DR Kongo: «Wir befürchten einen erneuten Cholera-Ausbruch in Goma»

Blick auf ein Camp von Binnenvertriebenen in Nord-Kivu.

Demokratische Republik Kongo6 Min.

Während die Kämpfe in Nord- und Süd-Kivu wieder Tausende Menschen in die Flucht treiben, warnt Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) wegen zu dichter Besiedelung und unzureichender Hygiene an den Zufluchtsorten vor erneuten Krankheitsausbrüchen.

Ende Januar haben sich die Kämpfe zwischen der bewaffneten Gruppe M23, der kongolesischen Armee (FARDC) und ihren Verbündeten in der Provinz Nord-Kivu in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) noch einmal intensiviert. Sie erreichten die Grenze der benachbarten Provinz Süd-Kivu, wodurch es erneut zu Fluchtbewegungen kam. Seit März 2022 mussten über 1,6 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen – und dies in einer von 30 Jahren Konflikt verwüsteten Region

Abdou Musengetsi, stellvertretender medizinischer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen, beschreibt die aktuelle Lage und den medizinischen Bedarf der Bevölkerung.

Was sind die direkten Folgen dieses erneuten Gewaltausbruchs?

In den vergangenen Wochen lösten gewaltsame Zusammenstösse in der Umgebung von Masisi in Nord-Kivu rund um Sake eine erneute Massenflucht in die Provinzhauptstadt Goma aus. In nur zehn Tagen sind rund 250 000 Menschen vor den Kämpfen geflohen. Sie kamen bei lokalen Familien unter, suchten in bestehenden Vertriebenencamps im Westen von Goma Zuflucht oder bildeten neue.

In den behelfsmässigen Behausungen, die kaum Schutz vor Regen bieten, leben die Menschen auf engstem Raum. Jeden Tag hören wir, dass es ihnen an Nahrungsmitteln und Trinkwasser fehlt. Hunderte Personen müssen sich eine einzige Toilette teilen, waschen können sie sich nirgends. Eine Frau, die vor Kurzem nach Goma kam, erzählte, dass sie auf der Flucht nichts mitnehmen konnte, ausser ihren Kindern und ihren Kleidern am Leib. Weil die Kämpfe immer näher kamen, musste sie mehrmals fliehen. Heute lebt sie in vollkommener Armut, ohne jede Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren, weil es dort einfach zu gefährlich ist.

Etwa 500 Menschen leben seit mehreren Tagen in dieser nur 150 Quadratmeter grossen Unterkunft. Sie haben sich organisiert, um abwechselnd schlafen zu können. DR Kongo, Goma, Februar 2024.

Etwa 500 Menschen leben seit mehreren Tagen in dieser nur 150 Quadratmeter grossen Unterkunft. Sie haben sich organisiert, um abwechselnd schlafen zu können. DR Kongo, Goma, Februar 2024.

© MSF

Gleichzeitig suchten zahlreiche Kriegsverletzte die Spitäler und Gesundheitszentren auf, die von Ärzte ohne Grenzen in Masisi unterstützt werden. In den letzten zwei Monaten wurden im Mweso-Spital, das vom Gesundheitsministerium geleitet und von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, 146 Personen versorgt, die hauptsächlich Schuss- und Explosionsverletzungen erlitten hatten. Unsere grössten Projekte im Norden, Westen und Süden von Goma sind aufgrund der unsicheren Lage und der Kämpfe nahe an den Strassen aber praktisch unzugänglich geworden. Es ist äusserst schwierig, diese mit lebenswichtigem Material zu beliefern. Dadurch ist auch der humanitäre und medizinische Zugang zu Hunderttausenden Menschen, die sich in der Region von Masisi aufhalten, stark eingeschränkt.

Dazu sind aufgrund der Kämpfe in der Grenzregion zwischen Nord- und Süd-Kivu Zehntausende Menschen in den Süden Richtung Minova geflohen – eine Stadt, die zuvor bereits zahlreiche Vertriebene aufgenommen hatte. Die Menschen suchen Schutz in Schulen und Dutzenden weiteren Einrichtungen.

