HIV/Hepatitis C: Erfahrungsbericht eines Peer-Gesundheitsberaters
© Alexander Glyadyelov/MSF
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Maksym ist Peer-Gesundheitsberater und arbeitet im Rahmen des MSF-Projekts in Mykolajiw in der südlichen Ukraine. MSF bietet hier HIV-infizierten Menschen ein Programm zur Hepatitis-C-Behandlung, das kostenlose Diagnosetests, eine verkürzte Behandlungsdauer mit neuen oralen Medikamenten und eine umfassende Patientenberatung umfasst. Dieser Ansatz hat sich als sehr wirksam erwiesen. Die Heilungsquote beträgt gemäss jüngsten Testergebnissen über 95 Prozent.
Die psychosoziale Betreuung ist für den Behandlungserfolg überaus wichtig. Menschen mit HIV und Hepatitis-C werden in der Ukraine nach wie vor stark stigmatisiert. Die Peer-Gesundheitsberater helfen den Patienten dabei, ihren Behandlungsplan einzuhalten und allfällige Schwierigkeiten zu überwinden. Bislang hat keiner der Patienten des MSF-Projekts in Mykolajiw die Behandlung aufgrund einer vergessenen Dosis oder verpasster Termine abgebrochen. Maksym hat den Mut gefunden, uns seine Geschichte zu erzählen und zu beschreiben, wie ihm seine eigenen Erfahrungen im Umgang mit den Patienten zugutekommen. Er ermutigt seine Patienten, ihre Hepatitis-C-Behandlung bis zum Ende durchzuhalten.
Ich bin einer von euch. Ich bin HIV-positiv und hatte früher Hepatitis C.
Wenn ich versuche, mit den Hepatitis-C-Patienten im Wartezimmer ins Gespräch zu kommen, reagieren sie manchmal misstrauisch, zumindest am Anfang. Aber dann sage ich meinen magischen Satz: «Ich bin einer von euch. Ich bin HIV-positiv und hatte früher Hepatitis C.» Dann reagieren sie plötzlich ganz anders. Die Leute hören aufmerksam zu und beginnen, mir Fragen zu stellen. Sie sehen mich als jemanden, der alle Schwierigkeiten der Hepatitis-C-Behandlung durchgemacht hat und jetzt geheilt ist. Ich erzähle ihnen mit Beispielen aus meinem Leben, wie ich es geschafft habe. Ich kenne ihre Situation und wir reden auf Augenhöhe, das funktioniert. Die Menschen öffnen sich.
Ich erzähle den Patienten von meinem Zustand vor der Hepatitis-C-Behandlung. Ich konnte kaum aufstehen. Jeder Toilettengang war eine Herausforderung. Ich hatte grosse Angst. Ich beschreibe auch, wie es mir schon nach einem Monat Behandlung besser ging und wie nach drei Monaten eine wirkliche Veränderung eintrat. Wenn die Patienten sehen, wie aktiv ich bin, wie ich hin- und herrenne und arbeite, beginnen sie an ihre eigene Zukunft zu denken. Sie sehen, dass man trotz einer HIV-Infektion Hepatitis C bekämpfen kann.
Ich war 18 Jahre alt, als ich erfuhr, dass ich Hepatitis C hatte. Es war ein reiner Zufall. Ich bekam Schnupfen und ging zu einem normalen Hausarzt. Er bemerkte einen Hautausschlag an meinem Körper und riet mir, einen Hepatitis-C-Test zu machen. Ich folgte seinem Rat, und der Test war positiv. Sofort ging ich in ein Spital, das auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist, aber dort boten sie mir gegen Hepatitis C einzig eine Interferon-Behandlung an. Diese Medikamente sind schlecht verträglich. Menschen, die diese Behandlung bereits durchgemacht hatten, warnten mich vor den starken Nebenwirkungen. Damals gab es jedoch keine anderen Medikamente. So habe ich nichts getan. Ich glaube, ich wartete auf ein Wunder. Mein Zustand wurde immer schlimmer, bis ich endlich über das MSF-Programm in Mykolajiw eine Behandlung mit den neuen oralen Medikamenten beginnen konnte, die wesentlich verträglicher sind.
