Tansania: Flüchtlingslager Nyarugusu stösst an seine Grenzen
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Wöchentlich kommen tausende neue Flüchtlinge aus Burundi im Lager an, das diesem Zustrom nicht mehr gewachsen ist. Das Trinkwasser ist knapp und das Risiko für übertragbare Krankheiten hoch.
Rachel Marsden ist soeben aus dem Flüchtlingslager Nyarugusu in Tansania zurückgekehrt, wo sie als Nothilfekoordinatorin für Médecins Sans Frontières / Ärzte ohne Grenzen (MSF) tätig war. Der MSF-Einsatz in diesem Lager begann Mitte Mai, als Tausende von Flüchtlingen Schutz vor den politischen Unruhen in Burundi suchten. Das Lager besteht seit 19 Jahren und beherbergte bis anhin 64‘000 Flüchtlinge aus dem Kongo. Doch nun stösst es an seine Kapazitätsgrenzen: Durch den neusten Zustrom aus Burundi ist die Lagerbevölkerung auf über 122‘000 angestiegen und jeden Tag kommen weitere dazu.
«Die Zahl der Menschen, die von Burundi her über die Grenze strömen, hat sich in den vergangenen zwei Wochen fast verdreifacht. Zuvor kamen jede Woche etwa 2‘000 neue Flüchtlinge an, doch angesichts der näher rückenden Wahlen und anhaltenden Unruhen ist diese Zahl auf 7‘000 pro Woche geschnellt. Wir vermuten schwer, dass diese Zahl noch weiter ansteigen wird.
Ein halber Quadratmeter pro Person
Die Bevölkerung im Lager Nyarugusu hat sich innert zwei Monaten praktisch verdoppelt. Die Dienste, die vorher ausreichend waren, sind jetzt an ihre Grenzen gestossen. Die Zelte werden nicht schnell genug bereitgestellt, um dem Bedarf nachzukommen. So werden die Neuankömmlinge provisorisch in grossen Unterkünften, die jeweils 200 bis 400 Menschen beherbergen, in den Transitzonen des Lagers untergebracht. Dort bleiben sie, bis sie ein Zelt für ihre Familie erhalten.
Der Platz wird knapp, da ständig neue Flüchtlinge eintreffen. Zum Teil müssen die Neuankömmlinge bereits fünf bis sechs Wochen auf engstem Raum zusammengepfercht ausharren. Gewisse Unterkünfte sind dermassen überfüllt, dass pro Person nur ein halber Quadratmeter zur Verfügung steht. Das Risiko, dass sich Infektionskrankheiten ausbreiten, ist unter diesen Bedingungen sehr hoch.
Mangel an Wasser und Latrinen
Das verfügbare Wasser reicht für die Lagerbevölkerung nicht aus. Vor dem neusten Zustrom erhielt jeder Lagerbewohner 23 Liter Wasser pro Tag, was den Standards entspricht. Nun wird berichtet, dass es nur noch durchschnittlich 11 Liter sind. Das gilt jedoch nicht für das ganze Lager: In gewissen Bereichen müssen die Menschen gar mit nur fünf Litern auskommen, was für das Trinken, Kochen und Waschen bei Weitem nicht genügt.
Die bestehenden Latrinen sind ebenfalls nicht ausreichend. Es müssen weitere gebaut werden, und generell sind Verbesserungen bei den Hygienebedingungen nötig, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern.
Der allgemeine Gesundheitszustand der ankommenden Flüchtlinge ist nicht allzu schlecht. Im Schnitt sind sie nur zwei bis drei Tage unterwegs, bis sie im Lager ankommen. Dort treffen sie dann allerdings auf prekäre hygienische Zustände und haben nicht ausreichend Zugang zu sauberem Wasser, was sei einem hohen Risiko für Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfektionen aussetzt.
Impfkampagne gegen Cholera
Wir nahmen unsere Arbeit im Lager Mitte Mai auf, als die ersten Flüchtlinge aus Burundi eintrafen und ein grosser Cholera-Ausbruch gemeldet wurde. MSF errichtete rasch Cholera-Behandlungszentren im Flüchtlingslager Nyarugusu und in der fünf Stunden entfernten Transitzone Kagunga. In Nyarugusu organisierten wir zudem präventiv eine Impfkampagne gegen Cholera, bei der 107‘000 Flüchtlinge aus dem Kongo und Burundi eine Schluckimpfung erhielten. Die Cholera ist gegenwärtig unter Kontrolle, und in unseren Pflegezentren sind glücklicherweise nur sehr wenige Patienten in Behandlung.
Während der Impfkampagne testeten wir gleichzeitig Kinder unter fünf Jahre auf Mangelernährung. Von den über 16‘600 untersuchten Kindern waren 800 leicht mangelernährt. Das ist kein alarmierendes Resultat, doch wenn diese Kinder jetzt nicht angemessen gepflegt werden, könnte sich ihr Zustand in drei bis vier Wochen verschlimmern.
Da in den kommenden Wochen weitere Flüchtlinge erwartet werden, ergreift MSF jetzt die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Gesundheits- und Sanitärversorgung im Lager. Unsere Teams haben auch damit begonnen, Wasser zu verteilen und zusätzliche Latrinen zu bauen. Bei einem der Eingangsorte des Lagers bieten wir nun die Dienste einer mobilen Klinik an. Im Hauptspital des Lagers werden wir schwer mangelernährte Kinder therapeutisch versorgen und zugleich das Personal gezielt schulen. Ergänzend dazu werden wir im ganzen Lager ambulante Ernährungszentren einrichten.
Hohes Risiko für übertragbare Krankheiten
Während der sechs Wochen, die ich im Lager Nyarugusu verbracht habe, hat sich eine stabile Lage zu einer ungewissen entwickelt. Hilfsorganisationen sind angesichts der täglichen Ankunft von weiteren Flüchtlingen schlicht überfordert. Die bereits anfälligen Menschen sind wegen des eingeschränkten Zugangs zu Wasser, sanitären Anlagen, Unterkünften und Gesundheitsversorgung einem hohen Risiko für übertragbare Krankheiten ausgesetzt. Es müssen dringend Massnahmen ergriffen werden, bevor sich die Lage weiter zuspitzt.»
Laut Angaben des UNHCR halten sich derzeit rund 66‘000 burundische Flüchtlinge in Tansania auf, die Mehrheit im Lager Nyarugusu. Zudem leben weitere 64‘000 Flüchtlinge aus der Demokratischen Republik Kongo in diesem Lager. In Burundi unterstützt MSF drei Gesundheitsposten in Bujumbura nahe von Orten, an denen es zu Demonstrationen kam. Dabei wurden mehr als 200 Verletzte behandelt oder in Spitäler überwiesen. In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Roten Kreuz hat MSF einen Ambulanzdienst eingerichtet, der für schwere Fälle auf Bereitschaft ist. Die Organisation baut nun ihre Kapazitäten für die Behandlung Verwundeter weiter aus.