Ein Arzt studiert das Röntgenbild eines Patienten, der eine Schussverletzung erlitten hat. DR Kongo, Nord-Kivu, Februar 2024.

Ein Arzt studiert das Röntgenbild eines Patienten, der eine Schussverletzung erlitten hat. DR Kongo, Nord-Kivu, Februar 2024.

© MSF

In gewissen Gesundheitseinrichtungen, die wir in Süd-Kivu unterstützen, behandeln wir zunehmend Patient:innen mit Krankheiten, die auf die sich verschlechternden Lebensbedingungen zurückzuführen sind. Auch die Zahl von Fällen sexualisierter Gewalt und Kriegsverletzungen steigt. Ins Spital von Minova kamen seit dem 2. Februar über 167 Verwundete, darunter mehrere Frauen und Kinder. Am 7. März wurden dort an nur einem Tag 40 Verletzte eingeliefert, sieben weitere waren bei der Ankunft im Spital bereits verstorben. Patient:innen müssen sich Betten teilen, und das Personal arbeitet rund um die Uhr mit begrenzten Mitteln. Die Schüsse sind aus nächster Nähe zu hören, die Frontlinie ist nur fünf Kilometer entfernt.

Was ist Ihre grösste Sorge?

Aufgrund der Kämpfe mussten sich Tausende Menschen in überfüllten und unhygienischen Camps niederlassen. Aus medizinischer Sicht ist eine Ausbreitung von Krankheiten zu befürchten, die mit schlechten Hygienebedingungen einhergehen – allen voran Cholera. Zusammen mit dem fehlenden Zugang zu Trinkwasser bildet das einen idealen Nährboden für Cholera. An manchen Standorten grassiert die Krankheit bereits seit mehreren Monaten, und der neue Zustrom von Geflüchteten droht die bereits existierende Epidemie zu verschärfen.

Eine Schule, die von den Kindern der im letzten Jahr eingetroffenen Vertriebenen besucht wurde, dient jetzt als Unterkunft für die Überlebenden der Kämpfe in Sake. DR Kongo, Februar 2024.

Eine Schule, die von den Kindern der im letzten Jahr eingetroffenen Vertriebenen besucht wurde, dient jetzt als Unterkunft für die Überlebenden der Kämpfe in Sake. Damit die Kinder lernen können, gehen sie tagsüber auf die Veranda des Gebäudes. Es melden sich sehr viele, wenn unsere Teams fragen, wer seit den Kämpfen und der anschliessenden Flucht keine Nachricht von seinen Angehörigen hat. DR Kongo, Februar 2024.

© MSF

Bereits vor dem Wiederaufflammen des Konflikts war die Gesundheitslage in den zwei Provinzen katastrophal, insbesondere weil die Durchimpfungsrate bei Kindern unter fünf Jahren sehr gering ist. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) war diese Rate seit rund 30 Jahren nicht mehr so niedrig. Die Tatsache, dass die Gesundheitseinrichtungen aufgrund des Mangels an Medikamenten und qualifiziertem Personal mehr schlecht als recht funktionieren, verschlimmert die Lage weiter.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen unterstützen die lokalen Behörden bei der Bekämpfung wiederkehrender Epidemien wie Masern und Cholera, die sich aufgrund der massiven Zuströme vom letzten Jahr stark ausgebreitet haben. Wir helfen auch dabei, den Zugang zu primärer und sekundärer Gesundheitsversorgung zu verbessern. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den abgelegensten Gebieten wie Masisi, Mweso und den Hochebenen des Distrikts Minova. 

Welche Gefahren drohen der Bevölkerung, falls die Cholerazahlen steigen?

