Ostkongo: MSF behandelt Opfer von Entführungen, sexueller Sklaverei und Folter
4 Min.
In der Gold- und Diamantminenregion im Okapi-Wald im Osten der Demokratischen Republik Kongo entführen bewaffnete Milizen Frauen, Männer und Kinder und halten sie teilweise über Monate als Sexsklaven fest oder zwingen sie für sie zu arbeiten. Es gibt keine Anzeichen, dass dieser Terror bald aufhören wird.
Tausende Menschen sind aus ihren Dörfern im Okapi-Wald,in der Region Ituri, Provinz Orientale, geflohen, um der anhaltenden Bedrohung durch Entführungen und Gewalt zu entgehen. Die meisten fanden Zuflucht bei Freunden und Verwandten in dem kleinen Ort Nia Nia, dessen Einwohnerzahl sich seit Beginn des Jahres zeitweise fast verdoppelte.
Die Menschen kommen in Nia Nia mit schlimmen Berichten von Gräueltaten an, die sie in der Gewalt von verschiedenen bewaffneten Gruppen erlebten oder mitansehen mussten. Sie erzählen unter anderem von Ermordungen, Folter und wiederholten Vergewaltigungen. Seit Mai ist ein Team von Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) vor Ort und leistet medizinische Basisversorgung sowie medizinische Nothilfe für Gewaltopfer und bietet dringend benötigte psychologische Betreuung an.
„Was die Menschen durchleben mussten, beschreiben sie als Hölle“, sagt MSF-Psychologin Ana Maria Tijerino. „Ich finde es schwierig zu begreifen, dass solch ein Ausmaß an Grauen und Horror möglich ist. Die Opfer wurden als Sexsklaven festgehalten – manchmal über Monate – und sexuell missbraucht von mehreren Männern, mehrmals am Tag, oft vor den Augen ihrer Eltern, Ehemännern oder Verwandten.“
Zwischen Mai und Juli behandelte das MSF-Team in Nia Nia 3’586 Menschen. Darüber hinaus half das Team 143 Frauen, drei Männern und zwei Kindern, die Opfer sexueller Gewalt waren, sowie 36 Überlebenden von anderen Arten von Gewalt mit spezieller psychologischer Betreuung und Beratung. Die Menschen hatten Folter oder sexuelle Erniedrigung erlebt oder waren gezwungen zuzusehen, wie Verwandten Gewalt angetan wurde.
MSF arbeitet eng mit lokalen Frauengruppen in Nia Nia zusammen, die Vergewaltigungsopfern psychologische Hilfe bieten.
Einen traurigen Höhepunkt erreicht der Gewaltausbruch im April und Mai. Die Angriffe dauern aber an und es fliehen weiterhin Menschen nach Nia Nia und in umliegende Orte. MSF weitet seine Hilfeleistung daher aus. In einer einzigen Woche im Juni behandelte ein Team von MSF im Dorf Bafwanduo 20 Vergewaltigungsopfer.
Menschen, die im Wald leben und in den Minen nach Gold und Diamanten schürfen, sind die Hauptangriffsziele der Übergriffe. Gewalt im Zusammenhang mit der Ausbeutung der Minen ist allerdings nicht neu.
„Diverse bewaffnete Milizen jagen die Minenarbeiter, um von ihnen einen Teil des Gewinns zu erbeuten“, erklärt Kevin Coppock, Projektkoordinator für MSF in der Provinz Orientale. „Es gibt Berichte über schlimme Gewalt gegen diejenigen, die nichts aushändigen oder nichts geben können. Nachdem einer der Milizenführer im April von der Armee getötet worden war, haben Gewalt und Brutalität stark zugenommen – sowohl gegen die Minenarbeiter als auch gegen die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern.“
Für das MSF-Team ist die Behandlung der Opfer von sexueller Gewalt sehr schwierig, da viele Frauen mehrfach und über einen langen Zeitraum vergewaltigt wurden. Wenn sie in der MSF-Klinik in Nia Nia ankommen, ist es oft zu spät, um sie vor HIV, sexuell übertragbaren Krankheiten und Schwangerschaft zu schützen. Dieser Schutz, bekannt als „post-exposure Prophylaxis“ (PEP) ist am effektivsten innerhalb von 72 Stunden nach einem Übergriff. „Frauen, die über Monate als Sexsklaven festgehalten wurden, sind dieser essentiellen Hilfe beraubt“, sagt Ana Maria Tijerino.
Die Folgeerscheinungen eines solchen Gewalterlebnisses können lähmend sein. „Monate nach einem Übergriff durchleben die Überlebenden physische und psychische Traumata“, sagt Ana Maria Tijerino. „Viele leiden an Schmerzen, infizierten Wunden, Stress, Depressionen und Alpträumen.“
Die anhaltende Unsicherheit macht es den Überlebenden noch schwerer sich zu erholen. „Keiner weiss, was der nächste Tage bringen wird,“ sagt Ana Maria Tijerino. „Die Menschen leben mit der Angst, dass sie in die Minen unter das Joch ihrer Angreifer zurückehren müssen und das verstärkt ihren Stress nur noch mehr. Sie haben Angst, da sie wissen, sie können wirtschaftlich nicht überleben ohne in den Minen zu arbeiten. Nia Nia ist ein armer Ort an dem es keine anderen Möglichkeiten gibt, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Opfer haben Angst vor der Zukunft und werden verfolgt von dem, was sie durchlebt haben.“ Die Situation bleibt ungewiss. Jede Woche fliehen Menschen vor der Gewalt und erreichen Nia Nia, während einige den Ort schon wieder verlassen mussten um in die Minen zurückzukehren, da sie nur dort ihren Lebensunterhalt verdienen können.
„Gewalt und sexuelle Gewalt sind leider nichts Neues in der Demokratischen Republik Kongo“, sagt Ana Maria Tijerino. „Aber für die Opfer werden diese Übergriffe niemals normal sein. Niemand sollte solch ein Ausmass an Gewalt akzeptieren müssen.“