Westjordanland: Körperliche Verletzungen, psychische Traumata und eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung sind für viele Palästinenser:innen Alltag
© Candida Lobes/MSF
Palästinensische Autonomiegebiete3 Min.
Im heute veröffentlichten Bericht «Occupied lives: the risk of forcible transfer of Palestinians in Hebron» beschreibt Ärzte ohne Genzen, dass sich der Zugang zu medizinischer Versorgung für Palästinenser:innen in Hebron rapide verschlechtert – aufgrund der von den israelischen Streitkräften auferlegten Beschränkungen sowie der von israelischen Soldat:innen und Siedler:innen ausgeübten Gewalt.
«Die Bewegungseinschränkungen, Schikanen und Gewalt durch die israelischen Streitkräfte und Siedler:innen fügen den Palästinenser:innen in Hebron grosses und unnötiges Leid zu», sagt Frederieke van Dongen, Referentin für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen. «Das hat katastrophale Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit der Menschen.»
Die Kliniken des Gesundheitsministeriums im gesamten Gouvernement Hebron mussten schliessen und den Apotheken gehen viele Medikamente aus. Darüber hinaus wurden Krankenautos im Einsatz behindert und angegriffen. Angesichts der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der angedrohten Gewalt zögern viele Kranke den Arztbesuch hinaus oder haben keine andere Wahl, als ihre Behandlung ganz abzubrechen. Familien in Hebron haben ihre Existenzgrundlage verloren und sind dadurch in grosse finanzielle Schwierigkeiten geraten. Das zwingt viele dazu, ihre Krankenversicherung zu kündigen, ihre Ernährung einzuschränken und auf wichtige Medikamente zu verzichten, die sie sich nicht mehr leisten können.
Eines der am stärksten betroffenen Gebiete im Westjordanland ist das sogenannte H2. Dort schränken 21 ständige Kontrollposten der israelischen Streitkräfte die Bewegungsfreiheit der palästinensischen Bewohner:innen ein und erschweren den Zugang des medizinischen Personals zu diesem Gebiet erheblich. Nach dem 7. Oktober waren die Kliniken des Gesundheitsministeriums in H2 zwei Monate lang geschlossen. Nur eine Klinik konnte später wieder geöffnet werden, da die meisten Mitarbeitenden des Gesundheitsministeriums keine Erlaubnis hatten, den israelischen Kontrollposten nach H2 zu passieren.
«In den Monaten unmittelbar nach den Anschlägen vom 7. Oktober waren die Bewegungseinschränkungen und die Gewalt im H2-Gebiet der Stadt Hebron so stark, dass die Patient:innen unter Lebensgefahr über Zäune und Dächer kletterten, um Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten», sagt van Dongen.
Mitarbeitende von Ärzte ohne Grenzen berichten, dass die latente Angst vor Gewalt die psychische Gesundheit der Menschen schwer beeinträchtigt. «Wenn Soldat:innen nachts in unser Haus eindringen, verstecken sich meine Kinder und meine Frau hinter mir, aber ich kann sie nicht beschützen», sagt ein palästinensischer Patient in Masafer Yatta in den südlichen Hebron-Bergen. «Sie (die Soldat:innen) haben die Macht; sie können tun, was sie wollen.»
Der Bericht benennt auch Vertreibungen im Gouvernement Hebron. Laut Ärzte ohne Grenzen zwingen die israelischen Behörden und Siedler:innen immer mehr palästinensische Familien dazu, aus ihren Häusern zu fliehen. Seit Oktober 2023 hat die Organisation auf die dringenden Bedürfnisse von mehr als 1500 Palästinenser:innen in Hebron reagiert. Diese wurden entweder gewaltsam aus ihren Dörfern vertrieben, ihre Häuser wurden abgerissen oder ihr Besitz wurde zerstört .
«Trotz ihrer Verantwortung als Besatzungsmacht sind die israelischen Behörden ihren Verpflichtungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung nicht nachgekommen», sagt van Dongen.
Die israelische Politik in Hebron hat bereits jetzt weitreichende Folgen für die physische und psychische Gesundheit der Palästinenser:innen. Ärzte ohne Grenzen fordert die israelischen Behörden auf, den ungehinderten Zugang zu medizinischer Versorgung und anderen wichtigen Dienstleistungen zu gewährleisten. Zudem müssen Palästinenser:innen vor Zwangsvertreibung geschützt und die sichere Rückkehr der Vertriebenen in ihre Häuser ermöglicht werden.
© Candida Lobes/MSF