Mosambik: Ein langer und ungewisser Kampf gegen HIV/Aids
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In Mosambik ist der Kampf gegen HIV/Aids Teil des täglichen Lebens. Es gibt noch viel zu tun, bis die Stigmatisierung der HIV-Infizierten besiegt ist und alle Betroffenen gepflegt und mit Medikamenten versorgt sind. Eine Begegnung mit den MSF-Teams, die vor Ort das Personal der Gesundheitsbehörden unterstützen.
Die Zuhörer sind mucksmäuschenstill. Im Warteraum der Notaufnahme im Spital von Lichinga, einer Stadt im Norden Mosambiks, verfolgen um die fünfzig Personen aufmerksam den leidenschaftlichen Vortrag von Jaime Fernando Aime. Mit grossen Gesten, ernsten Worten und farbigen Bildern erzählt dieser Mann den Anwesenden, dass er HIV-positiv und seit vier Jahren in antiretroviraler Behandlung sei. Er holt eine kleine Medikamentendose aus seiner Tasche hervor: „Seht ihr, das sind nichts anderes als Medikamente, und dank diesen kann ich arbeiten und ein normales Leben führen… ich bin sogar mit dem Fahrrad hierher gefahren!“
Jaime arbeitet seit drei Jahren für MSF, um die Menschen über HIV/Aids aufzuklären und sie davon zu überzeugen, sich testen zu lassen. „Die erste Schwierigkeit liegt darin, das Schweigen zu brechen und offen über die eigene Ansteckung zu reden“, erklärt er. „Heutzutage ist es etwas einfacher geworden, darüber zu reden, es gibt weniger Scham in Verbindung mit HIV – die Menschen, an die ich mich wende, trauen sich immer häufiger, Fragen über die Krankheit zu stellen.“
Dank dem Einsatz von Jaime und über zehn weiteren Aktivisten ist HIV/Aids nicht mehr das Tabuthema, das es einmal war – doch es gibt noch viel zu tun. Eine der Herausforderungen liegt in der Bewältigung der stark gestiegenen Anzahl Patienten, die in den von MSF unterstützten Institutionen betreut werden. In Chamanculo, einem der Distrikte der Hauptstadt Maputo, waren Ende 2010 über 18'000 Patienten in antiretroviraler Behandlung, das sind 58 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. „Diese Zahl bedeutet nicht etwa, dass die Epidemie ansteigt, sondern zeigt vielmehr, dass die Bevölkerung bewusster mit der Thematik umgeht. Es lassen sich mehr Personen testen als vorher, was zur Folge hat, dass mehr Fälle identifiziert und somit auch behandelt werden“, erklärt Gaël Claquin, Projektkoordinator von MSF in Chamanculo. Trotzdem bleiben die Zahlen beunruhigend: die HIV-Infektionsrate in Mosambik liegt heute bei den 15- bis 49-Jährigen bei 11,5 Prozent. In städtischen Gebieten erreicht die Rate sogar 15,9 Prozent, und unter den schwangeren Frauen sind gar 18 Prozent mit dem Virus infiziert.
Es ist 7.30 Uhr morgens und eine aufgeregte Masse drängelt sich vor dem Empfangsschalter des Spitals von Chamanculo. Ein Viertel von ihnen, etwa 200 bis 250 Personen täglich, kommen aufgrund einer chronischen Krankheit in die Sprechstunde – meistens wegen HIV/Aids. Viele sind heute zum ersten Mal hier, nachdem sie positiv auf HIV getestet wurden. Hinter dem Schalter stehen grosse Eisenregale in denen Tausende Dossiers von HIV-Patienten gestapelt sind. Eine der ersten Etappen im langen Parcours der Behandlung ist die Besprechung mit einem MSF-Berater.
