Fluchtgeschichten: Von Syrien nach Bulgarien
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Bulgarien4 Min.
Harmanli, 50 Kilometer von der türkischen und griechischen Grenze entfernt, ist der erste Ankunftsort in Bulgarien für Geflüchtete aus den verschiedensten Teilen der Welt. Rund 1700 Menschen leben dort auf engstem Raum in Unterkünften, die früher einmal Kasernen waren. Unter ihnen auch Siham, Fatma, Abdulhamid , Alaa Aldin und Fuad, die eines gemeinsam haben: Sie sind aus Syrien geflohen und leben jetzt in Harmanli, ohne zu wissen, was die Zukunft für sie bereithält. Hier erzählen sie ihre persönliche Geschichte.
Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) ist seit Sommer 2023 im Harmanli-Aufnahmezentrum tätig. Unser Team bietet dort medizinische Grundversorgung an und behandelt vor allem Menschen mit Hautkrankheiten, kleineren Verletzungen und Problemen des Bewegungsapparats. Ausserdem bieten wir Gesundheitsaufklärung an. Seit der Eröffnung unserer Klinik im Juli 2023 haben unsere Teams mehr als 3000 Sprechstunden durchgeführt. Viele der Menschen sind durch ihre Flucht traumatisiert und haben keinen Zugang zu psychologischer Hilfe.
«Ich dachte, ich würde sterben.»
Siham, ihr Mann und ihre 22-jährige Tochter Fatma sind gemeinsam aus Syrien geflohen. Sie haben Aleppo am 27. Juli 2023 verlassen und befinden sich nun seit drei Monaten im Aufnahmezentrum in Harmanli in Bulgarien. Die Familie hat mehrmals versucht, die Grenze zu überqueren.
Es war wirklich schwierig, von der Türkei nach Bulgarien zu gelangen. Wir waren sechs Tage lang im Wald. Es hat viel geregnet und wir haben gefroren. Meine Mutter hat sich verletzt. Fünf Leute mussten sie stützen, damit sie weiterlaufen konnte. Der letzte Tag im Wald war besonders hart. Meine Mutter hatte grosse Schmerzen. Ich hatte wirklich Angst um sie. Zum Glück trafen wir unterwegs andere Leute, die Schmerzmittel dabeihatten. Diese halfen meiner Mutter ein wenig.
Ich hatte Angst und war erschöpft. Ich dachte, ich würde sterben. Ich dachte nicht, dass ich mit meiner Verletzung im Wald überleben würde. Es war so anstrengend für mich, dass ich mich nicht mehr an alles erinnern kann, was auf unserer Flucht passiert ist. Meinem Bein geht es jetzt besser. Ich spüre es nur, wenn es kalt ist. Dann wird es blau.
Fatma und Siham ist es egal, ob sie in Bulgarien bleiben oder in einem anderen europäischen Land leben. Hauptsache, es ist sicher.
«Als wären wir eine Familie.»
Auch Abdulhamid floh aus Syrien. Er hat Diabetes und erhält seine Medikamente von unserem Team in Harmanli.
Jedes Mal, wenn ich meine Medikamente abhole oder eine Sprechstunde bei Ärzte ohne Grenzen habe, fühlt es sich nicht an, als wäre ich Patient und sie Ärzte. Es ist eher, als wären wir eine Familie.
Abdulhamid ist Teil einer Gruppe von Freiwilligen, die im Camp die Sauberkeit verbessern wollen.
«Ich bin hier, weil ich hier sein muss.»
Alaa Aldin ist 24 Jahre alt und vor drei Monaten aus Syrien geflohen. Eigentlich wollte er Syrien nie verlassen, aber die Situation vor Ort hat ihm keine andere Wahl gelassen.
Das Leben hier im Camp ist furchtbar. Es ist schmutzig. Es gibt keine Regeln. Niemand kümmert sich um uns. Ich hatte eigentlich nicht vor, in Bulgarien zu bleiben, doch dann ist etwas passiert: Ich war mit anderen Geflüchteten in einem Auto, als wir einen Unfall hatten. Wir wählten die Notrufnummer und die Grenzpolizei kam. Zwei von uns wurden ins Spital gebracht. Die anderen mussten fast zehn Stunden lang in einer kalten Gefängniszelle warten. Dann brachten sie uns ins Aufnahmezentrum in Harmanli. Jetzt warte ich auf meinen Asylentscheid, damit ich meine Verwandten in Deutschland oder in den Niederlanden besuchen kann. Mein Wunsch ist es, ein besseres Leben zu haben und in einem sicheren Land zu leben. Ich hoffe, dass Syrien eines Tages wieder zu dem Land wird, das es vor dem Krieg war. Wenn das passiert, werde ich auf jeden Fall dorthin zurückkehren.
Das Ziel von Alaa Aldin war Deutschland oder die Niederlande, weil er in beiden Ländern Verwandte hat – jetzt sitzt er wegen eines Autounfalls in Bulgarien fest.
«Ich möchte einfach nur ein glückliches Leben führen.»
Fuad lebt seit August im Aufnahmezentrum Harmanli. Er ist 26 Jahre alt, kommt aus Homs in Syrien und ist verzweifelt über die Bedingungen im Camp.
Es ist gut, dass es hier sicher ist. Aber das ist auch das einzig Gute hier. Die hygienischen Bedingungen sind sehr schlecht. Viele der Gebäude und Räume sind kaputt und müssen dringend repariert werden. In den meisten Zimmern kann man nicht wirklich wohnen. Viele von uns haben nicht einmal eine Decke oder eine Matratze, auf der sie schlafen können. Es gibt keine Heizung, obwohl es eisig kalt ist. Ich bin es leid, ständig auf der Flucht zu sein, ich möchte einfach ein besseres Leben, so wie alle anderen. Ich möchte einfach ein glückliches Leben führen.
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