Unsichtbare Wunden: Ergebnisse einer Analyse von Ärzte ohne Grenzen zu sexualisierter Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik
© Juan Carlos Tomasi/MSF
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Von 2018 bis 2022 haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in der Zentralafrikanischen Republik insgesamt rund 19 500 Überlebende von sexualisierter Gewalt versorgt. Im Laufe dieser fünf Jahre verdreifachte sich die Zahl der von unseren Teams versorgten Patient:innen. Grund dafür waren verstärkte Aktivitäten innerhalb der Gemeinschaft, Sensibilisierung, verbesserte Überweisungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen und der Gesundheitsbehörde sowie die Ausweitung unserer Programme, sowohl geografisch als auch mittels zusätzlicher Angebote.
Der immer wieder aufflammende Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik verschärfte das Problem. In einigen Fällen führte dies zu weit verbreiteten Vergewaltigungen, in anderen Fällen wurden unsere Programme oder Outreach-Aktivitäten unterbrochen, so dass die Menschen Mühe hatten, an medizinische Versorgung zu kommen. Zudem verschlimmerte der Konflikt für grosse Teile der Gesellschaft die Lebensumstände und führte dazu, dass die Menschen noch verletzlicher wurden.
Doch die sexualisierte Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik beschränkt sich nicht nur auf den Konflikt. Unsere Fünf-Jahres-Analyse ergab, dass eine Minderheit der Angreifer (ungefähr 20 Prozent) bewaffnet waren und die überwiegende Mehrheit (ungefähr 70 Prozent) den Überlebenden bekannt waren. Leider werden die Täter wegen der im Land herrschenden Straflosigkeit nur selten verurteilt. Die Überlebenden hingegen haben in ihrer Gemeinschaft häufig mit Stigmatisierung und anderen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Sexualisierte Gewalt ist in der Zentralafrikanischen Republik ein tabubehaftetes Problem der öffentlichen Gesundheit. Man darf das Problem nicht nur in Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt behandeln.
«Wir konnten in den vergangenen fünf Jahren zwar einige positive Entwicklungen beobachten. Dennoch melden viele Betroffene von sexualisierter Gewalt (95 Prozent von ihnen sind Frauen) den Übergriff nicht und suchen keine medizinische Hilfe auf. Die Zahl der Patient:innen, die wir versorgen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Um diese Situation zu ändern, braucht es gezielte Massnahmen seitens der Regierung wie auch von nationalen und internationalen Hilfsorganisationen», berichtet Khaled Fekih weiter.
Aus diesem Grund hat Ärzte ohne Grenzen die Arbeit der Teams vor Ort von 2018 bis 2022 analysiert. Das Ziel ist, mehr über das zugrunde liegende Problem herauszufinden und Forderungen nach konkreten Massnahmen auszuarbeiten. Auf diese Weise sollen Überlebende von sexualisierter Gewalt besseren Zugang zu einer angemessenen Versorgung erhalten.
Erkenntnisse
- Sexualisierte Gewalt ist in der Zentralafrikanischen Republik ein tabubehaftetes Problem der öffentlichen Gesundheit. Man darf das Problem nicht nur im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt behandeln. Obschon es im Lauf der letzten fünf Jahre einige positive Entwicklungen gab, ist die Zahl der Überlebenden, die Hilfe aufsuchen, noch immer nur die Spitze des Eisbergs.
- Das Betreuungsangebot ist mangelhaft: Es fehlt an medizinischer Grundversorgung, einer umfassenden Betreuung für Betroffene von sexualisierter Gewalt, an psychiatrischer Versorgung für schwere Fälle wie auch an psychosozialer Unterstützung.
- Überlebende haben mit Hürden zu kämpfen, wenn sie Übergriffe melden und medizinische Hilfe aufsuchen wollen. Für bestimmte Gruppen wie Männer, Kinder und Jugendliche gibt es zusätzliche Hindernisse.
- Straflosigkeit für die Täter ist in der Zentralafrikanischen Republik weit verbreitet. Die Überlebenden hingegen haben häufig mit Stigmatisierung und anderen Hindernissen zu kämpfen, so dass ein normales Leben in ihrer Gemeinschaft schwierig wird.
- Es muss noch viel getan werden, um Überlebenden zu helfen, wieder ihren Platz in der Gemeinschaft zu finden, und zu verhindern, dass sie für die Tat bestraft werden. Dazu braucht es auch rechtliche und sozioökonomische Hilfe.
Empfehlungen
- Geografische Ausweitung und mehr örtliche Angebote. Es braucht ein umfassendes Versorgungsangebot, das rund um die Uhr verfügbar ist und ganz auf die Betroffenen ausgerichtet ist. Vertraulichkeit, Empathie, Respekt und Privatsphäre sind entscheidend.
- Verstärkte Bemühungen für sektorübergreifende Massnahmen: Medizinische und psychologische Versorgung, psychosoziale Hilfe, Schutz, soziale Unterstützung und einen sicheren Raum.
- Angebot eines therapeutischen Schwangerschaftsabbruchs unter sicheren Bedingungen, um zu verhindern, dass Frauen aufgrund unsachgemäss vorgenommener Abtreibungen sterben.
- Advocacy-Massnahmen zur Bekämpfung der Ursachen von sexualisierter Gewalt: Bemühungen zur Änderung von schädlichen sozialen Mustern, einschliesslich Unterstützung auf legislativer, politischer und Gemeindeebene.
- Kostenlose rechtliche Beratung für Betroffene sexualisierter Gewalt
© Juan Carlos Tomasi/MSF