Kirgisistan: Mythen über Tuberkulose abbauen
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«Ich bin es selbst, der sich stigmatisiert. Auch wenn ich an meine kommende Hochzeit denke, habe ich Angst, meine Frau könnte mich wegen der Krankheit zurückweisen. Ich glaube, dass ich vor allem Angst davor habe, nicht mehr zur Gemeinschaft zu gehören, auch wenn diese mich nicht aktiv isoliert.»
Die Geschichte von Kuschtarbek klingt wie so viele in Kirgisistan. Dass Menschen, die eine ansteckende Krankheit wie Tuberkulose (TB) haben, sich dafür schämen, wirkt sich stark auf ihren Umgang mit der eigenen Gesundheit aus. Viele Leute schrecken vor einem Test zurück oder brechen nach einem positiven Ergebnis später die Behandlung ab.
Kirgisistan ist noch immer eines der Länder mit der höchsten TB-Ansteckungsrate weltweit und mindestens jeder vierte neue TB-Patient ist mit einer medikamentenresistenten Form der Krankheit infiziert. Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) führt seit 2012 ein Projekt gegen multiresistente Tuberkulose im Distrikt Kara Suu in der Provinz Osch durch, die im Süden des Landes liegt.
Laut einer kürzlich von MSF durchgeführten Umfrage beklagt sich mehr als die Hälfte der versorgten Patienten über eine Stigmatisierung. Obwohl die Verbreitung von TB ausschliesslich über die Luft erfolgt, glaubten ausserdem alle Patienten vor Behandlungsbeginn, sie hätten sich durch verunreinigte Nahrungsmittel oder die gemeinsame Nutzung von Geschirr angesteckt. Vorrangiges Ziel der vor Ort arbeitenden Teams ist es deshalb, gezielt gegen diese Fehlinformationen und die damit einhergehende Stigmatisierung vorzugehen.
«Wir müssen die Mythen über Tuberkulose abbauen», sagt Dr. Nazgul Samieva, medizinischer Koordinator bei MSF. «Falsche Informationen schüren die Diskriminierung. Für die Patienten wird es dadurch nur schwieriger, und sie leiden unter Schamgefühlen wegen einer Krankheit, die eigentlich behandelbar und heilbar ist.»
Das Gebiet, in dem MSF arbeitet, weist eine der höchsten TB-Ansteckungsraten des Landes auf. Die MSF-Tätigkeiten hier haben zwei Schwerpunkte: Medizinische Teams unterstützen das 80-Betten-Spital in Kara Suu, und gleichzeitig werden möglichst viele Patienten mit ambulanten Massnahmen versorgt. So kann die Behandlung den jeweiligen Patientenbedürfnissen angepasst werden und die Familie kann die erkrankten Angehörigen konkret unterstützen, was bessere Behandlungsaussichten verspricht. Nur schwere Fälle werden stationär aufgenommen.
Die Bedeutung des aktiven Zuhörens
Die Patientenberatung ist ein wichtiger Pfeiler der medizinischen Tätigkeiten von MSF in Kara Suu. Ein 12-köpfiges Team aus Pflegefachleuten, Psychologen, Sozialarbeitern und Beratern kümmert sich um Patienten, die mit einer Stigmatisierung zu kämpfen haben. Die Teams in den TB-Kliniken sprechen monatlich mit ihren Patienten, sofern nötig auch bei Hausbesuchen.
«Wir hören den Patienten vor allem zu und lassen sie selbst die Ursache ihrer Stigmatisierung benennen», erklärt Sanjarbek Boltoko, Sozialarbeiter bei MSF. «Wir versuchen herauszufinden, was sie von einer Fortführung der Behandlung abhält, wie etwa ein weiter Weg oder Scham vor der Gemeinschaft. Dann erklären wir ihnen, dass die Krankheit behandelt werden kann und dass die Medikamente wirklich regelmässig eingenommen werden sollten, und zwar bis zum Ende der Behandlung.»
Dieser umfassende Ansatz der TB-Behandlung hat laut Sanjarbek viele positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden der Patienten, aber auch darauf, wie diese mit der Stigmatisierung umgehen. «Wir können stolz darauf sein, dass wir den Menschen helfen, sich nicht mehr schämen zu müssen», fährt er fort. «Wir werden zu wichtigen Bezugspersonen und manchmal zu Freunden. Wir stärken ihr Selbstwertgefühl, schon nur indem wir fragen, wie es ihnen geht.»
Patienten wie Kuschtarbek fühlen sich durch diese Art der Unterstützung, wie MSF sie leistet, psychisch gestärkt, und zugleich hilft sie ihnen, die Behandlung nicht aufzugeben und sich nicht mehr für die Krankheit zu schämen. «Ich weiss, dass ich die Medikamente zwei Jahre lang nehmen muss. Ich habe zwar Nebenwirkungen, aber ich versuche, nicht zu sehr darauf zu achten, da ich in erster Linie gesund werden will. Ich bin optimistisch für die Zukunft, denn Menschen können alles schaffen, wenn sie nur wollen.»
MSF arbeitet seit 2012 in der Provinz Osch in Kirgisistan. Von Mai 2012 bis Dezember 2014 wurden im Rahmen dieses Programms insgesamt 301 Patienten mit multiresistenter Tuberkulose behandelt. Von 2006 bis 2014 war die Organisation zudem in Bischkek tätig, wo sie sich in einer Haftanstalt bei der Bekämpfung der Tuberkulose einsetzte.