Nachtschicht in einem Flüchtlingslager im Südsudan

Le docteur Roberto Scaini relate le quotidien des équipes de nuit à l'hôpital de campagne de MSF dans le camp de réfugiés de Batil.

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„Ich glaube nicht an Wunder, aber manchmal haben wir Glück“: Ein Arzt gibt Einblick in eine typische Nachtschicht in einem MSF-Spital.

Mehr als 170’000 Flüchtlinge aus den sudanesischen Bundesstaaten Südkordofan und Blue Nile haben die Grenze in den Südsudan überquert. Sie leben nun in fünf Lagern in entlegenen und schwer erreichbaren Regionen des Landes. Viele Flüchtlinge sind nach oft wochenlangem Marsch in geschwächtem Zustand angekommen, und die Gesundheitssituation in den Lagern schwankte in den letzten Monaten zwischen schlecht und miserabel.
So erreichte etwa die Sterblichkeitsrate im Juli 2012 im Lager Batil mehr als das Doppelte des Schwellenwerts, ab dem von einer akuten Krisensituation gesprochen wird. Nahezu die Hälfte aller Kinder unter zwei Jahren im Lager war mangelernährt, und MSF erklärte im August 2012 den Gesundheitszustand im Lager als katastrophal.
Seit im November 2011 die ersten Flüchtlinge ankamen, hat sich hauptsächlich MSF um die gesundheitliche Versorgung in den Lagern gekümmert. Als sich die Situation zunehmend verschlechterte, reagierte die Organisation auf diesen Notfall und fokussierte die Arbeit auf die dringendsten lebensrettenden Massnahmen. Dank diesem schnellen Eingreifen konnte die Sterblichkeitsrate im Lager Batil deutlich reduziert werden. Trotzdem bleibt die Lage der Flüchtlinge ein Notfall, da sie zu 100 Prozent auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Weiterhin wird rund um die Uhr gearbeitet, um Leben zu retten.

„Die Nächte sind kritisch“

Der MSF-Arzt Roberto Scaini schildert eine typische Nachtschicht im Feldspital im Flüchtlingslager Batil.
„Die Nacht wird hier im Spital als kritischer Moment betrachtet. Wir beginnen mit einer Runde durch die Stationen, damit mir die Ärztinnen und Ärzte der Tagesschicht über ihre Patienten berichten können. Letzte Nacht begannen wir mit einem Mann in stationärer Behandlung, der gerade mit Verdacht auf Meningitis eingeliefert worden war. Wir machten eine Lumbalpunktion, bei der wir eine Probe der Rückenmarksflüssigkeit entnahmen. Doch das Ergebnis lieferte kein eindeutiges Ergebnis, was bedeutete, dass weitere Labortest durchgeführt werden müssen. Der Zustand des Patienten war sehr kritisch.

Nonstop-Versorgung

Der andere Ort, über den ich Bescheid wissen muss, ist die Intensivstation für stark mangelernährte Menschen. In der letzten Nacht waren alle Patienten stabil, ausser einem Mädchen, das stark dehydriert war und an ständigem Durchfall litt. Wir mussten ihr eine spezielle Flüssigkeit zuführen, um zu ersetzen, was sie durch den Durchfall und das Erbrechen verloren hatte. Ausserdem mussten wir sie jede Stunde wiegen, weil wir ihr eine grosse Menge der Flüssigkeit verabreichten. Ein Zuviel würde ihr System so sehr belasten, dass es für das Mädchen gefährlich werden könnte. Diese Kinder sind so schwach, dass wir ihnen die Flüssigkeit nur sehr langsam mit einer Spritze verabreichen können. Man muss dies die ganze Nacht über sehr vorsichtig machen, Flüssigkeit verabreichen, das Gewicht überprüfen, warten, Flüssigkeit verabreichen, das Gewicht wieder überprüfen...

Man muss fokussiert bleiben

Die Patienten, die nicht stabil sind, erreichen in der Nacht oftmals einen kritischen Zustand. Und das kann sehr schwierig werden. Man muss sich voll und ganz auf die allerkritischsten Fälle fokussieren. Wenn man einen geschwächten Patienten zu lange unbeaufsichtigt lässt, kann sein Zustand sehr kritisch werden und der Patient gar sterben.
In gewisser Weise bekommt man während der Nachtschicht eine viel stärkere Verbindung zu den Patienten und dem medizinischen Personal. Für mich ist es eine seltsame und irgendwie magische Zeit; alles ist ruhig nach dem Lärm und der Aufregung des Tages, man hört nichts als das Geräusch des Generators und des Regens, und man kann für eine kurze Pause inne halten und mit den Kollegen aus dem Sudan und dem Südsudan eine Tasse Kaffee trinken. Zwischen zwei Notfällen hat man die Möglichkeit, anzuhalten und nachzudenken.

Plötzliche Notfälle

Aber wir haben immer Patienten, die sehr krank sind, deren Zustand innerhalb weniger Sekunden von stabil zu sehr kritisch wechseln kann. Neulich hatte ein Mädchen, das wir wegen schwerer zerebraler Malaria behandelten, plötzlich starke Krämpfe. Das bedeutete zwei Stunden Hochbetrieb. Wenn ein Kind einen Krampfanfall hat, kann dies zu Atmungsproblemen führen. Man muss den Krampf sofort beenden, da der Sauerstoffmangel Hirnschäden verursachen kann. Wir ergriffen die üblichen Massnahmen, doch dann hörte sie plötzlich zu atmen auf. So mussten wir sie mit einer Beatmungshilfe manuell beatmen, aber dies war sehr schwierig, weil sie so schwere Krämpfe hatte, zitterte und sich krümmte.

Schwere Entscheidungen

Die Entscheidung war schwierig, denn die Nebenwirkung des Medikaments, das die Anfälle stoppt, ist eine Verringerung der Atemfrequenz des Patienten. Wir mussten die Krämpfe jedoch stoppen und verabreichten der Patientin das Medikament, obwohl es ihre Atmung beeinflusste. Nach etwa 25 Minuten konnten wir die Krämpfe stoppen, aber die lange Dauer des Anfalls erhöhte das Risiko für Hirnschäden. Während der ganzen Zeit mussten wir zusätzlich beatmen, denn wenn man damit für zwei bis drei Minuten aufhört, kann ein Patient sterben.

Manchmal haben wir Glück

An einem Punkt begann ich daran zu denken, dass das Mädchen acht Jahre alt ist, so alt wie meine eigene Tochter. Ich denke, das hat mir irgendwie geholfen weiterzumachen, und ich beatmete das Kind 40 oder 45 Minuten lang, was wirklich sehr anstrengend ist. Und dann bewegte sich plötzlich ihr Brustkorb, ich hörte auf, und sie atmete zur Hälfte von alleine. Ich fuhr eine Zeit lang mit der Beatmung fort, und ganz langsam begann sie wieder, alleine zu atmen. Für den Rest der Nacht war sie bewusstlos, aber stabil.
Als ich am nächsten Abend um sechs Uhr wieder nach ihr sah, sass sie und trank. Dann hörte sie auf und lächelte mich an. Sie muss mich erkannt haben. Ich machte ein paar schnelle Untersuchungen, und ja, ihr Leben war gerettet. Und wie es aussieht, ohne ersichtliche Hirnschäden. Ich glaube nicht an Wunder, aber manchmal haben wir Glück.