Kirgisistan: Interview mit Anja Wolz, MSF-Koordinatorin in Osch
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Die Lage im Süden Kirgisistans bleibt weiterhin angespannt. Während den Auseinandersetzungen zwischen der kirigisischen und uzbekischen Bevölkerungsgruppe Mitte Juni wurden hunderte von Personen getötet und über tausend Menschen verletzt. Die Teams von MSF sind vor Ort und stellen der betroffenen Bevölkerung medizinische Pflege und psychologische Unterstützung zur Verfügung.
Wie ist die momentane Situation in Osch?
Die Situation ist immer noch sehr angespannt, auch wenn man dies nicht unbedingt sieht, wenn man durch die Stadt geht. Dass diese Stadt traumatisiert ist, kann man aber kaum übersehen: Hunderte von Häusern, vor allem in uzbekischen Gemeinden, wurden niedergebrannt und viele Läden bleiben immer noch geschlossen. Die Menschen, deren Häuser niedergebrannt wurden, leben in Zelten inmitten der Trümmer oder sind zu Nachbarn und Freunden gezogen. Das grösste Problem jedoch ist der unsichtbare aber ständig anwesende Angstzustand, in welchem die Menschen, und vor allem die Uzbeken, hier leben. Sie sind die Leidtragenden der zahlreichen Razzien der Sicherheitskräfte, gefolgt von Verhaftungen und schweren Misshandlungen in Haftanstalten. Diese Angst, einhergehend mit der andauernden Präsenz von bewaffneten Streitkräften in und um die Gesundheitseinrichtungen herum, erschwert den Zugang zu medizinischer Pflege enorm.
Was tut MSF, um der Bevölkerung zu helfen?
Unsere Strategie ist es, zuerst die dringenden medizinischen Bedürfnisse der Menschen zu stillen. In Gebieten, wo die Menschen zu verängstigt sind, als dass sie ihre Gemeinden verlassen würden, arbeiten wir mit mobilen Kliniken. Wir stellen auch Notfallversorgung für die Menschen bereit, welche aus der Haft entlassen und verprügelt wurden. Durchschnittlich zwei Patienten pro Tag wurden Opfer von Misshandlungen dieser Art. Einige unter ihnen berichten, dass sie sogar gefoltert wurden.
Wir stellen den Gesundheitseinrichtungen ausserdem Medikamente, medizinische Ausrüstung und sauberes Wasser zur Verfügung. Zusätzlich stehen die Psychologen von MSF den vielen Menschen zur Seite, welche während den Auseinandersetzungen im Juni leiden mussten: Die einen haben ihre Familie verloren, andere waren Zeugen von Gewalttaten oder sind knapp dem Tod entronnen. Um sogar noch mehr Menschen zu erreichen, bilden wir momentan 20 Berater aus, die bald in ihren Gemeinden zu arbeiten beginnen. Ferner haben wir an strategisch wichtigen Standorten medizinische Ausrüstung und Medikamente deponiert, damit wir schnell reagieren können, falls die heftige Gewalt wieder ausbricht.
Wie wird sich die Situation Ihrer Meinung nach in den nächsten Monaten entwickeln?
Die Situation ist immer noch schwer einschätzbar, da die Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht abzubrechen scheint. Was uns am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, dass tausende von Uzbeken, darunter auch gebildete Personen wie medizinisches Personal und Lehrer, beschlossen haben, ins Exil zu gehen. Die Ärmsten und die am meisten Verwundbaren bleiben zurück und somit ist zu erwarten, dass der Zugang zu medizinischer Hilfe für sie noch mehr erschwert wird. In dieser Region wird es schon im Oktober Winter und dies wird die Verletzlichkeit derjenigen, die jetzt gezwungen sind, in ihren zerstörten Häusern zu leben, sicherlich erhöhen. Daher beabsichtigen wir, hier zu bleiben und der Bevölkerung zumindest bis zum Ende des Jahres unsere Hilfe anzubieten.