Ebola: Es braucht dringend internationalen Bio-Katastrophen-Einsatz
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MSF kritisiert die weltweite Untätigkeit in den von Ebola geplagten afrikanischen Ländern. Staaten müssen jetzt medizinisches Personal und Material bereitstellen.
Die internationale Reaktion auf die bisher schlimmste Ebola-Epidemie ist unzureichend: Staaten mit effizienten Katastrophenschutzapparaten, einschliesslich Zivilschutz und militärisch-medizinischer Einheiten, müssen umgehend Material und Personal nach Westafrika entsenden. Dies forderte die internationale medizinische Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) anlässlich eines heute vom UNO-Generalsekretär und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgehaltenen Briefings. Die weitere Ausbreitung des Virus könne nur mit umfangreichen Lieferungen von spezialisierten medizinischen Hilfsgütern aufgehalten werden, sagte die Organisation.
In ihrer Rede vor den UNO-Mitgliedstaaten prangerte die internationale Präsidentin von MSF Dr. Joanne Liu die ungenügenden Hilfeleistungen an. Bis jetzt wurde die Verantwortung im Umgang mit diesem aussergewöhnlich grossen Ebola-Ausbruch überforderten Gesundheitsbehörden und privaten Hilfsorganisationen überlassen. Obwohl Ärzte ohne Grenzen mehrmals einen umfangreichen Einsatz vor Ort gefordert hat, ist die Reaktion von internationaler Seite unzureichend geblieben – mit tödlichen Folgen.
«Koalition von Untätigkeit»
Medizinische Teams von MSF sind seit März in Westafrika gegen den Ebola-Ausbruch im Einsatz. Doch es kann nicht sein, dass Nichtregierungsorganisationen und die Vereinten Nationen im Alleingang den von der WHO erarbeiteten Notfallplan zur Bekämpfung der Epidemie umsetzen. Einer Epidemie, die sich ausserdem ständig weiter ausbreitet und unberechenbar ist. Die Zahl der Infizierten ist so hoch wie bei keinem Ebola-Ausbruch zuvor.
«Sechs Monate dauert die bisher schlimmste Ebola-Epidemie nun an, und der Welt gelingt es nicht, sie einzudämmen», erklärt Liu. «Die Regierungen versagen angesichts dieser grenzüberschreitenden Bedrohung. Die Erklärung der WHO vom 8. August, wonach die Epidemie eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ darstelle, hatte keine handfesten Massnahmen zur Folge. Stattdessen haben sich die Staaten zu einer internationalen Koalition von Untätigkeit zusammengetan», fügt Liu hinzu.
Viele Staaten verfügen über einen Katastrophenschutzapparat im Fall von biologischen Gefahren. Es wäre ihnen möglich, innerhalb weniger Tage ausgebildetes medizinisches Militär- oder Zivilpersonal vor Ort zu entsenden, mit einer Befehlskette, welche die hohen Anforderungen an die Sicherheit und Effizienz erfüllt. MSF betont jedoch, dass in die betroffenen Gebiete entsandtes militärisches Material und Personal nicht dazu verwendet werden dürfe, um eine Quarantäne oder Massnahmen zur Kontrolle der Massen durchzusetzen. Zwanghaft verordnete Quarantäne hat bisher nur Angst und Unruhe geschürt, anstatt das Virus aufzuhalten.
«Dort Leben retten, wo es jetzt nötig ist»
«Finanzielle Zusicherungen und das Entsenden einiger Experten reicht nicht aus», sagt Liu. «Staaten, die über die benötigten Kapazitäten verfügen, haben eine politische und humanitäre Verpflichtung, angesichts dieser Katastrophe konkrete Hilfeleistungen anzubieten. Anstatt sich nur darauf zu beschränken, sich auf eine mögliche Ankunft eines Ebola-Infizierten in ihrem Land vorzubereiten, sollten sie die Gelegenheit ergreifen, um dort Leben zu retten, wo dies jetzt nötig ist, nämlich in Westafrika.»
Kurzfristig braucht es zusätzliche Isolationszentren, mehr ausgebildetes Personal, mobile Labors für eine bessere Diagnostik sowie Luftbrücken, damit Personal und Material nach und innerhalb von Westafrika befördert werden kann. Ausserem müssen Feldspitäler eingerichtet werden, wo medizinisches Personal, das sich selbst infiziert hat, behandelt werden kann.
In Monrovia in Liberia zum Beispiel werden dringend neue Ebola-Behandlungszentren mit entsprechenden Isolierstationen und qualifiziertem Personal benötigt. Die Schlange wartender Patienten vor dem immer grösser werdenden ELWA 3-Behandlungszentrum mit derzeit 160 Betten wird immer länger. Schätzungen gehen davon aus, dass 800 zusätzliche Betten in Monrovia alleine benötigt werden. Das Team von MSF ist bereits überlastet und kann keine weitere Palliativpflege mehr anbieten.
Behandlungszentren überbelegt
«Jeden Tag müssen wir kranke Menschen nach Hause schicken, weil wir überbelegt sind», erklärt Stefan Liljegren, Einsatzkoordinator von MSF in ELWA 3. «Ich musste die Fahrer der Ambulanzen bitten, mich anzurufen, bevor sie mit Patienten zu uns kamen, unabhängig davon, in welchem Zustand sich diese befanden, da wir oft nicht in der Lage sind, sie aufzunehmen.
Die MSF-Kliniken in Liberia und Sierra Leone sind mit Patienten, bei denen Verdacht auf Ebola besteht, überfüllt. Die Menschen erkranken aber nach wie vor an Ebola und sterben in ihren Dörfern und Gemeinden. In Sierra Leone liegen hoch infektiöse Leichen auf den Strassen und verwesen dort. Mit einer deutlich höheren Anzahl hochwertiger Isolierstationen könnten Patienten früher aufgenommen und überwiesen werden, was eine wesentlich geringere Sterberate zur Folge hätte.
Die Teams von MSF können mehr Leben retten, wenn Infizierte so früh wie möglich kommen. Mehr Kapazitäten bei den Isolierstationen werden auch die Gesundheitssysteme der betroffenen Länder erleichtern, von denen einige kurz vor dem Kollaps stehen. Mindestens 150 Mitarbeiter aus dem Gesundheitssektor sind an Ebola gestorben, andere haben zu grosse Angst vor einer Ansteckung und gehen nicht mehr zur Arbeit.
«Wettlauf gegen die Zeit»
Neben verstärkten Kontrollmassnahmen müssen mehr Triage-Abteilungen errichtet, die Kapazitäten für den Umgang mit den Leichen erhöht und massenweise Hygieneartikel verteilt werden. Desinfektionsmittel müssen überall verfügbar sein, und es braucht Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung und in medizinischen Einrichtungen.
«Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, und Ebola ist dabei, diesen zu gewinnen», erklärt Joanne Liu. «Die Zeit für Meetings und Planung ist vorbei. Es ist Zeit zu handeln. Jeder Tag, an dem nichts unternommen wird, bedeutet weitere Tote und den langsamen Zusammenbruch von Gesellschaften.»
MSF begann den Ebola-Einsatz in Westafrika im März 2014 und ist nun in Guinea, Liberia, Nigeria und Sierra Leone tätig. Die Organisation betreibt fünf Ebola-Behandlungszentren mit einer Kapazität von insgesamt 480 Betten. Seit März hat die Organisation 2’077 Patienten aufgenommen, von denen 1’038 Ebola hatten. 241 wurden gesund. Insgesamt 156 internationale und 1’700 nationale Mitarbeiter sind für MSF in der Region im Einsatz.