Ich gäbe alles für eine weitere Alternative…
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Der HIV/Aidskranke José J.M. hofft auf die Registrierung und Verfügbarkeit neuer Arzneimittel in Mosambik, um zu überleben.
Mit dem Gruss „Boa tarde” betritt José J.M. das Sprechzimmer. Bevor er sich hinsetzt, nimmt der 50-jährige, hochgewachsene Mann seine „Nike-Kappe“ vom Kopf und legt seinen Stock ab. Er erzählt seine Geschichte auf Portugiesisch, der Nationalsprache von Mosambik.
José hat gemeinsam mit seiner Frau Luisa zwei Kinder. Vor sechs Jahren war er sehr krank. „Ich hatte Durchfall, Magen- und Verdauungsprobleme. Ich fühlte mich sehr schlapp. Es ging mir so schlecht, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Es kommt mir noch vor wie heute, was da in 2003 geschehen ist.” Zu dem Zeitpunkt wird die Krankheit erkannt, und sein Leben ändert sich mit einem Schlag. Er hat Aids bereits im fortgeschrittenen Stadium und muss mit einer antiretroviralen Therapie (ARV) beginnen.
Hoffnung ist wichtig, aber es ist schwer, sie zu bewahren
„Seit vier Monaten unterziehe ich mich einer Second-line-Therapie. Vor zwei Wochen wurde mir Blut abgenommen, aber meine CD4 (1) Werte sind immer noch sehr schlecht. Ich verstehe nicht, warum die Krankheit fortschreitet. Ich nehme meine Medikamente täglich zur gleichen Uhrzeit, mein Körper kann sie gut aufnehmen, ich lebe gesund. Ich finde es verwunderlich, jetzt bei der Second-line-Therapie angekommen zu sein und es macht mir Angst. Denn danach gibt es keine Alternativen mehr. Dies ist meine letzte Chance. Wenn sich mein Immunsystem durch diese zweite Therapie nicht wieder erholt, besteht die Gefahr, dass ich der Krankheit unterliege.”
José J.M. ist sich des Verlaufs seiner Krankheit, der diesbezüglichen Risiken und Pflichten sehr bewusst. Auch wenn sich die Lebenserwartung von Betroffenen durch die Behandlungen erheblich verlängert hat, so darf man doch nicht vergessen, dass dafür ein hoher Preis gezahlt und dem Patienten keine Verschnaufpause im Kampf gegen das Virus gegönnt wird. José wird von Betreuern dabei unterstützt, seine Situation richtig einzuschätzen und die Hoffnung zu bewahren.
„Für mich ist das eine wirkliche Hilfe, denn ich werde dazu angehalten, mutig zu sein, meine Arznei regelmässig einzunehmen. Man erinnert mich daran, Präservative zu benutzen. Bei diesen Leuten fühle ich mich lebendig, sie sagen mir, dass ich noch lange leben werde. Ich muss auch weiterhin stark sein und darf die Hoffnung nicht aufgeben. Mein Traum ist es, da zu sein, um meinem Sohn Noé eine gute Ausbildung zu ermöglichen und ihm ein Haus zu bauen. Also bete ich zu Gott, dass er über meine Gesundheit wacht und dass in unserem Land endlich weitere Therapien zur Verfügung stehen werden.”
Tägliche Medikamenteneinnahme, ein Leben lang
Die Wirksamkeit antiretroviraler Therapien (ARV) ist direkt mit deren strikter Einhaltung, d.h. der Fähigkeit einer Person, Arzneimittel genau nach Verordnung einzunehmen, verknüpft. In Mosambik haben einige Patienten jedoch keinen Zugang zu einer Behandlung, sie leben zu weit von fachkundigen Gesundheitseinrichtungen entfernt. In anderen Fällen fehlen in der Einrichtung selbst Medikamentenvorräte und die Patienten können dadurch ihre Arzneimittel nicht einnehmen. Bei anderen Kranken lässt sich eine unregelmäßige Einnahme, ja sogar das Absetzen der ARV auf die unerwünschten Auswirkungen dieser auf Molekülen mit erhöhter Toxizität basierenden Medikamente zurückführen.
Die nicht immer mit dem sozialen Leben der betroffenen Person kompatible akribische Vorgehensweise bei der Medikamenteneinnahme stellt gleichwohl eine wesentliche Herausforderung für den Patienten selbst dar, aber auch für die gesamte mosambikanische Bevölkerung, um die Entstehung eines medikamentenresistenten „Supervirus” zu verhindern. Die HIV/Aids-Therapie zwingt behandelten Personen einen täglichen Kampf im Zusammenhang mit der Prozedur der Medikamenteneinnahme und ihrer Nebenwirkungen auf. Und das bis an das Lebensende.
Ein Virus mit vielen Varianten
„Wenn sich Resistenzen entwickeln, dann sind die Medikamente weniger wirksam und der Kranke muss sich mit der Situation eines Therapieversagens auseinandersetzen. Seine Virenbelastung steigt an und sein Immunsystem wird wieder schwächer. Somit ist es notwendig, seine Behandlung umzustellen” erläutert Agnès, zuständig für die Leitung und Organisation der medizinischen Versorgung in Maputo. Er wechselt sozusagen von einer First-line-Behandlung mit antiviralen Mitteln in eine Second-line-Therapie: es müssen andere wirksame Therapiekombinationen gefunden werden, um das Virus zu bekämpfen. Je mehr Resistenzen es gibt, desto schwieriger wird die Behandlung der Krankheit und desto toxischer die Medikation. „Das erste Mal, als ich die neuen Medikamente genommen habe, hatte ich das Gefühl, den ganzen Tag betrunken zu sein. Jetzt ist das glücklicherweise nicht mehr so. Aber dafür haben sich Flecken auf meiner Haut, meinen Händen und auf meinem Gesicht gebildet.” erzählt José.
Es gibt mehrere Second-line-Alternativen im Falle eines Therapieversagens bei einem Patienten, aber noch ist kein antivirales Third-line-Arzneimittel in Mosambik in Sicht. Zwar „zeigen einige im Rahmen einer Second-line-Therapie mit antiviralen Arzneimittelkombinationen versorgte Patienten bereits Anzeichen eines therapeutischen Versagens und würden Third-line Medikamente benötigen. Aber in Mosambik kann davon keine Rede sein. Es gibt diese Medikamente nicht, was soll ich den Patienten also Ihrer Meinung nach sagen? Dass sie auf Grund zu kostspieliger und in Mosambik nicht registrierter Arzneimittel sterben werden? Man versucht, die Hoffnung nicht aufzugeben und man beschwört sie, ebenfalls die Hoffnung zu bewahren: man sagt Ihnen, dass sie ihre Medikamente weiter einnehmen sollen, ohne Unterlass, damit sie noch leben, falls die Third-line-Mittel tatsächlich hier eintreffen.” erklärt Aida, Psychologin in der Tagesklinik von Alto Maé in Maputo, der Hauptstadt des Landes.
(1) CD4-Lymphozyten sind weiße Blutkörperchen, deren Aufgabe es ist, die Zellen des Organismus, welche die Infektion bekämpfen, zu aktivieren und mitzusteuern. Sie verdanken ihren Namen den CD4-Molekülen, die sie auf ihrer Oberfläche tragen. Diese Zellen werden auch T-Helfer-Lymphozyten genannt. Die HIV-Infektion richtet sich gezielt gegen diese Lymphozyten, und wenn sie die Oberhand gewinnt, führt dies zum Ausbruch von Aids.