Spital Bon Marché in Bunia: Übergabe fällt nicht leicht
© Roberto De Vido
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Bunia, Hauptstadt des im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (D.R. Kongo) gelegenen Distrikts Ituri, war 2003 bis 2005 Schauplatz extremer Gewalt, insbesondere gegen die Zivilbevölkerung. MSF half den Menschen dort mit einer provisorischen medizinischen und chirurgischen Notfallversorgung, aus der sich das Spital „Bon Marché“ (Fairer Preis) entwickelt hat.
Obwohl noch gelegentlich Gewalt aufflammt, hat sich die Situation in der Gegend weitgehend normalisiert. Für MSF ist es daher an der Zeit, die Patientenversorgung wieder an die lokalen Gesundheitsbehörden zu übergeben. In einem Land, in dem die Prioritäten der Behörden sich nicht immer mit den Bedürfnissen der Bevölkerung decken, ist dies jedoch eine schwierige Aufgabe für MSF.
Spital aus dem Nichts geschaffen
Als im Jahr 2003 heftige Kämpfe zwischen den verschiedenen Milizen ausbrachen und die Bevölkerung im grossen Stil vertrieben wurde, blieb eine Vielzahl verwundeter Zivilisten unversorgt. Für zahlreiche, zum Teil schwer verletzte Verwundete war es in dieser Situation nahezu unmöglich, in das Hauptspital in Bunia zu gelangen, das mitten in einer von Milizen kontrollierten Zone lag. MSF etablierte daraufhin einen Spitaldienst als Notfallhilfe am Stadtrand und errichtete unter Zeltplanen ein Feldkrankenhaus: das Spital „Bon Marché“. „Der Einrichtung einer chirurgischen Station folgten eine Mutter-Kindabteilung, dann eine Abteilung für Innere Medizin”, berichtet Dédé Sapo Mudinga, leitender Arzt der pädiatrischen Station. Desweiteren habe man die Einrichtung einer Station zur Behandlung von Opfern sexueller Gewalt beschlossen, da dieses Problem schnell grosse Dringlichkeit erlangte, betont Dédé weiter.
Heute ist in Bunia trotz einer weiterhin instabilen Lage wieder Ruhe eingekehrt. Die Baustellen sind von Werbeplakaten für Mobiltelefonanbieter übersät. Auf der Strasse im Stadtzentrum stauen sich die chinesischen Motorräder, und ein Gerücht macht die Runde: Bald sollen die ersten Ampeln aufgestellt werden. Es ist daher für MSF an der Zeit, die Übergabe ihrer medizinischen Aktivitäten an die lokalen Gesundheitsbehörden einzuleiten. „Leider ist es aus verwaltungstechnischen Gründen unmöglich, das Spital in Bon Marché weiterzuführen”, erläutert der junge Arzt. „Wir haben daher begonnen, alles nach und nach an das Hauptspital in Bunia zu übergeben, aber auch an die städtischen Gesundheitszentren.” Genau auf diese Zentren, genauer gesagt die Entbindungsstationen, hatte man sich bei den ersten, im Jahr 2008 vollzogenen „Übergaben” konzentriert. Die werdenden Mütter wurden aufgefordert, in den Entbindungsstationen der jeweiligen Viertel zu gebären, nachdem das Personal von MSF eine Auffrischung der Hebammenausbildung und die Ausstattung der Einrichtungen sichergestellt hatte. „Das war gar nicht so einfach”, erläutert MSF-Projektleiter Olivier Bonnet. „Wir mussten hart bleiben und den Menschen begreiflich machen, dass alle Frauen mit normalen Entbindungen ihre Kinder in den Entbindungsstationen bekommen sollten. Nichtsdestotrotz sind viele Mütter aber weiterhin in die Notaufnahme gekommen. Man konnte sie unmöglich abweisen. Mittlerweile hat sich die Botschaft aber weitgehend herumgesprochen.”
