Libanon: Hilfeleistungen decken die Bedürfnisse der syrischen Flüchtlinge nicht ab
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Eine neue Studie von MSF zeigt, dass die Hälfte der Flüchtlinge die benötigte medizinische Hilfe nicht erhält.
Die Syrer, die vor den heftigen Konflikten in ihrem Heimatland geflohen sind, um im Libanon Sicherheit zu finden, erhalten keine angemessene humanitäre Hilfe und leben unter prekären Bedingungen. Dies ergibt eine detaillierte Studie, die am 7. Februar 2013 von der medizinischen humanitären Organisation Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) veröffentlicht wurde.
Der MSF-Bericht „Misery beyond the war zone“ (Elend jenseits des Kriegsgebietes) zeigt unter anderem, dass von den 220'000 Syrern, die bis jetzt im Libanon Zuflucht gesucht haben, viele nicht die nötige Gesundheitsversorgung erhalten. Die Studie enthüllt eine markante Verschlechterung der humanitären Situation im Libanon, grösstenteils wegen der Verzögerungen bei der Registrierung. Denn im Libanon, wo die Mehrheit der Flüchtlinge Zuflucht suchen, hängt der Anspruch auf formale Hilfe von der Registrierung ab.
„Die Registrierung sollte keine Bedingung sein, um in einer Notsituation Hilfe zu erhalten“, ermahnt der Direktor von MSF Bruno Jochum. „Dennoch ist es so, dass der Zugang zu humanitärer Hilfe durch die Schwierigkeiten bei der Registrierung ernsthaft behindert wird. Die Lieferung der Hilfe muss beschleunigt und ausgedehnt werden“, betont er.
Unzureichende Unterkünfte für den Winter
Syrische Flüchtlinge und andere Vertriebene im Libanon haben keinen Zugang zu freier Gesundheitsversorgung und angemessenen Unterkünften. Die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Flüchtlinge und die libanesischen Heimkehrer bleiben prekär. Mehr als 50 Prozent der Menschen, die von MSF befragt wurden, sind in mangelhaften Strukturen wie unangemessenen Kollektivunterkünften, Bauernhöfen, Garagen, unfertigen Rohbauten oder alten Schulen untergebracht, ob sie nun registriert sind oder nicht. Die meisten dieser Unterkünfte bieten kaum oder gar keinen Schutz vor Kälte und Nässe. Diese unzumutbaren Lebensbedingungen tragen zur Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bei.
Die Studie wurde im Dezember 2012 beendet und umfasste 2'100 syrische Flüchtlingsfamilien. 75 Prozent der Befragten leben unter Bedingungen, die der Härte des Winters nicht angepasst sind. Die Menschen, die vom Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert wurden, haben ein Anrecht auf Gutscheine für Nahrung und Brennmaterialien und auf die Übernahme eines Teils der Gesundheitskosten. Mehr als 40 Prozent der Befragten waren jedoch nicht offiziell registriert.
„Wir sind in einer kritischen Situation: Wir haben nicht genug zu essen, und wir wissen nicht, an wen wir uns wenden können. Die einzige Nahrung, die wir erhalten, kommt von solidarischen libanesischen Nachbarn. Als Erwachsene können wir uns mit einer Mahlzeit pro Tag begnügen, aber von unseren Kindern können wir das nicht verlangen“, sagt ein Flüchtlingsvater. „Wenn wir nicht Angst vor den Bombardements in Homs hätten, würden wir sofort zurückkehren.“
Aufnahmekapazitäten stossen an Grenzen
Knapp einer von vier Interviewten gab an, keine Hilfe erhalten zu haben, während 65 Prozent sagten, dass sie nur teilweise Unterstützung erhielten, die die Bedürfnisse der Familie nicht deckten. In weiten Teilen des Libanon stösst die Kapazität der Gastgemeinden, Flüchtlinge aufzunehmen, an ihre Grenzen. Den Familien, die schon früh ankamen, geht das Geld aus, um Nahrung und Unterkunft zu bezahlen. Sie haben auch keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung.
Die medizinische Situation hat sich in den letzten sechs Monaten deutlich verschlechtert. Mehr als die Hälfte aller Interviewten (52 Prozent) kann sich die Behandlung chronischer Krankheiten nicht leisten, und nahezu ein Drittel musste eine Behandlung unterbrechen, weil die Weiterführung zu teuer war. Kinderimpfungen, rezeptpflichtige Medikamente, Betreuung von Frauen während der Schwangerschaft und Geburtshilfe sowie medizinische Grundversorgung sind oft ausser Reichweite.
Der Zugang zu medizinischer Versorgung für die verletzlichsten Bevölkerungsschichten – ob registriert oder nicht, ob palästinensische Flüchtlinge aus Syrien oder libanesische Heimkehrer – erfordert allerhöchste Priorität und unverzügliches Handeln. Alle Flüchtlinge müssen bei ihrer Ankunft im Libanon umgehend Hilfe erhalten und einen garantierten Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.
„Die Geldgeber müssen sich dazu verpflichten, das Notwendige zu tun, um den wachsenden Bedürfnissen der Flüchtlingsbevölkerung im Libanon zu begegnen. Nationale und internationale Akteure müssen die Methoden und das Ausmass der geleisteten Hilfe evaluieren“, so Jochum. „MSF ruft alle Behörden und Agenturen dazu auf, die Einrichtung von Empfangszentren für Neuankömmlinge zu beschleunigen und umgehend zugängliche Kollektivunterkünfte zu schaffen, die den winterlichen Bedingungen standhalten können. Nur so kann dem zunehmenden Flüchtlingsstrom begegnet werden.“
Die Aktivitäten von MSF in Syrien und in den Nachbarländern
Seit der Ankunft tausender syrischer Flüchtlinge, die seit November 2011 vor dem Konflikt in ihrem Land flüchten, hat MSF ihre Aktivitäten ausgeweitet. Im Jahr 2012 hat MSF in der Bekaa-Ebene und in Tripolis mehr als 23'000 Konsultationen durchgeführt. Seit November 2012 hat MSF an die syrischen Flüchtlinge in der Bekaa-Ebene 25'580 lebensnotwendige Hilfsgüter verteilt. Mitte Januar 2013 hat MSF damit begonnen, den Flüchtlingen Gutscheine für Brennmaterial zu verteilen, sodass nun 300 Familien zwei Monate lang heizen können. Bis heute hat MSF ihr Personal von 50 auf 112 verdoppelt und baut ihre Aktivitäten weiter aus.
Im Norden Syriens arbeitet MSF in drei Spitälern in Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrolliert werden. Medizinische Teams bieten Nothilfe und chirurgische Versorgung an. Zwischen Juni 2012 und Anfang Januar 2013 haben MSF-Teams mehr als 10'000 Konsultationen und über 900 chirurgische Eingriffe durchgeführt. In angrenzenden Ländern wie Jordanien, dem Libanon und Irak unterstützt MSF zudem Flüchtlinge aus Syrien, Palästina und dem Irak mit medizinischer und chirurgischer Hilfe.