Die Hoffnung: Trotz HIV möglichst lang und bei guter Gesundheit leben
In einem kleinen, spärlich beleuchteten Saal des Chamanculo-Spitals sitzen zwei MSF-Berater und sechs Patienten auf Holzbänken und diskutieren. Ein Mann mit gelber Wollmütze fragt, ob er jeden Monat vorbeikommen müsse, um seine Medikamente abzuholen. Er arbeitet in Südafrika und hat Angst, seine Arbeit zu verlieren. Margarita, eine „Patientenexpertin“ von MSF, die selber HIV-positiv ist, erklärt ihm, dass er auch in Südafrika – mit denselben Medikamenten – behandelt würde. Diese erste Sprechstunde ist sehr wichtig, denn sie liefert den Patienten Antworten darüber, wie ihr Leben von nun an sein wird, und gibt gleichzeitig dem medizinischen Personal die Möglichkeit, ihre Patienten kennen zu lernen um sie optimal zu beraten“, erklärt die Pflegefachfrau Amélia, die seit 2002 für MSF arbeitet. „Vor ein paar Jahren weinten die Patienten oft während der ersten Sitzungen. Heute nehmen sie die Nachricht über eine HIV-Infektion etwas gelassener. Sie wissen, dass sie behandelt werden können und dass sie noch lange bei guter Gesundheit leben können, wenn sie die Medikamente regelmässig einnehmen. Umso mehr wenn sie sich zu einem frühen Zeitpunkt haben testen lassen“.
Diese ermutigende Nachricht bedeutet aber nicht, dass wir den Kampf gegen HIV/Aids in Mosambik gewonnen haben. 1,4 Millionen Mosambikaner sind heute HIV-positiv. Von den 650'000, die eine antiretrovirale Behandlung benötigen, haben nur 250'000 tatsächlich Zugang zu einer Therapie. Schuld daran sind der mangelnde Zugang zur Gesundheitsversorgung und insbesondere der Mangel an medizinischem Personal.
Das Pflegepersonal schulen um die Ärzte zu entlasten
Seit einigen Jahren versucht MSF die Gesundheitsbehörden in Mosambik davon zu überzeugen, mehr in die Weiterbildung des Personals zu investieren und neue Behandlungsrichtlinien einzuführen, um noch mehr Patienten behandeln zu können. „Wir empfehlen zum Beispiel, dass die Pflegekräfte, nachdem sie entsprechend geschult wurden, antiretrovirale Medikamente bei einfachen Krankheitsfällen verschreiben dürfen, was heute einzig im Kompetenzbereich der Ärzte oder der medizinischen Assistenten liegt“, erklärt Mariano Lugli, MSF-Projektleiter in Mosambik. Während der Entscheid der Behörden noch aussteht, hat MSF ein Ausbildungsprogramm für die Pflegefachkräfte gestartet, damit diese ihre Arbeit baldmöglichst aufnehmen können. „Wir sind gut vorbereitet und können mit den Behandlungen beginnen, sobald das Gesetz geändert wird“, erklärt Alberto Zefarias, MSF-Pflegfachmann im Spital von Chamanculo. „Einige von uns unterstützen bereits die medizinischen Assistenten, die noch nicht so erfahren sind. Aber wir schwimmen schon jetzt in der Arbeit. An manchen Tagen betreue ich bis zu 60 Patienten, die ins Spital kommen um ihre Behandlung zu erneuern.“
Wenn Hunderttausende Patienten noch keinen Zugang zu einer lebensnotwendigen Behandlung haben, so liegt das auch an der fehlenden Finanzierung. Schon jetzt beansprucht die HIV/Aids-Therapie über die Hälfte der Gesamtausgaben des Gesundheitsministeriums (78 Millionen Dollar von 138,7 Millionen). Die MSF-Teams berichten von häufigen Medikamenten-Engpässen, die sowohl auf technische Gründe wie auch auf fehlende finanzielle Mittel zurückzuführen sind. „Die internationale Finanzierung, insbesondere des Globalen Fonds, ist je länger je mehr eingeschränkt, sowohl für Mosambik wie auch für andere Länder, die von der Doppel-Epidemie von HIV/Aids und Tuberkulose betroffen sind“, erklärt Mariano Lugli. „Ohne eine umfangreiche Unterstützung durch die internationalen Geldgeber wird Mosambik die medizinische Krise – trotz seiner erheblichen Bemühungen – nicht bewältigen können.“