Pädiatrie gibt es in D.R. Kongo praktisch nicht
Nachdem auch die Chirurgie und die Innere Medizin übertragen wurden, ist die Arbeit für das Team von MSF aber immer noch nicht beendet. Insbesondere die Abwicklung der pädiatrischen Aktivitäten und die Arbeit der Station, die sich um die weiblichen Opfer sexueller Gewalt kümmert, stehen noch aus. Was letztere Abteilung angeht, die trotz einer „Rückkehr zur Normalität” weiterhin stark ausgelastet ist, hat das Team angesichts dieser bestürzenden Tatsache einen langsamen und behutsamen Ansatz gewählt. Die Priorität liegt zurzeit in der Abwicklung der pädiatrischen Station, einer Abteilung, deren spezielle Ausrichtung in der D.R. Kongo nicht zum Standard gehört. Tatsächlich gibt es kein Ausbildungscurriculum Pädiatrie, was es dem Team zusätzlich erschwert, diese Arbeit zu übergeben, die mittlerweile ein hohes Niveau an Fachwissen erfordert. Streng genommen ist das Spital Bon Marché in der Region Bunia die einzige Einrichtung, die eine spezialisierte Versorgung in diesem Bereich leistet. „Wir haben hier eine Kapazität von 108 Betten und die Belegungsquote liegt ständig über 100 %”, erläutert Doktor Dédé. „Es kommen auch weiterhin um die 100 Patienten pro Tag zu uns, da sich die qualitativ hochwertige Versorgung, die wir hier leisten, in der Bevölkerung herumgesprochen hat. Annähernd die Hälfte unserer Patienten kommt von ausserhalb der Stadt, manchmal sogar von sehr weit her”, fügt er hinzu.
Im Spital Bon Marché gehören die Neonatologie, die Intensivstation und die allgemeine Pädiatrie zu der pädiatrischen Abteilung. Auf der Liste der am häufigsten behandelten Krankheiten stehen Malaria, akute Atemwegserkrankungen, Meningitis oder auch Mangelernährung und die damit verbundenen Leiden. „Es handelt sich durchweg um behandelbare Krankheiten”, führt Dr. Mudinga bei seinem Rundgang durch die Spitalsäle aus. „Aber die Behandlung wird dadurch erschwert, dass die Patienten oft erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium ins Spital kommen. Darüber hinaus hat man es hier nicht selten mit Kindern zu tun, bei denen wir stärkere Symptome auf Grund einer mangelhaften Versorgung in den Gesundheitszentren oder sogar infolge bestimmter Praktiken der traditionellen Medizin feststellen, wenn sie zu uns kommen.”
Selbstverständlich bereiten die gegenwärtigen Unzulänglichkeiten der pädiatrischen Versorgung in den Gesundheitseinrichtungen dem Team grosse Sorgen im Hinblick auf die Übergabe. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat MSF beschlossen, sich auf die Weiterbildung und laufende Unterstützung der Ärzte vor Ort zu konzentrieren. Dennoch bedrückt Dr. Dédé die Tatsache, dass man hier schnell an Grenzen stossen kann. „In der D.R. Kongo, ebenso wie in vielen anderen Ländern im Süden, gibt es grosse Unterschiede zwischen der Anzahl der in den Städten und im Rest des Landes ansässigen Ärzte. In der D.R. Kongo entfällt auf 10‘000 Einwohner nur ein Arzt, das ist eine der niedrigsten Quoten weltweit. Die Herausforderung, welche eine erfolgreiche Bewältigung der Übergabe für MSF darstellt, kann in eine echte Sackgasse führen, wenn man die Qualität der Versorgung wirklich aufrechterhalten will” schlussfolgert er.
MSF ist bereit, die erforderliche Zeit und die nötigen Mittel aufzuwenden, um hier zielführend mitzuwirken. Es bleibt zu hoffen, dass dieser schwierige aber notwendige Prozess durch keine weiteren gewalttätigen Vorkommnisse unterbrochen wird.
© Roberto De Vido