Westjordanland: Erste-Hilfe-Schulungen verleihen Menschen in Geflüchtetencamps mehr Autonomie angesichts der zunehmenden Gewalt

Blick aus dem Geflüchtetencamp Nur Shams in Tulkarem. Oktober 2024 Westjordanland.

Palästinensische Autonomiegebiete2 Min.

Seit über einem Jahr häufen sich im Westjordanland die Angriffe durch Siedler:innen sowie die Einsätze und Luftschläge der israelischen Armee. Fast 700 Palästinenser:innen wurden mittlerweile getötet und mehr als 6000 verletzt. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen haben medizinische Schulungen für die Menschen im Geflüchtetencamp Nur Shams durchgeführt, damit diese Erste Hilfe leisten können.

Rund 20 Frauen sind in einem Raum zusammengekommen, den unsere Teams in diesem Camp eingerichtet haben. In der Mitte des Raums befindet sich ein Tisch mit Verbandstoff, Abschnürbinden und schematischen Darstellungen des menschlichen Blutkreislaufs. Hier erhalten die Frauen Schulungen in Erster Hilfe.

Danach sind sie in der Lage, Wunden zu versorgen oder Gliedmassen abzubinden, falls ein Familienmitglied oder jemand aus der Nachbarschaft bei einer Militärintervention Israels verletzt wird. So können sie die Zeit überbrücken, bis sie wieder Zugang zu einer umfassenderen medizinischen Versorgung haben.

«Luftangriffe, Bombardierungen und Schüsse sind Alltag im Westjordanland», sagt Saeda Ahmad, eine Schulungsteilnehmerin. «In solchen Situationen ist es wichtig, dass wir über das Wissen und die Erfahrung verfügen, um korrekt Erste Hilfe leisten zu können. Während der Luftangriffe ist es für Krankenwagen fast nicht möglich, die Verletzten zu erreichen. Dank dieser Ausbildung können wir ihnen helfen.»

Durch die zunehmenden Luftschläge der israelische Armee im Westjordanland wird auch der Zugang zu medizinischer Versorgung blockiert. Für die Krankenwagen gibt es aufgrund von Strassensperren kein Durchkommen. Das Gesundheitspersonal gerät unter Beschuss, wird schikaniert und in seiner Arbeit behindert. Verletzte können oft gar nicht in die Spitäler gebracht werden.

Mitglieder unserer Teams anlässlich einer Erste-Hilfe-Schulung im Geflüchtetencamp Nur Shams in Tulkarem. Oktober 2024 Westjordanland.

Mitglieder unserer Teams anlässlich einer Erste-Hilfe-Schulung im Geflüchtetencamp Nur Shams in Tulkarem. Oktober 2024 Westjordanland.

© Oday Alshobaki/MSF

Die Einsätze der israelischen Armee sind zudem vermehrt von Gewalt geprägt und nehmen an Intensität zu. Am 3. Oktober 2024 wurden bei einem Luftangriff auf das Camp in Tulkarem 18 Menschen getötet. Mittlerweile werden auch immer häufiger dicht besiedelte Gebiete und Geflüchtetencamps bombardiert. Die Dauer der israelischen Luftangriffe nimmt ebenfalls zu. So starteten die israelischen Streitkräfte beispielweise in Jenin, nördlich von Tulkarem, vergangenen August eine neuntägige Militäroperation.

Die ständige Gewalt und Unsicherheit hat für die Bewohner:innen der Camps im Westjordanland tiefgreifende psychologische Folgen, über die sie auch mit unseren Teams sprechen. Die Einsätze der israelischen Armee erschüttern das Leben der Menschen, sie verlieren jegliches Sicherheitsgefühl.

Die Kinder in den Geflüchtetencamps haben Angst, zur Schule zu gehen, weil sie sich vor erneuten Luftangriffen fürchten. Also bleiben sie lieber zu Hause. «Sie spielen nicht mehr draussen und verbringen die meiste Zeit in ihrer Unterkunft.»

Gesundheitspromotoren für MSF

Die Menschen leben in einem von Angst und Unsicherheit geprägten Umfeld. Ein normales Leben zu führen oder Zukunftspläne zu schmieden ist für sie undenkbar geworden. Die Schulungen verleihen den Menschen Autonomie, da sie nun zumindest in der Lage sind, in einem medizinischen Notfall zu handeln.