Cholera ist keine neue Krankheit im Osten der DR Kongo. Sie kommt hier endemisch vor, und vereinzelte Fälle werden regelmässig gemeldet und behandelt. Doch heute ist die Lage besonders besorgniserregend, weil seit nunmehr fast anderthalb Jahren so viele Menschen in den Vertriebenencamps leben. Die hygienischen und sanitären Zustände sowie der Zugang zu Trinkwasser waren schon unzureichend, bevor die Hunderttausenden neu vertriebenen Menschen dazukamen.

Der Anstieg der Cholerafälle ist eine direkte Folge des Mangels an Hygiene, Trinkwasser und sanitären Anlagen wie sauberen Toiletten und Duschen. Wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird, ist diese Krankheit lebensgefährlich. Kinder sind am anfälligsten und können im Laufe weniger Tage daran sterben. Die meisten Erkrankten brauchen so schnell wie möglich orale oder intravenöse Rehydratationslösungen. Je nach Schwere können ihnen diese auch an eigens dafür eingerichteten Community-Stationen verabreicht werden.               

In den vergangenen Monaten haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen in den Camps in und um Goma Tausende Cholerapatient:innen behandelt. In Bulengo waren drei Viertel der über 1000 Patient:innen, die von Januar bis Februar im Cholera-Behandlungszentrum versorgt wurden, erst vor Kurzem angekommen. Sie hatten keinen Zugang zu Trinkwasser, Toiletten oder grundlegenden Hygieneprodukten wie Seife. In wenigen Tagen ist die Bevölkerung um 50 Prozent gewachsen. All diese Faktoren begünstigen eine rapide Ausbreitung dieser hoch ansteckenden Krankheit.

Die vertriebenen Menschen verbringen viel Zeit mit Warten, bis der Lastwagen mit Trinkwasser ankommt. Meistens sind es die Grossmütter und Kinder, die auf die Lieferung des Wassers warten. Sobald der Lastwagen vor Ort ist, ist es die Aufgabe der jüngeren Frauen, die Kanister zu füllen und sie zu ihren Unterkünften zu bringen. DR Kongo, Febreuar 2024.

Die vertriebenen Menschen verbringen viel Zeit mit warten, bis der Lastwagen mit Trinkwasser ankommt. Meistens sind es die Grossmütter und Kinder, die auf die Lieferung des Wassers warten. Sobald der Lastwagen vor Ort ist, ist es die Aufgabe der jüngeren Frauen, die Kanister zu füllen und sie zu ihren Unterkünften zu bringen. DR Kongo, Febreuar 2024.

© MSF

Was macht Ärzte ohne Grenzen, um eine Epidemie zu verhindern?

Um Trinkwasser verfügbar zu machen, hat Ärzte ohne Grenzen 2023 an den Ufern des Kivusees eine Kläranlage gebaut, die täglich bis zu zwei Millionen Liter Trinkwasser liefert. Ausserdem verteilten wir in den Camps pro Tag Hunderttausende Liter Trinkwasser mit Tankwagen und bauten Toiletten und Duschen. Das alles sind aber Nothilfemassnahmen, welche den Bedarf bei Weitem nicht mehr decken können. Es ist unabdingbar, dass weitere humanitäre Hilfsorganisationen und die kongolesischen Behörden sofort Massnahmen ergreifen, um die Wasserversorgung und die sanitäre Lage so schnell wie möglich zu verbessern.

Unser Programm zur Impfung und Behandlung von Cholera geht weiter. Im vergangenen Jahr haben wir in Nord- und Süd-Kivu mehr als 20 000 Patient:innen behandelt. Wenn sich die Hygienebedingungen aber nicht verbessern, ist das ein Tropfen auf den heissen Stein.

Angesichts des schieren Ausmasses der Bedürfnisse und der Anzahl von Menschen in grösster Not befürchten wir einen explosionsartigen Anstieg der Cholerafallzahlen – und, dass Ärzte ohne Grenzen allein nicht mehr in der Lage sein wird, alle Menschen, die unweigerlich erkranken werden, zu behandeln. Um eine Gesundheitskatastrophe abzuwenden, müssen dringend auch andere Hilfsorganisationen tätig werden.