Im Kreuzfeuer: Die ausweglose Situation, in der sich syrische Geflüchtete im Libanon befinden

Syrische Kinder schauen durch die Öffnung, die der Belüftung des Zeltes dient.

Libanon2 Min.

In Hermel, Qaa und Arsal im Libanon werden zehntausende Geflüchtete in den behelfsmässigen Camps aus Planen und Trümmern mit einer traurigen Realität konfrontiert. Ihre instabilen Behausungen bieten nur wenig Schutz vor der Natur und noch weniger vor der flüchtlingsfeindlichen Stimmung, die sich aktuell im Libanon ausbreitet. Auf engstem Raum leben sie unter hygienisch schwierigen Bedingungen, ohne Heizung und zum Teil auf nacktem Boden. Dazu kommt die allgegenwärtige Angst vor den Sicherheitskontrollen und den Spannungen vor Ort.

Seit April hat der Libanon die Angriffe und Sicherheitsmassnahmen gegen nichtregistrierte Geflüchtete verstärkt. Das führt dazu, dass syrische Patient:innen, die in unseren Kliniken im Gouvernement Baalbek-Hermel behandelt werden, aus Angst vor den Einschränkungen nicht mehr zu ihren Terminen erscheinen. Einer von ihnen ist Wael*, der einen Kontrollposten passieren muss, um zu unserer Klinik in Hermel zu kommen.

Ich habe Angst, wenn ich einen Termin in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen habe. Ich fürchte mich vor den Kontrollen. Bei meinem letzten Termin gab es eine Sicherheitskampagne in diesem Gebiet, also bin ich nicht hingegangen. Vor lauter Angst steigt mein Blutzuckerspiegel, und ich befürchte, dass er nicht wieder sinkt.

Wael

Bei diesen «Sicherheitskampagnen» werden oft syrische Geflüchtete mit abgelaufenen Dokumenten an Kontrollposten angehalten und mit Gewalt zurück nach Syrien gebracht, meist ohne die Gelegenheit, ihre Familie im Libanon zu benachrichtigen.

Andere Menschen, die chronisch erkrankt sind, beschränken ihre Behandlung oder geben sie ganz auf, damit sie ihre Zelte nicht mehr verlassen müssen.

Amer*, ein 36-jähriger Geflüchteter aus Syrien, nimmt Medikamente gegen Bluthochdruck.

Amer*, ein 36-jähriger Geflüchteter aus Syrien, nimmt Medikamente gegen Bluthochdruck. Aufgrund der Wirtschaftskrise im Libanon und den Sicherheitsmassnahmen rund um das Camp ist der Zugang zu Medikamenten für Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten zum echten Spiessrutenlauf geworden. «Ich habe weder die Mittel noch den Mut, um meine Medikamente abzuholen», gibt er zu. «In meinen Albträumen werde ich von den Behörden verfolgt. Ich traue mich nicht, durch die Sicherheitskontrollen zu gehen, weil ich Angst davor habe, abgeschoben und vielleicht für immer von meiner Familie getrennt zu werden.»

© Carmen Yahchouchi/MSF

Seit mehr als zehn Jahren bietet Ärzte ohne Grenzen kostenlose und hochwertige Behandlungen in den Bereichen der Pädiatrie und der reproduktiven und sexuellen Gesundheit sowie Behandlungen für nichtübertragbare Krankheiten, Impfungen gegen vermeidbare Krankheiten und psychologische Betreuung an. Sowohl Geflüchtete als auch die lokale Bevölkerung können dieses Angebot nutzen. Doch die Anzahl der versäumten Termine steigt, da sich unter den Geflüchteten Angst ausbreitet.

Ich möchte lieber sterben. Wir leben ständig in Angst und Schrecken. Der Tod ist erträglicher geworden als das Leben hier.

Umm Khattab*, eine syrische Geflüchtete, lebt seit Jahren in einem behelfsmässigen Zelt nahe der nordöstlichen Grenze des Libanons.

Denken sie an ihre Vergangenheit zurück, wählen die Geflüchteten meist ähnliche Worte, um die gefährliche Reise in den Libanon zu beschreiben. Sie flohen vor der Zerstörung in Syrien, meist nur mit den Kleidern, die sie trugen. Die Ankunft in den libanesischen Bergen und der warme Empfang der lokalen Bevölkerung waren ein anfänglicher Hoffnungsschimmer. Doch dieser wird immer mehr von der zusammenbrechenden libanesischen Wirtschaft überschattet.

Die 21-jährige Maya* ist Witwe einer Kinderehe.

Die 21-jährige Maya* ist Witwe einer Kinderehe. Sie machte zahlreiche traumatische Erfahrungen, vor allem, nachdem ihre Töchter in einem Brand umkamen. Auch die Flucht aus Syrien weckt schmerzhafte Erinnerungen. «Wir kamen mitten in der Nacht und unter permanenten Bombardierungen im Libanon an. Meine Schwester und ich sassen mit Verletzten in einem Auto, auch mein Onkel war dabei. Er war blutüberströmt, hatte klaffende Wunden, ein amputiertes Bein und ein ausgestochenes Auge. Es war fürchterlich, diese Bilder werde ich nie wieder vergessen.»

© Carmen Yahchouchi/MSF

Der Krieg, der seit 2011 in Syrien wütet, hat zu massiven Zerstörungen geführt. Millionen Menschen wurden gezwungen, in die Nachbarländer zu fliehen. Viele sind im Libanon, in Jordanien, in der Türkei oder im Irak gelandet. Zurück nach Syrien zu gehen ist für die meisten keine Option. Die syrischen Geflüchteten im Nordosten des Libanon sind einer wachsenden flüchtlingsfeindlichen Stimmung ausgesetzt, die ihnen den Zugang zu Gesundheitsversorgung erschwert und ihre Bewegungsfreiheit einschränkt. Niemand sollte sich zwischen Sicherheit und Gesundheit entscheiden müssen.

*Alle Namen wurden geändert. Bemerkung: Die Kinder auf dem Titelbild sind nicht die Kinder von Wael.

Um sich zu beschäftigen, zieht Maya Tauben gross.

Die stärker werdende flüchtlingsfeindliche Stimmung im Libanon belastet die Syrier:innen im Nordosten des Landes. Um sich zu beschäftigen, zieht Maya Tauben gross. Sie sucht ausserdem nach Wegen, ihre Verletzungen und die ihrer Familien und Freund:innen zu behandeln. Sie ermutigt sie zum Beispiel, medizinische Anlaufstellen aufzusuchen und sich psychologische Unterstützung zu holen.

© Carmen Yahchouchi/MSF