich mich ausserhalb des Gefängnisses weiter behandeln lassen konnte. Als ich jedoch zu einem Zivilkrankenhaus kam, begegneten mir die Ärzte mit grossem Misstrauen. „Ein ehemaliger Häftling ist und bleibt...ein Verbrecher“ meinten sie. Aber nach einiger Zeit, aufgrund meines guten Betragens, verändert sich ihre Haltung mir gegenüber.“
Umutai Dauletova, MSF-Koordinator für soziale Betreuung, bestätigt, dass es für ehemalige Häftlinge, die mit TB infiziert sind, schwierig sein kann, in einem öffentlichen Krankenhaus aufgenommen zu werden. „Unsere Patienten sind Träger eines doppelten Stigmas: Sie sind mit TB infiziert und dazu vorbestraft. Ausserdem haben sie zum Teil keinen festen Wohnsitz, sind arbeitslos oder von Alkohol oder Drogen abhängig und besitzen keine Ausweispapiere.“
Ein Team von MSF-Sozialarbeitern und einem Freiwilligennetzwerk unterstützen heute rund 70 frühere Häftlinge, ihre TB-Behandlung zu Ende zu führen. Die Unterstützung umfasst Beratung, Information und Weiterbildung sowie die Versorgung mit Lebensmitteln und Geld für den Transport.
„Wir versuchen aktuell, ein Case Managementsystem einzuführen“ sagt Umutai. „Dabei handelt es sich um eine gemeinschaftliche Aktion, bei der Freiwillige den Patienten helfen, ihre Behandlung fortzusetzen.“
Ruslan ist heute als freiwilliger Case Manager tätig und unterstützt einige TB-Patienten, die im Krankenhaus in der Nähe seines Wohnortes behandelt werden. „Mit Hilfe des MSF-Betreuungsteams versuche ich, meine Verantwortlichkeiten als Case Manager zu erfüllen. Dabei lautet meine Botschaft an die Personen, die ich begleite: Geduld, Geduld und nochmals Geduld und niemals die Hoffnung verlieren!“
2006 bis 2009 hat MSF 2‘270 TB-Patienten betreut, darunter 200 Fälle von MDR-TB in der Strafanstalt Colony Nr. 31 und Sizo Nr. 1. Das MSF TB-Projekt bezieht sich auf die Bereitstellung von Weiterbildungsmassnahmen, Medikamenten, Ausstattungsmaterial für Laboratorien und die Sanierung von Gefängniskrankenhäusern und Wohnquartieren für TB-Patienten.

MSF hat die Einführung von international bedarfsgerechten Behandlungsprotokollen in Justizvollzugsanstalten überwacht und das Justiz- und Gesundheitsministerium dabei unterstützt, die medizinische Versorgung von inhaftierten TB-Patienten zu verbessern. 2007 wurde in Osh, der grössten Stadt im Süden des Landes, ein MSF-Büro für „soziale Betreuung“ eröffnet, um ehemaligen Gefängnisinsassen zu helfen, ihre Behandlung „draussen“ weiterzuführen.

Um die Tatsache zu unterstreichen, dass es sich beim Kampf gegen Tuberkulose insbesondere in Gefängnissen nicht nur um ein medizinisches Problem, sondern auch um eine Menschenrechtsfrage handelt, hat MSF zwei Fotoausstellungen in Bishkek organisiert. Damit soll auf die Notlage von Häftlingen und ehemaligen Häftlingen mit TB aufmerksam gemacht werden. Die Ausstellungen mit dem Titel „Hinter Gittern mit TB“ und „Drinnen und draussen – mit Tuberkulose aus dem Gefängnis entlassen“ sind das Werk des ukrainischen Fotografen Alexander Glyadyelov.