Novartis versucht, patentrechtliche Bestimmungen der patientenfreundlichen Gesetzgebung Indiens abzuschwächen
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Novartis klagt erneut vor dem indischen Gerichtshof, um ein Krebsmedikament patentieren zu lassen. Damit gefährdet das pharmazeutische Unternehmen den Zugang zu kostengünstigen Generika.
Der in der Schweiz ansässige Pharmakonzern Novartis hat Anfang September 2011 in letzter Instanz vor dem obersten Gerichtshof Indiens geklagt, um damit eine der wichtigsten gesundheitsrechtlichen Schutzbestimmungen zu Fall zu bringen. Die im indischen Patentrecht festgehaltene Bestimmung zielt darauf ab, die pharmazeutischen Unternehmen daran zu hindern, Arzneien missbräuchlich patentieren zu lassen. Gelänge dies, würde laut MSF eine ganze Reihe von Medikamenten für Patienten in Entwicklungsländern unzugänglich.
“Novartis versucht nun, dem indischen Patentamt einen Maulkorb zu verpassen. Dieses soll daran gehindert werden, Patentanmeldungen zurückzuweisen, welche neue Formeln schon bekannter Medikamente betreffen, die wenig therapeutischen Nutzen bringen“, erklärt Leena Menghaney von der MSF-Medikamentenkampagne in Indien. “Das gegenwärtige System ist zwar verbesserungswürdig, doch es hindert die pharmazeutischen Unternehmen daran, jedes Mal ein ungerechtfertigtes Monopol von 20 Jahren zu erwerben, wenn es lediglich um eine neue Formel oder eine neue Anwendung eines Medikaments geht. Novartis möchte mit ihrem Vorgehen dieser Schutzklausel nun die Substanz entziehen, ungeachtet der möglichen schwerwiegenden Folgen für das öffentliche Gesundheitswesen“.
Insbesondere Entwicklungsländer betroffen
Novartis bestreitet einen Teil des indischen Patentrechts - Abschnitt 3 (d) - welcher unter anderen Bestimmungen festhält, dass eine neue Formel eines schon vertriebenen Medikaments nur dann patentiert werden darf, wenn es gegenüber existierenden Arzneien einen deutlich erhöhten therapeutischen Nutzen nachweisen kann. Als im Jahre 2005 das WTO Mitgliedsland Indien - im Rahmen seiner der Welthandelsorganisation gegenüber eingegangen internationalen Verpflichtungen - die Patentierung von Medikamenten einführte, geschah dies in der Absicht, zwischen dem Patentrecht und den Interessen des öffentlichen Gesundheitswesens eine Balance herzustellen.
Sollte es Novartis gelingen, die Auslegung des Abschnitts 3 (d) dahingehend abzuschwächen, dass für ein spezifisches Salz des Krebsmedikaments “Imatinib“ ein Patent auszustellen ist, so würde dies in Indien gegenüber der heutigen Praxis bzw. den heute üblichen internationalen, handelsrechtlichen Bestimmungen zu einer deutlichen Zunahme von Patentierungen führen; was wiederum ein abruptes Ende des Wettbewerbs zwischen den Generika wichtiger Medikamente zur Folge hätte. Damit würden solche Medikamente in Indien und in den Entwicklungsländern sehr teuer bleiben.
“Gerade weil von Indien aus die meisten wirksamen, aber kostengünstigen Medikamente in den Entwicklungsländern vertrieben werden, sind die Auswirkungen dieser Klage auch über die Landesgrenzen hinaus bedeutend“, sagt Dr. Tido von Schoen-Angerer, Leiter der Medikamentenkampagne von MSF. “Die Gefahr für die Entwicklungsländer ist konkret, und dies für alle Patienten. Es sind also nicht nur die krebskranken Patienten Indiens davon betroffen“.
“Die gegenwärtig gültigen patentrechtlichen Bestimmungen haben sich in Indien auch in der Praxis vorzüglich bewährt“, sagt Leena Menghaney. “Es ist der gesetzlichen Bestimmung 3 (d) zu verdanken, dass Patentanträge sowohl für kindermedizinische Anwendungen wie auch für antiretrovirale Kombinationspräparate abgelehnt werden konnten. Der Wettbewerb zwischen den verschiedenen Generika ist unerlässlich und garantiert einen niedrigen, erschwinglichen Preis“.
„Eine Frage von Leben oder Tod“
Doch die Gesetzesbestimmung 3 (d) ist den Pharmakonzernen schon seit langem ein Dorn im Auge. Als das indische Patentamt im Jahr 2006 entschied, dass Novartis für das Krebsmedikament Imatinib Mesylate (Glivec) kein Patent anmelden darf - mit der Begründung, dass der Antrag nur eine neue Formel eines schon sehr lange verabreichten Medikamentes betrifft und damit in Indien nicht mehr patentiert werden kann - hat das Pharmaunternehmen gegen den Entscheid wiederholt geklagt, mit der Begründung, dass die angefochtene Bestimmung verfassungswidrig sei. Nachdem 2007 einem ersten Verfahren, und schliesslich 2009 einem Berufungsverfahren kein Erfolg beschieden war, versucht Novartis nun, den Begriff “therapeutische Wirksamkeit“ dahingehend auszulegen, dass auch geringfügige Änderungen eines bewährten Medikaments wie z.B. das Imatinib Mesylate patentiert werden dürfen.
“Die Entscheide der Patentämter und der Gerichte Indiens sind für zahlreiche HIV-positive und aidskranke Patienten eine Frage von Leben oder Tod“, erklärt Loon Gangte von der Selbsthilfeorganisation für HIV-positive Menschen (DNP+) in Delhi. “Für uns ist es entscheidend, dass die indischen Generikahersteller uns genügend preisgünstige Aidsmedikamente und andere wichtige Arzneien anbieten. Nur so können Leben und Gesundheit erhalten werden.“