Philippinen: Eine Naturkatastrophe von bisher ungekanntem Ausmass

Natasha Reyes, 26.03.2013

3 Min.

Dr. Natasha Reyes ist Philippina und arbeitet zurzeit für MSF als Notfall-Koordinatorin in ihrer Heimat. Sie schildert die Lage nach dem verheerenden Taifun Haiyan.

„Ich bin selbst Philippina und weiss, wie belastbar wir sind. Immer wieder wurden wir von Naturkatastrophen getroffen. Wenn ich jetzt höre, wie fassungslos, wie verzweifelt und hoffnungslos die Menschen sind, kann ich daraus ablesen, wie schlimm die Situation ist.
Eine Naturkatastrophe diesen Ausmasses gab es auf den Philippinen noch nie. Die Auswirkungen sind wie nach einem schweren Erdbeben mit anschliessenden Fluten.

Niemand weiss, wie die Situation in ländlichen Gebieten ist

Wir arbeiten momentan ohne genaue Informationen zu haben. Nur das wenige, das wir sehen, gibt uns Auskunft darüber, wie schlimm die Lage ist. Aber am meisten Sorgen bereitet uns das, was wir nicht sehen können. Berichten zufolge ist die Stadt Tacloban mit 400’000 Einwohnern komplett zerstört worden. Hunderte anderer Städte und Dörfer liegen tausende Kilometer entlang der Strecke, über die der Taifun hinweggefegt ist. Die gesamte Kommunikation dorthin ist abgeschnitten. Ehrlich gesagt weiss niemand, wie die Lage in diesen eher ländlichen und abgelegenen Orten ist. Es wird auch noch einige Zeit dauern, bis wir ein vollständiges Bild haben.
Der Fokus von MSF liegt zunächst auf der Provinz Leyte, die als Erstes getroffen wurde. Wir wissen, dass viele medizinische Einrichtungen zerstört oder beschädigt wurden, dass medizinische Geräte einfach weggespült wurden. Zudem werden sehr viele medizinische Mitarbeiter vermisst, wodurch die Personalressourcen knapp werden.

Wir rechnen mit Schwerverletzten

Verletzte werden mit dem Motorrad oder bis zu sechs Stunden zu Fuss aus der Umgebung zum Flughafen gebracht, wo das philippinische Militär medizinische Hilfe leistet. Aber es fehlt an Medikamenten und Material, weswegen wir dort mit einem medizinischen Team Unterstützung leisten werden.
Das regionale Spital in Tacloban wurde von einer Sturmflut getroffen, und grosse Teile der Geräteausstattung wurden weggespült. Es ist unklar, was noch übrig ist. Es gelang uns, in Tacloban ein noch funktionsfähiges Spital ausmachen, und dort wollen wir in den nächsten Tagen die Arbeit aufnehmen.
Dann gibt es die Verletzten, die bisher noch keine medizinische Hilfe erhalten haben. Normalerweise sind bei solchen Katastrophen die meisten Probleme auf die damit verbundene Vertreibung der Menschen zurückzuführen. Die Verletzungen sind mit Schnitten, gebrochenen Gliedmassen und Kopfwunden jedoch relativ gering. Aber diesmal sind so viele Häuser und Gebäude zusammengebrochen, so dass wir mit Schwerverletzen rechnen.

Nächstes Ziel: Eastern Samar

Auch Tetanus-Infektionen sind eine grosse Gefahr. Aus unserer Erfahrung nach dem Tsunami in Aceh und aus anderen Katastrophen wissen wir, dass Menschen oft in den Trümmern ihrer Häuser nach Dingen suchen. Dabei ziehen sie sich leicht Schnitte zu, die sich schnell infizieren. Daher ist eine Impfung gegen Tetanus lebenswichtig.
Unsere Priorität ist es jetzt zunächst, uns um die dringenden medizinischen Bedürfnisse zu kümmern. Danach kommt alles andere – Unterkünfte, Wasser, Nahrung. Die Menschen haben alles verloren. Berichten zufolge laufen Menschen ziellos und völlig verzweifelt herum. Die psychosozialen Bedürfnisse werden riesig sein, daher wird in den nächsten Tagen ein Psychologe zu unserem Team stossen. Zunächst aber einmal müssen wir jetzt Mitarbeiter und Hilfsgüter in das betroffene Gebiet bringen. Tacloban selbst hat eine begrenzte Kapazität für Flüge, aber wir tun unser Bestes, damit unsere Teams so schnell wie möglich loslegen können.
Sobald unsere Teams hier verstärkt sind, wird unsere Strategie sein, ins Umland und die umliegenden Inseln von Tacloban zu kommen. Vermutlich wird Eastern Samar das nächste Ziel sein – mit einem Helikopter und Schnellbooten bzw. anschliessend mit Kähnen und mobilen Teams, um die Bevölkerung an der Küste zu erreichen.