Dass ich HIV-positiv bin, habe ich erst viel später erfahren, etwa fünf Jahre danach. Davor hatte ich keinerlei Verdacht.
Dass ich HIV-positiv bin, habe ich erst viel später erfahren, etwa fünf Jahre danach. Davor hatte ich keinerlei Verdacht. Eines Tages wurden meine Tochter und mein Schwiegersohn krank, und ich schlug vor, dass die ganze Familie sich untersuchen lassen sollte. Wir gingen zu einem Arzt, und obwohl er bei den anderen Familienmitgliedern nichts Schwerwiegendes fand, wurde bei mir HIV diagnostiziert. Ich brauchte mehrere Monate, bis ich anderen davon erzählen konnte, sogar meiner eigenen Familie. Sobald ich es jedoch getan hatte, unterstützte mich meine Familie. Danach ging es mir viel besser. Jetzt, als MSF-Gesundheitsberater, erzähle ich den anderen Patienten von meinen Erfahrungen, da viele von ihnen Angst haben, Aussenstehenden, aber auch ihren engsten Angehörigen von der HIV-Ansteckung zu erzählen. Einige verschweigen sie 20 Jahre lang. Ich erzähle ihnen, dass die eigene Familie Unterstützung bieten kann, die man sonst nirgends bekommt.
Unterstützung ist in dieser Situation äusserst wichtig. Als Peer-Gesundheitsberater kann ich die erkrankten Menschen während ihrer ganzen Behandlung unterstützen. Ich bin immer da und kann den Patienten erklären, wenn sie die Tests oder die Wirkung der Medikamente nicht verstanden haben. Ich helfe ihnen beim Formulieren von Fragen an die Ärzte oder Pflegefachpersonen oder höre mir ihre Sorgen an. Manchmal erinnere ich sie sogar daran, dass sie ihre Medikamente jeden Tag pünktlich einnehmen sollen, wie das meine Familie für mich damals getan hat.
Ich versuche zudem, die Patienten von einer gesunden Lebensweise zu überzeugen, denn das ist sehr wichtig, damit die Behandlung erfolgreich ist. Manchmal spreche ich sogar mit den Familienangehörigen über die Empfehlungen des Programms, etwa, dass man Präservative benutzen soll, um eine Neuinfektion zu vermeiden. Einmal habe ich einen verheirateten Mann getroffen, der sich kategorisch gegen Präservative stellte und meinte, er würde sich eher scheiden lassen. Wir hatten eine lange Diskussion. Ich erklärte ihm, wie wichtig die Empfehlungen sind und dass er, wenn er seine Frau liebe und sie schützen wolle, diese befolgen müsse.
Nachdem ich mit den Patienten geredet habe, sehen viele von ihnen ihr Leben mit neuen Augen und sie stellen plötzlich fest, dass Ihnen noch viele Wege offenstehen.
Leider geben viele Menschen irgendwann auf. Sie haben nicht genügend Motivation. Sie sind desillusioniert. Natürlich ist es schwierig weiterzukämpfen, vor allem gegen HIV und Hepatitis C zusammen. Doch es ist möglich, denn Hepatitis C ist heilbar und dank antiretroviralen Medikamenten kann man heute mit HIV länger und gesünder leben. Ich sage den Patienten, dass es trotz HIV-Infektion möglich ist, glücklich zu leben und nicht einsam zu sein. Meine Frau und meine Kinder sind HIV-negativ. Nachdem ich mit den Patienten geredet habe, sehen viele von ihnen ihr Leben mit neuen Augen und sie stellen plötzlich fest, dass Ihnen noch viele Wege offenstehen.
Ich liebe, was ich tue. Ich freue mich, dass ich diesen Menschen helfen kann.
© Alexander Glyadyelov/MSF