Schlafkrankheit: Ein Ende in Sicht?
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Im Juni 2010 berichtete die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Zahl der neu registrierten Fälle mit Schlafkrankheit (Afrikanische Trypanosomiasis) sei zum ersten Mal seit 50 Jahren unter 10'000 gesunken. 2009 habe man 9'877 Erkrankte gezählt, verglichen mit 17'600 im Jahr 2004. Die WHO verkündete mit berechtigtem Stolz, es bestehe erneut Hoffnung, die Schlafkrankheit gänzlich auszurotten. Die Nachricht ist jedoch mit Vorsicht zu geniessen. In der Tat weiss niemand genau, wie gross das Problem der Schlafkrankheit wirklich ist, und in vielen abgelegenen und vergessenen Gebieten Afrikas grassiert der Erreger nach wie vor.
Die Schlafkrankheit ist eine parasitäre Erkrankung, die durch den Stich der Tsetsefliege übertragen wird. Unbehandelt verläuft sie tödlich. Im vergangenen Jahrhundert wütete die Krankheit in ganz Afrika, und beispielsweise in Kenia, Tansania, Uganda, Nigeria und der DR Kongo kam es zu schweren Epidemien, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben stark beeinträchtigten und die Familien und Gemeinden dezimierten. Bis in die 1960er Jahre war die Schlafkrankheit unter Kontrolle und wurde als Krankheitsbild der Vergangenheit betrachtet. Die nachlässige Haltung führte jedoch zu einem Wiederaufflammen der Krankheit gegen Mitte der 1970er Jahre.
Die Erfahrungen von MSF zeigen, dass nach wie vor Hunderte von Menschen unter der Krankheit leiden. In der Demokratischen Republik Kongo (DRK) betrieb MSF bis Anfang 2009 verschiedene Projekte in Haut-Uélé (Provinz Orientale). Damals stiessen die medizinischen Teams auf grosse Infektionsherde; annähernd 3,4 Prozent der 46'601 untersuchten Menschen (entspricht 1'570 Fällen) waren positiv und wurden von MSF behandelt. Im März 2009 jedoch zwangen kriegerische Auseinandersetzungen MSF, die Tätigkeit einzustellen. Seit diesem Zeitpunkt sind zahllose Patienten ohne die Behandlung, die sie so dringend benötigen.
Der Konflikt trägt aber auch aktiv zur Verbreitung der Schlafkrankheit bei. Die Vertriebenen tragen auf der Flucht vor den Kämpfen den Erreger in sich und infizieren neue Gebiete oder bringen die Krankheit in Regionen wieder zum Ausbruch, wo sie bereits ausgerottet war. Eine nicht infizierte Fliege, die einen Erkrankten sticht, kann weitere Menschen infizieren und damit den Übertragungszyklus wieder in Gang setzen.
Niemand weiss, wie weit sich die Epidemie ausgebreitet hat, und überall fehlt es an Mitteln, sie zu bekämpfen. Die Tests sind völlig veraltet: Patienten mit einem Verdacht auf Schlafkrankheit können nur durch eine Lumbalpunktion erfahren, ob sie sich im frühen oder späten Krankheitsstadium befinden. Bis letztes Jahr hiess die einzige Behandlung für Schlafkrankheit im späten (zweiten) Stadium Melarsoprol, ein 20 Jahre altes, hoch toxisches Mittel auf Arsenbasis, das in 3 bis 10 Prozent der Fälle tödlich wirkt. Ein neues Kombinationspräparat (NECT – Nifurtimox Eflornithine Combination Therapy) wurde 2009 ins staatliche Behandlungsprotokoll aufgenommen, ein wichtiger Fortschritt für die Patienten. Die Behandlung verlangt jedoch noch immer einen zehntägigen Spitalaufenthalt und steht nicht überall zur Verfügung. Eine gezielte Forschung und die Entwicklung neuer Tests und Medikamente sind weiterhin dringend nötig.
Innerhalb von 25 Jahren konnte MSF annähernd 50'000 Menschen mit Schlafkrankheit behandeln und ist nach wie vor eine der wenigen Organisationen, die wirkungsvoll auf neue Ausbrüche der Krankheit reagieren können. Gegenwärtig laufen Projekte in der DRK, der Zentralafrikanischen Republik, im Tschad und bald wieder in Uganda, wo es in der Vergangenheit zu schweren Epidemien kam. Bevor wir jedoch sagen können, dass wir daran sind, die Schlafkrankheit auszurotten, bleibt noch sehr viel zu tun.