Revolution bei der Behandlung resistenter Tuberkulose – Die Veränderung einer schmerzvollen Therapie

Ein Techniker analysiert Proben im Labor eines MSF-Spital.

Belarus4 Min.

Jedes Jahr erkranken rund 500 000 Menschen weltweit an resistenten Formen der Tuberkulose. Bis vor kurzem mussten sie eine jahrelange, mit schweren Nebenwirkungen verbundene Behandlung durchlaufen. Nun stellte sich eine veränderte Therapie, in einer von uns realisierten Studie, als erfolgreich heraus. Für betroffene Menschen – nicht nur in Belarus – bedeutet das eine wirklich einschneidende Veränderung.

«Am zehnten Tag meiner Behandlung merkte ich, dass mit meinen Ohren etwas nicht stimmte», berichtet Maria, eine der Betroffenen in Belarus. «Die Medikamente beeinträchtigten meinen Hörnerv. Ausserdem waren die Injektionen sehr schmerzhaft und hinterliessen Klumpen und Beulen an meinem Körper. Selbst das Hinsetzen war schmerzhaft.»

Trotz der Fortschritte in den vergangenen 20 Jahren gehört Belarus immer noch zu den 30 Ländern mit den meisten Tuberkulose-Erkrankungen weltweit. Etwa ein Drittel der betroffenen Menschen leiden an resistenten Formen der Tuberkulose (TB). Die Standardbehandlungen, der sich Betroffene wie Maria früher unterziehen mussten, dauerten bis zu 20 Monate und sind mit schmerzhaften Injektionen und verschiedensten möglichen Nebenwirkungen verbunden, die von Schmerzen und Depressionen bis hin zu irreversiblem Hörverlust reichen.

2017 startete unser Team eine klinische Studie mit dem Namen TB-PRACTECAL, um innovative Ansätze für die Behandlung resistenter Tuberkuloseformen zu testen. In drei Ländern - Belarus, Südafrika und Usbekistan – behandelten wir die Betroffenen mit einem neuen Behandlungsschema. Dabei wurden die Medikamente ausschliesslich oral eingenommen, so dass keine schmerzhaften Injektionen mehr nötig waren. Zudem verkürzte sich die Zeit der Therapie auf sechs Monate.

2022 markiert ein neues Kapitel in der Behandlung von Tuberkulose

Die in diesem Jahr veröffentlichten Ergebnisse von TB-PRACTECAL beweisen, dass das neue, rein orale sechsmonatige Behandlungsschema bei der Behandlung von resistenten Tuberkuloseformen sicherer und wirksamer ist als die üblichen Methoden. Das Behandlungsschema, dass als BPaLM bekannt ist, besteht aus den Antibiotika Bedaquiline, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin.

Damit wurde ein neues Kapitel in der Geschichte der weltweiten TB-Behandlung aufgeschlagen. Kurz darauf veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Mitteilung zu den Richtlinien für die Behandlung von resistenter TB, in der sie den Einsatz des BPaLM-Schemas anstelle der älteren Schemata empfiehlt.  

Ärztin Natalia Tuberkulose Belarus

Die Ärztin Natalia arbeitet im Republikanischen Wissenschaftlichen und Praktischen Zentrum für Pulmonologie und Tuberkulose in Minsk. Im Medikamentenlager stellt sie die Medikamente für die Behandlung resistenter Tuberkulose zusammen.

© MSF/Alexandra Sadokova

Die Wirkung bei extrem-resistenter Tuberkulose

Volha, eine TB-Betroffene aus Minsk, nahm an unserer klinischen Studie teil. Volha hat drei Kinder und erhielt kurz nach der Geburt ihrer Zwillinge die schockierende Diagnose, dass sie an extrem-resistenter TB (XDR-TB) erkrankt war. Um ihre beiden neugeborenen Babys nicht dem Risiko einer Infektion auszusetzen, blieb sie während ihrer Behandlung im Republikanischen Wissenschaftlichen und Praktischen Zentrum für Pulmonologie und Tuberkulose in Minsk, während ihre Kinder bei der Familie lebten.

