«Ich stand vor der Wahl: Sterben oder gegen die Tuberkulose kämpfen»
© Pierre-Yves Bernard/MSF
Kirgisistan4 Min.
Vor vier Jahren begann die 22-jährige Studentin Rimma* mit ihrer Tuberkulose-Behandlung. Da die Erreger zunehmend behandlungsresistent wurden, musste sie Medikamente mit starken Nebenwirkungen zu sich nehmen. Rimma wurde im Projekt von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in Kara-Suu behandelt. Sie ist die erste MSF-Patientin in Kirgisistan, die mit dem neuen Behandlungsregime geheilt werden konnte. Rimma erzählt uns ihre Geschichte.
«Ich war 18 und studierte an der Universität, als ich die Diagnose Tuberkulose (TB) erhielt. Es stellte sich heraus, dass jemand von der Uni TB hatte und sieben oder acht Mitstudierende angesteckt hatte. Ich war eine davon.
Wenn ich erkältet bin, habe ich oft einen hartnäckigen Husten, deshalb machte ich mir zuerst keine Gedanken. Aber nach ein paar Wochen wurde der Husten schlimmer und ich ging zum Arzt. Ich musste röntgen und dann bekam ich die Diagnose: TB. Ich wurde sofort ins Spital überwiesen.
Starke Nebenwirkungen
Zwei Wochen nach Beginn der TB-Behandlung fanden Sie heraus, dass der TB-Stamm gegen die üblichen Medikamente resistent war. Ich verbrachte drei Monate in der Abteilung für resistente TB (MDR-TB), bevor ich mit der ambulanten Behandlung beginnen konnte. Nach sechs Monaten ambulanter Behandlung erkrankte ich wegen all der Medikamente, die ich zu mir nehmen musste, an Hepatitis. Die Ärzte ordneten eine Medikamentenpause von zwei Wochen an, um meiner Leber eine Ruhepause zu gönnen, aber danach konnte ich keine Medikamente mehr zu mir nehmen. Jedes Mal, wenn ich die Tabletten nur ansah, wurde mir schlecht. Ich musste jeweils sogar erbrechen.
In den nächsten Monaten nahm ich Medikamente nicht mehr ein – ich wollte nicht mehr. Ich unterbrach die Behandlung. Langsam verlor ich an Gewicht, der Husten kam zurück, ich hatte Kopfschmerzen. Alle Symptome begannen von Neuem. Doch ich wollte noch immer nicht zum Arzt. Doch nach ein paar Monaten fand ich mich im Spital wieder.
Als ich dachte, ich könne bald wieder mit der ambulanten Behandlung beginnen, sagten mir die Ärzte, dass sie mir keine Medikamente mehr geben könnten, da ich schon zwei Jahre in Behandlung sei. Ich bat sie, mir die Behandlung für ein paar weitere Monate zu verordnen. Sie sagten mir, dass MSF ebenfalls ein Programm für Menschen mit multiresistenter TB habe. So kam ich zu MSF.
Die Krankheit verändert dein Leben
Der Arzt von MSF fragte mich wiederholt, ob ich die Behandlung auch tatsächlich einhalten würde. Ich denke, meine Geschichte mit der unterbrochenen Behandlung war ihnen bekannt. Als ich den Zweifel in den Augen des Arztes sah, schwor ich mir, dass ich die Behandlung nicht noch einmal unterbrechen würde – dass ich alles daransetzen würde, das Behandlungsschema einzuhalten.
Zwei Wochen später erhielt ich die Nachricht, dass sich die MDR-TB zu einer extrem resistenten TB (XDR-TB) entwickelt hatte. Die Nebenwirkungen dieser Behandlung waren schlimm. Ich musste erbrechen, hatte schlimme Kopfschmerzen und sogar meine Beine schmerzten. Ich konnte nicht mehr schlafen. Von einer Tablette bekam ich dunkle Haut. Ich sah zwar braun aus, aber ungesund. Ich nahm rund 10 Kilogramm zu.
Leute, die mich von früher kannten, fragten mich, warum ich so dick geworden sei und was mit mir los sei. Ich musste eine Brille und einen Hut tragen, damit mich die Leute nicht erkannten.
Als ich 18 war und die Diagnose TB bekam, weinte ich und war einen Monat lang depressiv. Ich konnte mit niemandem reden. Ich fragte mich immer und immer wieder: ‹Warum ich?› Ich dachte, mein Leben sei vorbei. Aber als ich die Diagnose XDR-TB bekam, stellte ich mir neue Fragen: ‹War soll ich tun: Soll ich mich selbst bemitleiden? Werde ich sterben? Werde ich meine Liebsten anstecken? Oder kämpfe ich gegen die Krankheit?›
Eigentlich hätte ich schon vor langer Zeit geheilt werden sollen. In dieser Zeit habe ich viele Menschen gesehen, die an TB gestorben sind. Deshalb wusste ich, dass ich nur eine Wahl hatte: Kämpfen. Ich wollte leben.
TB sortiert dein Leben neu: Du weisst danach, wer ein echter Freund ist und wer nicht. Bevor ich krank wurde, dachte ich, alle seien meine Freunde. Aber nur wenige meiner Mitstudierenden kamen mich besuchen, und die meisten meiner sogenannten Freunde verschwanden.
Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als die Ärzte mir sagten, dass ich geheilt sei. Ich habe eine neue Arbeit gefunden und vielleicht gehe ich wieder zur Uni.
Ich hatte eine beste Freundin. Als ich die Diagnose erhielt, war sie im Ausland. Ich sagte ihr nicht, dass ich Tuberkulose habe, ich sagte ihr nur, dass ich krank sei. Ich log sie an, weil ich Angst hatte, dass ich sonst die einzige Freundin, die mir geblieben war, verlieren würde. Aber als sie zurückkam, verstand sie es sofort. Sie war die Einzige, die an meiner Seite blieb.
Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als die Ärzte mir sagten, dass ich geheilt sei. Ich habe eine neue Arbeit gefunden und vielleicht gehe ich wieder zur Uni. Ich möchte alles vergessen, was mit TB zu tun hat. Ich möchte alles hinter mir lassen und ein neues Leben anfangen.»
* Zur Wahrung der Vertraulichkeit wurde der Name geändert.
© Pierre-Yves Bernard/MSF