Gefangene aus Internierungslagern in Libyen müssen in Sicherheit gebracht werden
© Jérôme Tubiana/MSF
Libyen5 Min.
Nach dem Luftangriff auf ein Internierungslager in Tripolis mit etwa 60 Toten Anfang Juli zeigt sich erneut, dass die Schutzsuchenden aus Libyen in Sicherheit gebracht und das völkerrechtswidrige Zurückbringen von Bootsflüchtlingen nach Libyen durch die EU-unterstützte libysche Küstenwache beendet werden muss. 3800 Menschen befinden sich alleine in den offiziellen Internierungslagern nahe der Frontlinien in und um Tripolis in akuter Gefahr. Einige sind in unmittelbarer Nähe militärischer Einrichtungen gefangen und deshalb besonders gefährdet.
Ein Team von Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat in den Tagen direkt nach dem tödlichen Luftangriff auf das Internierungslager Tadschura nahe einer Militärbasis östlich von Tripolis Überlebende medizinisch behandelt und psychologisch betreut sowie mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt. Die weiterhin gefangenen Menschen waren extrem verängstigt und verzweifelt durch die Erfahrung, in hilfloser Lage bombardiert zu werden und den Tod vieler Menschen mitansehen zu müssen.
In der vergangenen Woche brachte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mehr als 100 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten in das Ausreiselager der Organisation in Tripolis. Die übrigen Überlebenden aus Tadschura wurden von den libyschen Behörden freigelassen. Etwa 300 von ihnen suchten zu Fuss im Ausreiselager Schutz und wurden ebenfalls dort untergebracht. Das Lager ist mit 900 Bewohnern am Rande seiner Kapazität. Das UNHCR erklärte, sowohl das Ausreiselager als auch das Transitzentrum in Niger, in dem zwischen 1000 und 1500 Menschen untergebracht werden können, seien voll. Die Organisation forderte die Staatengemeinschaft auf, Plätze für Evakuierungen aus Libyen und Niger zur Verfügung zu stellen.
Trotz des tödlichen Luftangriffs brachte die libysche Küstenwache vergangene Woche erneut Dutzende Menschen, die sie auf dem Mittelmeer aufgegriffen hatte, nach Tadschura. Ärzte ohne Grenzen (MSF) fordert, das Internierungslager, das sich in unmittelbarer Umgebung von Militäreinrichtungen befindet, sofort zu schliessen und die Menschen aus Libyen in Sicherheit zu bringen.
Die Situation in anderen offiziellen Internierungslagern
In ganz Libyen werden laut der Internationalen Organisation für Migration weiterhin 5695 Flüchtlinge und Migranten in offiziellen Internierungslagern unter Oberhoheit libyscher Behörden gefangen gehalten. Die Menschen werden dort willkürlich festgehalten. In diese Lager werden auch Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge gebracht, die mit Hilfe der EU von der libyschen Küstenwache völkerrechtswidrig aus internationalen Gewässern im Mittelmeer nach Libyen zurückgezwungen werden. Seit Beginn der Kämpfe im April wurden mehr als 2600 Menschen nach Libyen zurückgebracht, im gleichen Zeitraum wurden nur 684 Flüchtlinge durch Evakuierungen und Umsiedlungen aus Libyen in Sicherheit gebracht. Die Not der Menschen in den offiziellen Internierungslagern wird dadurch immer grösser.
3800 Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge sind in der Nähe der Kampfhandlungen in und um Tripolis gefangen und befinden sich in akuter Gefahr
Das Internierungslager Tadschura wurde am 7. Mai und am 2. Juli durch Luftangriffe getroffen. Auch die Internierungslager Sabaa und Abu Salim in Tripolis befinden sich in Gegenden, deren unmittelbare Umgebung wiederholt Ziel von Luftangriffen war. Die inzwischen geschlossenen Internierungslager in Ain Sara und Kasr Bin Gaschir im Raum Tripolis sowie das derzeit leere Internierungslager Gharjan südlich der Stadt befanden sich direkt im Kampfgebiet. In Kasr Bin Gaschir wurden Ende April unbewaffnete Schutzsuchende direkt beschossen – laut Berichten Überlebender gab es mehrere Todesfälle. In der umkämpften Stadt Gharjan fürchteten Dutzende Gefangene Ende Juni inmitten einer heftigen Schlacht um ihr Leben. Darunter waren auch Dutzende mit grossen gesundheitlichen Problemen. Anfang Juli wurden sie nach Tripolis gebracht, acht wurden von Ärzte ohne Grenzen (MSF) in ein Krankenhaus überwiesen.
Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) leisten im Rahmen ihrer Möglichkeiten weiterhin medizinische und psychologische Hilfe in sieben offiziellen Internierungslagern mit jeweils zwischen 100 bis 700 gefangenen Schutzsuchenden. Sie verteilen Hilfsgüter, verbessern die Versorgung mit Trinkwasser und überweisen Patientinnen und Patienten mit schweren Krankheiten oder Verletzungen in Kliniken. In Tripolis werden Dutzende Patienten gegen Tuberkulose behandelt.
Die Zustände in den Internierungslagern waren schon vor den Kämpfen völlig inakzeptabel, nun haben sie sich weiter verschlechtert. Die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln funktioniert oft nicht mehr. Menschen in einigen Internierungslagern berichten, tagelang nichts zu essen zu bekommen.
Die Versorgung der Gefangenen mit Lebensmitteln funktioniert oft nicht mehr. Menschen in einigen Internierungslagern berichten, tagelang nichts zu essen zu bekommen.
Die Flüchtlinge und Migranten in den Internierungslagern leben in Angst und Verzweiflung. Der psychologische Zustand der Menschen, die oft massive Gewalterfahrungen hinter sich haben, hat sich durch die Kämpfe und die Unsicherheit rapide verschlechtert. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) hören immer wieder von Suizidgedanken. In einigen Lagern waren die Menschen so verzweifelt, dass sie trotz der enormen Gefahren Ausbruchsversuche unternahmen. Anfang Mai gelang mehreren Dutzend Menschen der Ausbruch aus dem Internierungslager in Misrata, einige wurden dabei durch Schüsse verletzt, mit denen sie an der Flucht gehindert werden sollten. Im Juni gelang einer grossen Zahl von nach Libyen zurückgezwungener Bootsflüchtlingen der Ausbruch aus dem Internierungslager Sabaa in Tripolis. Aus der Stadt Khoms gibt es Berichte von einem Fluchtversuch von etwa 100 Schutzsuchenden auf dem Weg vom Hafen zum Internierungslager im Juni, bei dem Schüsse auf sie abgegeben worden sein sollen.
Im Mai war es Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) erstmals möglich, Flüchtlinge und Migranten in den Internierungslagern Sintan und Gharjan südlich von Tripolis im Nafusa-Gebirge zu behandeln. Die medizinische Situation in diesen Internierungslagern war katastrophal. Mindestens 22 Gefangene waren in den vorangegangenen Monaten an Tuberkulose und anderen Krankheiten gestorben, darunter ein achtjähriges Kind. Die meisten sind aus Eritrea und Somalia geflohen. Fast alle waren zuvor in der Gewalt von Menschenhändlern gewesen und dort misshandelt, gefoltert oder vergewaltigt worden. Einige werden nun seit März 2017 willkürlich in Sintan festgehalten.
Im Internierungslager Sintan wurden im Mai mehr als 900 Menschen gefangen gehalten. Mehr als 700 von ihnen mussten in einer völlig überfüllten Lagerhalle leben, mit lediglich vier kaum funktionsfähigen Toiletten. Sie mussten in Eimer urinieren. Es gab keine Duschen und nur sporadischen Zugang zu Wasser, das nicht trinkbar war. Im Juni wurden die Gefangenen aus der Lagerhalle in andere Gebäude gebracht. Dort gibt es in einigen Zimmern weniger als einen Quadratmeter Platz pro Person. Zu essen gibt es fast nur Brot und Nudeln. Die Verzweiflung unter den Gefangenen ist so gross, dass es laut Berichten der Gefangenen mehrmals Suizidversuche gegeben hat. Gefangene müssen immer wieder ihre Zellennachbarn daran hindern, sich selbst oder anderen Gewalt anzutun.
Im Juni wurden die Gefangenen aus der Lagerhalle in andere Gebäude gebracht. Dort gibt es in einigen Zimmern weniger als einen Quadratmeter Platz pro Person. Zu essen gibt es fast nur Brot und Nudeln.
Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) leisteten medizinische Hilfe und verteilten Hygieneartikel, Babymilch und Lebensmittel. Die Situation der Gefangenen bleibt aber vollkommen untragbar. Im Internierungslager in Sintan sind weiterhin 585 Flüchtlinge und Migranten gefangen. Die Menschen im Internierungslager in Gharjan wurden nach den heftigen Kämpfen um die Stadt im Juli nach Tripolis gebracht.
© Jérôme Tubiana/MSF