Trotz dieser schwierigen Situation gelang es ihr, die Behandlung mit einer positiven Einstellung zu beginnen. Ihre optimistische Haltung und die Unterstützung durch ihre Familie beschreibt sie als wichtige Faktoren für ihre Genesung. Sie sagt über ihre Behandlung:

Alles wurde mit Liebe zu den Patient:innen gemacht. Während meiner Zeit im Krankenhaus hatte ich ein Mantra im Kopf: Wir sind keine Patient:innen, wir sind nicht krank, wir werden gesund. Jeden Tag bewegen wir uns auf die Genesung zu.

Volha, Betroffene von extrem-resistenter Tuberkulose

Volha hat sich inzwischen vollständig erholt und ist wieder zu Hause bei ihren drei Kindern.

Der nächste Schritt: Behandlung auch ausserhalb von Minsk

In Belarus wurde, im Anschluss an die klinische Studie TB-PRACTECAL, eine neue Studie mit dem Namen SMARRTT erarbeitet. SMARRTT steht für ein sechsmonatiges, rein orales Therapieschema für resistente Tuberkuloseformen, bei denen das Medikament Rifampicin nicht wirkt.
Bereits jetzt gibt es 300 Menschen die daran teilnehmen. In der Praxis soll begleitet werden, wie das neue verkürzte Behandlungsschema, dass im Rahmen der TB-PRACTECAL-Studie ausschliesslich in Minsk verwendet worden war, auf Betroffene in anderen Städte in ganz Belarus ausgedehnt werden kann.  

Um Patient:innen in ihren Heimatstädten zu behandeln, holen Apotheker:innen aus verschiedensten Regionen bei uns Medikamente ab.

Dr. Natalia Yatskevich, leitende Prüfärztin der SMARRTT-Studie und Ärztin im nationalen TB-Programm

Hoffnung, dass die Krankheit das Leben nun weniger bestimmt

Maria hatte sich zwei Jahre lang der früher üblichen Standard-Behandlung unterzogen, konnte damit aber nicht von ihrer resistenten TB geheilt werden. Nun soll sie die neue, verkürzte Behandlung in Belarus erhalten. «Für mich drehte sich in den vergangenen zwei Jahren alles um TB», sagt sie. «Ein solches Leben ist unmöglich. Wir betroffenen Menschen können, während der Behandlung, nichts tun, weil man sich schrecklich fühlt. Hätte ich gleich mit einer kurzen Behandlung beginnen können, wäre mein Leben anders verlaufen.»

Maria Patientin der SMARRTT-Studie Belarus September 2022

Maria ist eine 34-jährige Patientin der SMARRTT-Studie. Hier sehen wir ihre monatliche Medikamentendosierung - sie muss täglich mehrere Tabletten gegen die resistente Tuberkulose einnehmen.

© Alexandra Sadokova/MSF

Stigmatisierung von Tuberkulose-Erkrankten ist problematisch

Ein weiteres Thema, das vielen Tuberkulose-Erkrankten zusätzlich zu schaffen macht, ist die Stigmatisierung. In Ländern, in denen TB weit verbreitet ist, ist das immer noch ein grosses Problem. Belarus ist da keine Ausnahme. Viele Menschen mit Tuberkulose werden von der Gesellschaft und sogar von Angehörigen nicht akzeptiert. Die ehemals Betroffene Volha ist der Meinung, dass die geringe Sichtbarkeit von Menschen mit TB dazu führe, dass sie von der Gesellschaft leicht ignoriert würden. Die Verbesserung eines gesellschaftlichen Bewusstseins für die Krankheit und die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber TB-Erkrankungen brauchen Zeit und erfordern langfristige Anstrengungen.