Nigeria: «In Banki gibt es nichts mehr»
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Am 22. Juli wurde die 31-jährige Dayo mit ihrem kranken Sohn Barine von den MSF-Teams in Banki in Nigeria in das Spital im kamerunischen Mora überwiesen. Diese Spitaleinweisung war dringend nötig, denn der Vierjährige litt an schwerer akuter Mangelernährung.
Dayo erzählt, wie sie vor ihrer Ankunft in Mora vor Hunger bisweilen fast die Sinne verlor. «Manchmal, wenn jemand mit mir sprach, wusste ich gar nicht mehr, ob es ein Mann oder eine Frau war». Es geschah sogar, dass sie die Medikamente verweigerte, die ihr in seltenen Momenten nach einer Untersuchung verschrieben wurden. Denn auf leeren Magen – was bei ihr der Dauerzustand war – konnten die Tabletten schwere Nebenwirkungen hervorrufen.
Neun Tage nach der Spitaleinweisung verbesserte sich der Gesundheitszustand des kleinen Barine, auch wenn er zurzeit die für die Behandlung benötigte Dosis therapeutische Nahrung noch nicht schlucken kann. Für zwei der fünf Kinder, die zur gleichen Zeit wie Barine eingewiesen wurden, kam leider jede Hilfe zu spät. Ihr Zustand war bereits so schlimm, dass sie nicht überlebten.
Wie Barine und seine Mutter leben weitere 15‘000 vertriebene Nigerianer seit fast fünf Monaten unter katastrophalen Bedingungen in einer regelrechten Geisterstadt. In Banki ist jede Aktivität zum Erliegen gekommen, und es gibt keine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen.
Ich komme aus einem Dorf, das 15 km von Banki entfernt ist. Eines Tages kamen Mitglieder von Boko Haram in unser Dorf und verboten uns ab sofort jegliche Tätigkeit. Wir durften uns auch nicht mehr fortbewegen. Sie waren gewalttätig und terrorisierten uns. Ich floh mit meinem Mann und meinen Kindern in den Busch, mit Macheten und Stöcken bewaffnet. Dort begann dann das Hungern. Es gelang uns, etwas Hirse und Bohnen zu erbetteln. Wir durften immer nur tagsüber kochen, da am Abend ein einziges Feuer genügt hätte, um diejenigen, vor denen wir uns versteckten, auf uns aufmerksam zu machen.
Dann kam das Militär, um Boko Haram zu bekämpfen, und während diesem Kampf wurde unser Dorf abgebrannt. Dabei verlor ich meine Mutter, meinen Vater und meine Schwiegermutter.
Wir kamen mit leeren Händen in Banki an, nicht einmal einen Teller oder einen Topf hatten wir. Die Kleider, die ich am Körper trage, sind mein einziger Besitz. Es ist unmöglich, die Stadt zu verlassen, und hier machen wir nichts anderes, als auf die nächste Nahrungsmittelverteilung zu warten, von der wir komplett abhängig sind. Zum Glück verteilen die Behörden überhaupt Lebensmittel. Doch die Mengen sind leider nicht ausreichend. Wir erhalten knapp zwei Kilo Reis oder Mais für eine Woche, manchmal muss es sogar für zwei Wochen reichen. Wenn wir Brennstoff benötigen, reissen wir Bretter aus Holzschuppen, um sie zu verbrennen. Wir fanden auch einige Gegenstände und Utensilien in verlassenen Häusern.
Seit ich in Banki bin, habe ich noch keine Seife gesehen. Auch mit dem Wasser müssen wir sparsam umgehen. Das wenige, das wir täglich erhalten, muss zum Trinken, für unsere Hygiene und zum Kleiderwaschen reichen.
Angst zurückzukehren
Auch wenn Banki meine Heimat ist, möchten wir nicht zurückkehren. Die Angst ist zu gross. Jemand erzählte, dass in einer Nacht drei Kinder und zwei Frauen verschwanden. Ich mache mir auch Sorgen um meine Kinder, die noch dort sind. Ich weiss, dass mein kleiner Bruder sich um sie kümmert, aber mein anderer Sohn ist auch krank. Jedes Mal, wenn ich im Spital eine Mahlzeit erhalte, denke ich an die anderen, die noch dort sind.
Ich möchte, dass meine ganze Familie hier ist. Ich könnte mit ihnen sogar unter einem Baum leben, Hauptsache, wir wären alle hier. Ich will nicht nach Nigeria zurückkehren. In Banki gibt es nichts mehr…