Südsudan: Katastrophale Zustände in Flüchtlingslagern
4 Min.
Neue epidemiologische Studien, die MSF in zwei Flüchtlingslagern im Südsudan durchgeführt hat, zeigen auf, dass die Sterblichkeits- und Mangelernährungsraten weit über dem festgelegten Schwellenwert einer akuten Krisensituation liegen.
Mehr als 170’000 Flüchtlinge haben bisher den beschwerlichen Weg über die Grenze auf sich genommen, um vor dem Konflikt und der Nahrungsmittelunsicherheit in den sudanesischen Bundesstaaten Blue Nile und Süd-Kordofan zu fliehen. Viele von ihnen waren wochenlang zu Fuss unterwegs und haben die vier Flüchtlingslager im Südsudan in äusserst geschwächtem Zustand erreicht. Besonders in zwei der Lager sind die Lebensbedingungen dermassen schlecht, dass die gesundheitlichen Auswirkungen verheerend sind. Seit Juni sterben im Flüchtlingslager Yida durchschnittlich fünf Kinder pro Tag, und im Lager Batil ist jedes dritte Kind mangelernährt.
„Die Zahl der Kinder, die im Flüchtlingslager Yida sterben, ist erschreckend, und die 1’200 akut mangelernährten Kinder, die sich in unserem Ernährungsprogramm im Flüchtlingslager Batil befinden, sind nur die Spitze des Eisberges“, berichtet André Heller-Pérache, der Einsatzleiter von MSF im Südsudan. „Der Grossteil unserer Patienten sind in beiden Lagern mangelernährte Kinder, die durch Durchfall, Malaria und Atemwegsinfektionen weiter geschwächt werden. Sie geraten schnell in einen Teufelskreis von Krankheiten, der zu weiteren Komplikationen und zum Tod führen kann. Unsere medizinischen Teams arbeiten unter schwierigsten Bedingungen rund um die Uhr und versuchen, möglichst viele Leben zu retten.“
Fünf tote Kinder pro Tag
Im Lager Yida im Bundesstaat Unity, in dem derzeit 55’000 Flüchtlinge leben, zeigt eine aktuelle epidemiologische Erhebung von MSF in den Monaten Juni und Juli eine Sterblichkeitsrate von vier Toten pro 10’000 Menschen bei den unter fünfjährigen Kindern. Dieser Wert ist das Doppelte des Schwellenwerts, ab dem von einer akuten Krisensituation gesprochen wird. Die erhobene Rate zeigt an, dass in dieser Periode mindestens fünf Kinder pro Tag gestorben sind, die meisten von ihnen an Durchfallerkrankungen und an akuten Infektionen. Auch die Sterblichkeitsrate insgesamt liegt mit täglich zwei Toten pro 10’000 Menschen zwei Mal über dem Schwellenwert einer akuten Krise. Die Studie, die am 27. Juli abgeschlossen wurde, zeigt zudem, dass in 82 Prozent der Flüchtlingsfamilien zumindest ein Familienmitglied in den vergangenen zwei Wochen krank geworden ist.
Im Lager Batil im Bundesstaat Upper Nile, in dem derzeit 34’000 Flüchtlinge Zuflucht suchen, zeigen die vorläufigen Ergebnisse einer anderen epidemiologischen Studie von MSF, die am 31. Juli abgeschlossen wurde, eine globale Mangelernährungsrate bei Kindern von 27,7 Prozent. Die Rate schwerer akuter Mangelernährung liegt bei 10,1 Prozent. Das ist das Fünffache des Schwellenwerts für akute Krisen. Bei den Kindern unter zwei Jahren fallen diese Werte noch weitaus schlimmer aus: 44 Prozent der Kinder dieser Gruppe sind mangelernährt, davon leiden 18 Prozent an schwerer akuter Mangelernährung. Die Studie zeigt auch eine Sterblichkeitsrate von 2,1 pro 10’000 pro Tag über einen Zeitraum von vier Monaten. Sie liegt damit ebenfalls über dem Schwellenwert. Die Auswertung dieser Erhebung ist noch nicht abgeschlossen, das Team von MSF befürchtet aber, dass die Sterblichkeitsrate in den vergangenen Wochen weitaus höher sein dürfte.
“Mit der Regenzeit haben sich diese Lager für die Flüchtlinge in einen Albtraum verwandelt", sagt Bart Janssens, der Verantwortliche für die Einsätze in der Brüsseler Einsatzzentrale. „Die Zugangsstrassen sind kaum mehr passierbar und die humanitären Teams vor Ort haben ihre Mühe, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen leben können. Das hat katastrophale Auswirkungen auf die Gesundheit der Flüchtlinge. MSF behandelt auch weiterhin Patienten. Aber wenn wir vermeiden wollen, dass noch viel mehr Kinder lebensbedrohlich erkranken, ist jetzt eine deutliche Verstärkung der humanitären Hilfe notwendig. Besonders im Wasser- und Sanitärbereich, da Durchfall die häufigste Todesursache in den Lagern darstellt. Aber auch gezielte Lebensmittelverteilungen in Batil sind notwendig, wo die Unterernährungsrate weit über dem Schwellenwert für einen Notfall liegt. In der jetzigen Situation müssen alle Organisationen in vollem Notfall-Modus arbeiten.“
MSF ist der grösste Gesundheitsversorger in allen vier Flüchtlingslagern in den Bundesstaaten Upper Nile und Unity und betreibt ein umfassendes Hilfsprogramm. Im Lager Yida wurde die Zahl der -Spitalbetten soeben verdoppelt, um die Versorgung der steigenden Zahl schwer erkrankter Personen zu ermöglichen. Insgesamt hat MSF in den Flüchtlingslagern im Südsudan mehr als 180 internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Verstärkung ist auf dem Weg, um auf den enormen Bedarf im Gesundheitsbereich reagieren zu können.
Aktivitäten vom MSF in der vier Flüchtlingslagrn im Südsudan
Seit November 2011 laufen Noteinsätze von MSF für die Flüchtlinge aus den Bundesstaaten Süd Kordofan und Blue Nile im Sudan. MSF betreibt ein Feldkrankenhaus in jedem der vier Camps (Batil, Doro, Jamam und Yida) und führt mehr als 9’000 medizinische Untersuchungen pro Woche durch. 150 neue Patienten und Patientinnen werden jede Woche für stationäre Intensivbetreuung aufgenommen und 2’300 mangelernährte Kinder werden in den therapeutischen Ernährungsprogrammen der Organisation behandelt. MSF impft auch gegen Masern, wenn neue Flüchtlingsströme ankommen und leistet Unterstützung bei der Versorgung der Lager mit Wasser sowie im Sanitärbereich. Wenn notwendig, leisten die Teams auch Unterstützung bei der Notverteilung von überlebenswichtigen Gütern des täglichen Bedarfs, wie etwa Seife, Plastikplanen und Notrationen von Lebensmitteln.