Von einer Notsituation zur nächsten – ein Monat nach dem Erdbeben in Haiti
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Einen Monat nach dem Erdbeben vom 12. Januar 2010 gehen Schätzungen davon aus, dass bei der Katastrophe 200’000 Menschen ums Leben gekommen sind, 300’000 verletzt wurden und Hunderttausende ohne Obdach sind – erschütternde Zahlen. MSF hat in der Hauptstadt Port-au-Prince vom ersten Tag an lebensrettende chirurgische und medizinische Hilfe geleistet. Die Bedürfnisse haben sich inzwischen verändert: Die Prioritäten liegen nun auf der operativen Nachsorge und der Verbesserung der Lebensbedingungen.
Die bestehenden Gesundheitseinrichtungen von MSF in Port-au-Prince wurden von dem Erdbeben am 12. Januar nicht verschont. Viele Mitarbeiter waren noch Tage nach der Katastrophe verschollen. Wir mussten später erfahren, dass sieben haitianische Mitarbeiter gestorben sind.
Innerhalb weniger Minuten nach der Katastrophe kamen die Menschen mit schweren Verletzungen in die Krankenhäuser von MSF in die Stadtteile Cité Soleil, Martissant, Trinité und Carrefour. Die Mitarbeiter haben ohne Unterbrechung erste Hilfe geleistet. Als Lichtquellen wurden Taschenlampen und Autoscheinwerfer benutzt.
Erst am nächsten Morgen war das Ausmass der Katastrophe ersichtlich. Es war schnell klar, dass die zerstörten Gesundheitseinrichtungen und das verfügbare medizinische Material in keiner Weise ausreichen würden, um die grosse Zahl Verletzter zu versorgen. Die Mitarbeiter von MSF haben so viele Menschen behandelt wie sie konnten. Sie haben in Behelfsunterkünften auf der Strasse, unter Plastikplanen und in provisorisch umgebauten Schiffscontainern operiert. Gleichzeitig machten sie sich auf die Suche nach neuen Orten, in denen Operationssäle eingerichtet werden konnten. Auch viele der haitianischen Mitarbeiter haben in dieser schweren Zeit gearbeitet, obwohl ihre Häuser zerstört waren und viele Angehörige und Freunde verloren hatten.
MSF arbeitet mittlerweile an mehr als 20 Orten in und um Port-au-Prince und in den benachbarten Städten Leogane und Jacmel. Es gibt zehn Operationssäle für schwere Eingriffe und fünf für die leichteren. MSF hat jetzt mehr als 1’800 Mitarbeiter vor Ort, einschliesslich 1’450 haitianischer Mitarbeiter. Etwa 1’400 Tonnen medizinisches Material und Hilfsgüter sind bereits in Haiti angekommen. Weitere 350 Tonnen sollen in den kommenden Wochen eintreffen.
Operative Nachsorge und psychologische Hilfe
Die Mitarbeiter von MSF operieren noch immer Menschen, die während des Bebens verwundet wurden. Einige der schweren Fälle mussten mehrmals operiert werden. Die medizinischen Prioritäten verlagern sich nach der lebensrettenden Nothilfeintervention jetzt hin zur operativen Nachsorge, zum Wiederaufbau der Basisgesundheitsversorgung für alltägliche medizinische Probleme und zur Pflege der Patienten mit chronischen Krankheiten. Die Organisation hat vier zusätzliche Einrichtungen für die operative Nachsorge eröffnet: in Delmas 30 - einem Gymnasium in der Gegend Champ de Mars -, in dem ehemaligen Kindergarten Mickey und in Promesse. Eine weitere Einrichtung wird in Sarthe eröffnet werden.
MSF plant, die Kapazität für stationäre Behandlungen in den kommenden Wochen zu erhöhen, um so viele Patienten wie möglich versorgen zu können. Dazu zählen auch Menschen, die woanders behandelt wurden, dort aber keine operative Nachsorge bekommen. Das Problem hat sich dadurch vergrössert, dass andere Nothilfeteams, die chirurgische Einrichtungen in der ersten Nothilfephase hatten, Haiti inzwischen verlassen haben. MSF erweitert in einigen Orten ausserdem die psychologischen Aktivitäten. Psychologische Hilfe ist für die Menschen extrem wichtig, die schwere Verletzungen erlitten haben. Besonders betroffen sind Patienten mit Amputationen und ihre Familien. Psychologen von MSF unterstützen auch die mobilen Teams und Mitarbeiter, die in den abgelegenen Gegenden mit den vielen Menschen in den Vertriebenenlagern arbeiten. Die Menschen versuchen, mit der Trauer klarzukommen, und fragen sich, wie und wo sie in Zukunft leben werden.
Verbesserung der Lebensbedingungen dringend nötig
Viele Menschen sind auch vier Wochen nach dem Beben gezwungen, in überfüllten Unterkünften und unter unhygienischen Bedingungen zu leben. Viele haben noch kein Zelt und keine Hygienekits bekommen. Ihnen fehlt der Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen. "Es ist schwer zu glauben, dass vier Wochen nach dem Erdbeben noch immer so viele Menschen unter Laken in Lagern auf der Strasse leben", sagt Christoph Fournier, internationaler Präsident von MSF, der gerade aus Haiti zurückgekehrt ist. "Wenn möglich, haben wir Zelte, Hygienekits und Kochutensilien verteilt. Wir konzentrieren uns aber auf die medizinische Hilfe. Man fragt sich, wie es möglich ist, dass trotz der grossen finanziellen Versprechungen erst so wenig verteilt wurde. Solange Menschen keine Unterkünfte haben, werden sie mit Durchfall und Atemwegsinfektionen zu uns kommen – MSF macht sich Sorgen, dass dadurch mit der Regenzeit eine neue medizinische Notsituation eintreten kann.”