MSF untersucht neue Ansätze der HIV-Behandlung
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Anlässlich des diesjährigen Welt-Aids-Tags hier ein Überblick über die neuen Ansätze in der Behandlung der Krankheit, wie sie in Swasiland umgesetzt werden.
Dreissig Jahre nach Ausbruch der HIV/Aids-Epidemie und über zehn Jahre nach der Einführung der antiretroviralen Behandlung (ART) in Entwicklungsländern zeigen neuste wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Behandlung sowohl den Gesundheitszustand der Patienten stabilisieren als auch die Ausbreitung des Virus verhindern kann. Zurzeit werden verschiedene neue Behandlungsmethoden geprüft wie z.B. der Einsatz von ART bereits in früheren Stadien des Krankheitsverlaufs. Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat vor zwölf Jahren begonnen, ART in Entwicklungsländern einzusetzen, und behandelt heute 222’000 Menschen in 23 Ländern. In mehreren Projekten hat die humanitäre Organisation begonnen, die neuen Behandlungsansätze einzuführen. Micaela Serafini, Medizinische Referentin bei Médecins Sans Frontières, erklärt die Arbeit von MSF in Swasiland, wo HIV-positive Schwangere frühzeitig ART erhalten, HIV breit getestet und behandelt wird und neue Technologien eine bessere Überwachung des Behandlungserfolgs erlauben.
Warum ist es wichtig, dass HIV-Infizierte bereits dann antiretrovirale Medikamente einnehmen, wenn ihr Immunsystem noch widerstandsfähig ist?
Heutzutage messen wir die Anzahl der weissen Blutkörperchen, um zu entscheiden, ob wir die antiretrovirale Behandlung (ART) für eine HIV-positive Person beginnen. Denn diese Zahl ist ein Indikator dafür, wie gut das Immunsystem funktioniert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt heute, Patienten auf ART zu setzen, wenn die Anzahl der CD4-Zellen auf 350 Zellen pro mm3 Blut gesunken ist. Je niedriger der Wert, desto anfälliger ist die Person auf opportunistische Infektionen wie z.B. Tuberkulose.
Es wäre eine positive Entwicklung, wenn der Schwellenwert für einen Behandlungsbeginn von 350 auf 500 CD4-Zellen erhöhte würde, weil dadurch mehr Menschen eine Behandlung erhalten könnten und weil ein früher Behandlungsbeginn den Gesundheitszustand der Patienten stabilisiert. Wir wissen zudem, dass eine Behandlung die Übertragung des Virus eindämmt. Die Verabreichung antiretroviraler Medikamente ist daher ein zentraler Bestandteil der Präventionsmassnahmen.
In Swasiland untersucht MSF derzeit die Durchführbarkeit des Modells „Testen und Behandeln“.. Dabei werden alle HIV-positiven Patienten mit ART behandelt, ungeachtet ihres CD4-Werts. Dieses Vorgehen würde uns erlauben, mit grösstmöglicher Wirksamkeit sowohl die Folgekrankheiten als auch die Ansteckung mit HIV in der Bevölkerung zu verringern.
In Swasiland haben wir damit begonnen, ein stark verbessertes Behandlungsprotokoll für schwangere Frauen einzuführen, um die HIV-Übertragung von Mutter zu Kind zu verhindern und die Mütter gesund zu erhalten. Denn bei dieser Bevölkerungsgruppe beträgt die HIV-Infektionsrate ungefähr 40 Prozent, was eine beunruhigend hohe Zahl ist. Unser Ziel ist es deshalb, alle HIV-positiven, schwangeren Frauen ungeachtet ihres CD4-Werts in eine lebenslange Behandlung aufzunehmen.
In der Region Shiselweni im Süden des Landes, die 208’000 Einwohner zählt, wird gerade ein entsprechendes Pilotprojekt gestartet. Wir möchten fortan jedes Jahr 3’000 schwangere Frauen auf ART-Behandlung setzen. 2013 werden wir diesen Ansatz auch auf andere Risikogruppen ausweiten und langfristig auf alle HIV-positiven Erwachsenen in der Region.
Sind die Menschen bereit, sich auf HIV testen zu lassen?
Während die schwangeren Frauen in Swasiland Gesundheitszentren aufsuchen und sich testen lassen, ist es schwierig, auch die Männer zu einem Test zu bewegen. Da sie nur widerwillig in die Gesundheitszentren kommen, müssen wir die Tests zu ihnen bringen. In Swasiland hat MSF einen lokalen Testdienst eingerichtet, bei dem örtliche Helfer die Beratung und die Tests vornehmen und Personen ins Gesundheitszentrum einweisen, falls der Test positiv ausfällt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der HIV-Behandlung besteht darin, durch regelmässige Überwachung zu kontrollieren, dass die Behandlung die gewünschte Wirkung erzielt. Was bedeutet die sogenannte „Viruslast“, und warum benutzt MSF diesen Messwert?
Wir messen die Anzahl an CD4-Zellen, um den Zustand des Immunsystems festzustellen und zu entscheiden, wann eine Person mit der Behandlung beginnen sollte. Der Viruslast-Test zeigt uns zudem, ob das Virus sich weiterhin vermehrt, was ein Zeichen dafür sein kann, dass ein Patient Mühe hat, das Behandlungsprotokoll korrekt einzuhalten. Aus Erfahrung wissen wir, dass Personen, deren Behandlungsprobleme dank der Kontrolle der Viruslast entdeckt werden, durch gezielte Beratung wieder auf die richtige Bahn gebracht werden können. Mit der Überwachung der Viruslast kann man auch Fälle erkennen, bei denen das Virus eine Resistenz gegenüber den verwendeten Medikamenten entwickelt hat und der Patient sofort auf andere Medikamente gesetzt werden muss.
Der CD4-Wert zeigt erst später an, wie die Patienten auf die Behandlung ansprechen, weil das Immunsystem erst verzögert auf das Virus reagiert. Der Viruslast-Test kann mit einer SMS verglichen werden, während der CD4-Test eher einem Brief mit der Post entspricht.
Die Dezentralisierung der Viruslast-Kontrolle erlaubt den Patienten, den Test im örtlichen Gesundheitszentrum vorzunehmen, statt die lange Reise ins Distriktspital unternehmen zu müssen. Dabei helfen die Mini-Labors, die wir in abgelegenen Kliniken und Gesundheitszentren in Swasiland einrichten. Die Kliniken sind heutzutage bereits mit allem ausgerüstet, was für HIV-Tests, CD4-Zählungen, Schwangerschaftstests und biochemische Untersuchungen nötig ist. Die Erfassung der Viruslast wird nun zu diesem Angebot dazukommen.
Mit der Viruslast-Messung erfahren wir ausserdem sofort, ob ein Neugeborenes einer HIV-positiven Mutter ebenfalls angesteckt ist oder nicht. Mit dem heutigen Diagnose-Soforttest können Kinder erst dann auf HIV getestet werden, wenn sie sechs Monate lang nicht mehr gestillt wurden, weil sich andernfalls nicht feststellen lässt, ob die HIV-Antikörper im Blut von der Mutter oder vom Kind stammen. Gegenwärtig ist das Risiko hoch, dass Kinder mit HIV sterben, weil die verfügbaren Mittel nicht erlauben, sie bei der Geburt zu testen und die Behandlung entsprechend früh zu beginnen. Zum Glück kann die Messung der Viruslast dies ändern, aber das Testverfahren muss breit eingesetzt werden.